aus Weizenkörnern, die in einem Mumiensarge gefunden waren, die also an 3000 Jahre geruht hatten, sehr gesunde Weizen- pflanzen erzog und diese der Versammlung der Naturforscher in Freiburg vorlegte.
Bei den "Kryptogamen" genannten Pflanzen ist es von selbst klar, daß die Vermehrung der Pflanzen vollständig gesichert ist, indem die Sporen, die noch dazu in ungeheurer Anzahl vorhanden sind, sogleich auf den Boden fallen, in welchem sie sich vollständig entwickeln sollen. Bei den Phanerogamen ist die Sache indeß scheinbar nicht so ganz sicher. Freilich stehen in sehr vielen Blüthen der Fruchtknoten und der Staubfaden so nahe beisammen gesellt, daß der Blüthenstaub den Ort, an dem er seine Entwickelung beginnen soll, die Narbe, schein- bar nicht verfehlen kann. Diese räumliche Beziehung genügt indeß allein noch nicht, es müssen auch beide Theile, Staubfäden und Frucht- knoten oder richtiger Blüthenstaub und Narbe, gleichzeitig auf gleicher Stufe physiologischer Entwicklung stehen; wenn der Staubbeutel aufspringt, wenn der Pollen ausfällt, muß die Narbe auch bereit seyn ihn aufzufangen und seine Entwicklung hervorzurufen. Dieses findet nun aber in gar vielen Blüthen nicht Statt, vielleicht bei Weitem öfter als man gewöhnlich glaubt geht der Blüthenstaub für die Narbe derselben Blume verloren weil sie noch nicht weit genug ausgebildet ist oder im Gegentheil schon im Absterben begriffen ist, wenn der Augenblick der Ausstreuung des Pollens herannaht. Noch schwieriger wird die Sache bei einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Pflanzen, bei denen jede Blüthe entweder nur Staubfäden oder nur Fruchtknoten enthält und wo diese beiden Blüthenarten an derselben Pflanze, oder gar auf verschiedenen Pflanzen räumlich von einander getrennt sind, die Linne als einhäusige (Monöcisten) und Zweihäufige (Diöcisten) bezeichnete. Ja in manchen Pflanzengruppen z. B. bei den Asclepia- deen und Orchideen scheint sich die Natur ordentlich Mühe gegeben zu haben durch den verwickelten und abweichenden Bau der Organe jedes natürliche Zusammenkommen des Blüthenstaubs und der Narbe geradezu unmöglich zu machen. Hier treten nun auf wunderbare Weise
aus Weizenkörnern, die in einem Mumienſarge gefunden waren, die alſo an 3000 Jahre geruht hatten, ſehr geſunde Weizen- pflanzen erzog und dieſe der Verſammlung der Naturforſcher in Freiburg vorlegte.
Bei den „Kryptogamen“ genannten Pflanzen iſt es von ſelbſt klar, daß die Vermehrung der Pflanzen vollſtändig geſichert iſt, indem die Sporen, die noch dazu in ungeheurer Anzahl vorhanden ſind, ſogleich auf den Boden fallen, in welchem ſie ſich vollſtändig entwickeln ſollen. Bei den Phanerogamen iſt die Sache indeß ſcheinbar nicht ſo ganz ſicher. Freilich ſtehen in ſehr vielen Blüthen der Fruchtknoten und der Staubfaden ſo nahe beiſammen geſellt, daß der Blüthenſtaub den Ort, an dem er ſeine Entwickelung beginnen ſoll, die Narbe, ſchein- bar nicht verfehlen kann. Dieſe räumliche Beziehung genügt indeß allein noch nicht, es müſſen auch beide Theile, Staubfäden und Frucht- knoten oder richtiger Blüthenſtaub und Narbe, gleichzeitig auf gleicher Stufe phyſiologiſcher Entwicklung ſtehen; wenn der Staubbeutel aufſpringt, wenn der Pollen ausfällt, muß die Narbe auch bereit ſeyn ihn aufzufangen und ſeine Entwicklung hervorzurufen. Dieſes