ein Unglück, daß die Kritik immer nur am Schluß der Vor- lesungen vorgetragen werden konnte. Man merkt die na- türliche Ungeduld, die zum schriftlichen Concipiren nicht mehr Zeit und Lust hat. Desto mehr muß man in den nachge- schriebenen Vorträgen die Virtuosität bewundern, womit Schleiermacher auch ohne Schrift ein ganzes System von Begriffen und Materialien in seinem Geiste zur vollen Klar- heit und Ordnung eines zweckvollen Vortrags zu verarbeiten vermochte.
Die hermeneutischen Concepte zeigen in ihrer chronolo- gischen Reihefolge den Gang seiner Studien. Das erste vom Jahre 1805, etwa drei Bogen, mit der Überschrift, Zur Hermeneutik, enthält recht eigentlich die ersten Studien, lauter kurze, fast gnomenartige Sätze, wahrschein- lich während des Studiums von Ernestis institutio inter- pretis, und Morus acroases academicae super hermeneu- tica N. T. entstanden. Am Rande steht auf den fünf er- sten Seiten, wahrscheinlich im J. 1809 beigeschrieben, eine Art von Directorium oder Vertheilung der Sätze in die einzelnen Theile des darüber gehaltenen systematischen Vor- trags. Das zweite Concept, ich weiß nicht wann geschrie- ben, drei Bogen stark, hat die Aufschrift, Hermeneutik, erster Entwurf. Hiernach scheint Schleiermacher seine Vorträge bis zum Jahre 1819 gehalten zu haben. In die- sem Jahre aber verfaßte er einen zweiten vollständigeren, ausgearbeiteteren Entwurf, ganz nach Art seiner Darstellung des theologischen Studiums in der zweiten Auflage. Eigen dabei ist die Stunden- und Wochenbezeichnung der darnach gehaltenen Vorträge. Allein auch hier ist ihm am Ende die Geduld des Aufschreibens ausgegangen. Das Concept
ein Ungluͤck, daß die Kritik immer nur am Schluß der Vor- leſungen vorgetragen werden konnte. Man merkt die na- tuͤrliche Ungeduld, die zum ſchriftlichen Concipiren nicht mehr Zeit und Luſt hat. Deſto mehr muß man in den nachge- ſchriebenen Vortraͤgen die Virtuoſitaͤt bewundern, womit Schleiermacher auch ohne Schrift ein ganzes Syſtem von Begriffen und Materialien in ſeinem Geiſte zur vollen Klar- heit und Ordnung eines zweckvollen Vortrags zu verarbeiten vermochte.
Die hermeneutiſchen Concepte zeigen in ihrer chronolo- giſchen Reihefolge den Gang ſeiner Studien. Das erſte vom Jahre 1805, etwa drei Bogen, mit der Überſchrift, Zur Hermeneutik, enthaͤlt recht eigentlich die erſten Studien, lauter kurze, faſt gnomenartige Saͤtze, wahrſchein- lich waͤhrend des Studiums von Erneſtis institutio inter- pretis, und Morus acroases academicae super hermeneu- tica N. T. entſtanden. Am Rande ſteht auf den fuͤnf er- ſten Seiten, wahrſcheinlich im J. 1809 beigeſchrieben, eine Art von Directorium oder Vertheilung der Saͤtze in die einzelnen Theile des daruͤber gehaltenen ſyſtematiſchen Vor- trags. Das zweite Concept, ich weiß nicht wann geſchrie- ben, drei Bogen ſtark, hat die Aufſchrift, Hermeneutik, erſter Entwurf. Hiernach ſcheint Schleiermacher ſeine Vortraͤge bis zum Jahre 1819 gehalten zu haben. In die- ſem Jahre aber verfaßte er einen zweiten vollſtaͤndigeren, ausgearbeiteteren Entwurf, ganz nach Art ſeiner Darſtellung des theologiſchen Studiums in der zweiten Auflage. Eigen dabei iſt die Stunden- und Wochenbezeichnung der darnach gehaltenen Vortraͤge. Allein auch hier iſt ihm am Ende die Geduld des Aufſchreibens ausgegangen. Das Concept
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[VIII/0014]
ein Ungluͤck, daß die Kritik immer nur am Schluß der Vor-
leſungen vorgetragen werden konnte. Man merkt die na-
tuͤrliche Ungeduld, die zum ſchriftlichen Concipiren nicht mehr
Zeit und Luſt hat. Deſto mehr muß man in den nachge-
ſchriebenen Vortraͤgen die Virtuoſitaͤt bewundern, womit
Schleiermacher auch ohne Schrift ein ganzes Syſtem von
Begriffen und Materialien in ſeinem Geiſte zur vollen Klar-
heit und Ordnung eines zweckvollen Vortrags zu verarbeiten
vermochte.
Die hermeneutiſchen Concepte zeigen in ihrer chronolo-
giſchen Reihefolge den Gang ſeiner Studien. Das erſte
vom Jahre 1805, etwa drei Bogen, mit der Überſchrift,
Zur Hermeneutik, enthaͤlt recht eigentlich die erſten
Studien, lauter kurze, faſt gnomenartige Saͤtze, wahrſchein-
lich waͤhrend des Studiums von Erneſtis institutio inter-
pretis, und Morus acroases academicae super hermeneu-
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ſten Seiten, wahrſcheinlich im J. 1809 beigeſchrieben, eine
Art von Directorium oder Vertheilung der Saͤtze in die
einzelnen Theile des daruͤber gehaltenen ſyſtematiſchen Vor-
trags. Das zweite Concept, ich weiß nicht wann geſchrie-
ben, drei Bogen ſtark, hat die Aufſchrift, Hermeneutik,
erſter Entwurf. Hiernach ſcheint Schleiermacher ſeine
Vortraͤge bis zum Jahre 1819 gehalten zu haben. In die-
ſem Jahre aber verfaßte er einen zweiten vollſtaͤndigeren,
ausgearbeiteteren Entwurf, ganz nach Art ſeiner Darſtellung
des theologiſchen Studiums in der zweiten Auflage. Eigen
dabei iſt die Stunden- und Wochenbezeichnung der darnach
gehaltenen Vortraͤge. Allein auch hier iſt ihm am Ende
die Geduld des Aufſchreibens ausgegangen. Das Concept
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. VIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/14>, abgerufen am 23.11.2024.
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