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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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der Mutterpflanze verbindende Zweig abstirbt und verwest, zu freien
selbstständigen Pflanzen werden. Auf diese Weise überzieht unsere
Erdbeere (Taf. III. Fig. 4.) in kurzer Zeit einen ganzen nicht ange-
bauten Garten; in dieser Weise fast allein vermehrt sich die Kartoffel,
denn diese nützliche Knolle ist nichts als eine in der Erde gebildete
große fleischige Knospe; in ähnlicher Weise endlich bedeckt die kleine
selten blühende und Saamen tragende Wasserlinse (Entenflott) im
Frühjahr in kurzer Zeit unsere Gräben und Teiche mit Tausenden
von Individuen. -- Zahlreiche ähnliche Beispiele ließen sich noch an-
führen, es mögen indessen diese als die nächstliegenden hier genügen. --
In merkwürdiger Beziehung steht aber diese Fortpflanzung durch
Knospen zu der weiter unten anzuführenden Vermehrung durch
Saamen, indem man die durchschnittlich gültige Regel aufstellen
kann, daß sich eine Pflanze um so mehr durch Knospen vervielfältigt
je weniger sie reifen Saamen entwickeln kann und umgekehrt; die
Natur hat hier gleichsam dafür gesorgt, daß unter allen Umständen
die Pflanzen erhalten werden sollen.

5. Alle die bis jetzt angeführten Vermehrungsweisen der Pflan-
zen kann man als die unregelmäßige Fortpflanzung zusammenfassen und
ihnen die regelmäßige Fortpflanzung gegenüberstellen, welche im We-
sentlichen folgende Erscheinungen zeigt. Jede Pflanze bildet nämlich in
ihrem Innern eine bestimmte Menge einzelner loser, mit einander nicht
verbundener Zellen, die zu einer gewissen Zeit sich von der Pflanze frei-
willig trennen. Eigen ist, daß bei den Pflanzen, die wirkliche Blätter
haben, sich diese Zellen nur im Innern der Blätter ausbilden, wobei
aber die Blätter oft eine sehr abweichende Gestalt annehmen, wie z. B.
die Staubfäden. Auch ist noch ein anderes Verhältniß merkwürdig.
Nur bei den niedrigsten sowie bei den ganz unter Wasser blühenden
Pflanzen ist die Fortpflanzungszelle nackt (Taf. III. Fig. 1.), bei
allen Andern ist sie von einer ganz eigenthümlichen, chemisch noch
nicht erforschten, meist gelb aussehenden, äußerst schwer zerstörbaren
Substanz überzogen. Diese Substanz nimmt oft ganz wunderbare
Formen an. Oft gleichen sie kleinen Wärzchen, oft Stacheln, oder sie

der Mutterpflanze verbindende Zweig abſtirbt und verweſt, zu freien
ſelbſtſtändigen Pflanzen werden. Auf dieſe Weiſe überzieht unſere
Erdbeere (Taf. III. Fig. 4.) in kurzer Zeit einen ganzen nicht ange-
bauten Garten; in dieſer Weiſe faſt allein vermehrt ſich die Kartoffel,
denn dieſe nützliche Knolle iſt nichts als eine in der Erde gebildete
große fleiſchige Knospe; in ähnlicher Weiſe endlich bedeckt die kleine
ſelten blühende und Saamen tragende Waſſerlinſe (Entenflott) im
Frühjahr in kurzer Zeit unſere Gräben und Teiche mit Tauſenden
von Individuen. — Zahlreiche ähnliche Beiſpiele ließen ſich noch an-
führen, es mögen indeſſen dieſe als die nächſtliegenden hier genügen. —
In merkwürdiger Beziehung ſteht aber dieſe Fortpflanzung durch
Knospen zu der weiter unten anzuführenden Vermehrung durch
Saamen, indem man die durchſchnittlich gültige Regel aufſtellen
kann, daß ſich eine Pflanze um ſo mehr durch Knospen vervielfältigt
je weniger ſie reifen Saamen entwickeln kann und umgekehrt; die
Natur hat hier gleichſam dafür geſorgt, daß unter allen Umſtänden
die Pflanzen erhalten werden ſollen.