findet nun aber in gar vielen Blüthen nicht Statt, vielleicht bei Weitem öfter als man gewöhnlich glaubt geht der Blüthenſtaub für die Narbe derſelben Blume verloren weil ſie noch nicht weit genug ausgebildet iſt oder im Gegentheil ſchon im Abſterben begriffen iſt, wenn der Augenblick der Ausſtreuung des Pollens herannaht. Noch ſchwieriger wird die Sache bei einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Pflanzen, bei denen jede Blüthe entweder nur Staubfäden oder nur Fruchtknoten enthält und wo dieſe beiden Blüthenarten an derſelben Pflanze, oder gar auf verſchiedenen Pflanzen räumlich von einander getrennt ſind, die Linné als einhäuſige (Monöciſten) und Zweihäufige (Diöciſten) bezeichnete. Ja in manchen Pflanzengruppen z. B. bei den Aſclepia- deen und Orchideen ſcheint ſich die Natur ordentlich Mühe gegeben zu haben durch den verwickelten und abweichenden Bau der Organe jedes natürliche Zuſammenkommen des Blüthenſtaubs und der Narbe geradezu unmöglich zu machen. Hier treten nun auf wunderbare Weiſe
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aus Weizenkörnern, die in einem Mumienſarge gefunden waren,
die alſo an 3000 Jahre geruht hatten, ſehr geſunde Weizen-
pflanzen erzog und dieſe der Verſammlung der Naturforſcher in
Freiburg vorlegte.
Bei den „Kryptogamen“ genannten Pflanzen iſt es von ſelbſt klar,
daß die Vermehrung der Pflanzen vollſtändig geſichert iſt, indem die
Sporen, die noch dazu in ungeheurer Anzahl vorhanden ſind, ſogleich
auf den Boden fallen, in welchem ſie ſich vollſtändig entwickeln ſollen.
Bei den Phanerogamen iſt die Sache indeß ſcheinbar nicht ſo ganz
ſicher. Freilich ſtehen in ſehr vielen Blüthen der Fruchtknoten und der
Staubfaden ſo nahe beiſammen geſellt, daß der Blüthenſtaub den
Ort, an dem er ſeine Entwickelung beginnen ſoll, die Narbe, ſchein-
bar nicht verfehlen kann. Dieſe räumliche Beziehung genügt indeß
allein noch nicht, es müſſen auch beide Theile, Staubfäden und Frucht-
knoten oder richtiger Blüthenſtaub und Narbe, gleichzeitig auf gleicher
Stufe phyſiologiſcher Entwicklung ſtehen; wenn der Staubbeutel
aufſpringt, wenn der Pollen ausfällt, muß die Narbe auch bereit
ſeyn ihn aufzufangen und ſeine Entwicklung hervorzurufen. Dieſes
findet nun aber in gar vielen Blüthen nicht Statt, vielleicht bei Weitem
öfter als man gewöhnlich glaubt geht der Blüthenſtaub für die Narbe
derſelben Blume verloren weil ſie noch nicht weit genug ausgebildet
iſt oder im Gegentheil ſchon im Abſterben begriffen iſt, wenn der
Augenblick der Ausſtreuung des Pollens herannaht. Noch ſchwieriger
wird die Sache bei einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Pflanzen,
bei denen jede Blüthe entweder nur Staubfäden oder nur Fruchtknoten
enthält und wo dieſe beiden Blüthenarten an derſelben Pflanze, oder
gar auf verſchiedenen Pflanzen räumlich von einander getrennt ſind,
die Linné als einhäuſige (Monöciſten) und Zweihäufige (Diöciſten)
bezeichnete. Ja in manchen Pflanzengruppen z. B. bei den Aſclepia-
deen und Orchideen ſcheint ſich die Natur ordentlich Mühe gegeben
zu haben durch den verwickelten und abweichenden Bau der Organe
jedes natürliche Zuſammenkommen des Blüthenſtaubs und der Narbe
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/85>, abgerufen am 05.12.2024.
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