5. Alle die bis jetzt angeführten Vermehrungsweiſen der Pflan-
zen kann man als die unregelmäßige Fortpflanzung zuſammenfaſſen und
ihnen die regelmäßige Fortpflanzung gegenüberſtellen, welche im We-
ſentlichen folgende Erſcheinungen zeigt. Jede Pflanze bildet nämlich in
ihrem Innern eine beſtimmte Menge einzelner loſer, mit einander nicht
verbundener Zellen, die zu einer gewiſſen Zeit ſich von der Pflanze frei-
willig trennen. Eigen iſt, daß bei den Pflanzen, die wirkliche Blätter
haben, ſich dieſe Zellen nur im Innern der Blätter ausbilden, wobei
aber die Blätter oft eine ſehr abweichende Geſtalt annehmen, wie z. B.
die Staubfäden. Auch iſt noch ein anderes Verhältniß merkwürdig.
Nur bei den niedrigſten ſowie bei den ganz unter Waſſer blühenden
Pflanzen iſt die Fortpflanzungszelle nackt (Taf. III. Fig. 1.), bei
allen Andern iſt ſie von einer ganz eigenthümlichen, chemiſch noch
nicht erforſchten, meiſt gelb ausſehenden, äußerſt ſchwer zerſtörbaren
Subſtanz überzogen. Dieſe Subſtanz nimmt oft ganz wunderbare
Formen an. Oft gleichen ſie kleinen Wärzchen, oft Stacheln, oder ſie

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[66/0082] der Mutterpflanze verbindende Zweig abſtirbt und verweſt, zu freien ſelbſtſtändigen Pflanzen werden. Auf dieſe Weiſe überzieht unſere Erdbeere (Taf. III. Fig. 4.) in kurzer Zeit einen ganzen nicht ange- bauten Garten; in dieſer Weiſe faſt allein vermehrt ſich die Kartoffel, denn dieſe nützliche Knolle iſt nichts als eine in der Erde gebildete große fleiſchige Knospe; in ähnlicher Weiſe endlich bedeckt die kleine ſelten blühende und Saamen tragende Waſſerlinſe (Entenflott) im Frühjahr in kurzer Zeit unſere Gräben und Teiche mit Tauſenden von Individuen. — Zahlreiche ähnliche Beiſpiele ließen ſich noch an- führen, es mögen indeſſen dieſe als die nächſtliegenden hier genügen. — In merkwürdiger Beziehung ſteht aber dieſe Fortpflanzung durch Knospen zu der weiter unten anzuführenden Vermehrung durch Saamen, indem man die durchſchnittlich gültige Regel aufſtellen kann, daß ſich eine Pflanze um ſo mehr durch Knospen vervielfältigt je weniger ſie reifen Saamen entwickeln kann und umgekehrt; die Natur hat hier gleichſam dafür geſorgt, daß unter allen Umſtänden die Pflanzen erhalten werden ſollen. 5. Alle die bis jetzt angeführten Vermehrungsweiſen der Pflan- zen kann man als die unregelmäßige Fortpflanzung zuſammenfaſſen und ihnen die regelmäßige Fortpflanzung gegenüberſtellen, welche im We- ſentlichen folgende Erſcheinungen zeigt. Jede Pflanze bildet nämlich in ihrem Innern eine beſtimmte Menge einzelner loſer, mit einander nicht verbundener Zellen, die zu einer gewiſſen Zeit ſich von der Pflanze frei- willig trennen. Eigen iſt, daß bei den Pflanzen, die wirkliche Blätter haben, ſich dieſe Zellen nur im Innern der Blätter ausbilden, wobei aber die Blätter oft eine ſehr abweichende Geſtalt annehmen, wie z. B. die Staubfäden. Auch iſt noch ein anderes Verhältniß merkwürdig. Nur bei den niedrigſten ſowie bei den ganz unter Waſſer blühenden Pflanzen iſt die Fortpflanzungszelle nackt (Taf. III. Fig. 1.), bei allen Andern iſt ſie von einer ganz eigenthümlichen, chemiſch noch nicht erforſchten, meiſt gelb ausſehenden, äußerſt ſchwer zerſtörbaren Subſtanz überzogen. Dieſe Subſtanz nimmt oft ganz wunderbare Formen an. Oft gleichen ſie kleinen Wärzchen, oft Stacheln, oder ſie

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/82>, abgerufen am 04.05.2024.