Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

als ob sich die Knospen immer an der Pflanze selbst und mit ihr
in Verbindung zu Zweigen und Ästen entwickeln müßten und wir
sehen sie denn auch im gewöhnlichen Leben als Theile einer Pflanze
und nicht als selbstständige Pflanzen an, was sie doch in der
That sind, obwohl sie, gleichsam wie Kinder die noch im Vater-
hause blieben, in der engsten Verbindung mit der sie erzeugt
habenden Pflanze verharren. Daß sie aber wenigstens der Mög-
lichkeit nach vollkommen selbstständige Pflanzen sind, zeigt ein Ver-
such der bei der nöthigen Sorgfalt häufig gelingt, nämlich das
Abbrechen und Aussäen der Knospen unserer Waldbäume. Ebenso
beruhen hierauf die bekannten Gartenoperationen des Pfropfens und
Oculirens und das Ziehen von Absenkern und Stecklingen unterschei-
det sich von dem erwähnten Aussäen der Knospen nur dadurch, daß
man dieselben erst an der Mutterpflanze bis zu einer gewissen Reife
der Entwicklung kommen läßt, ehe man sie vom Stamme trennt.
Alles beruht hier auf der Leichtigkeit mit der diese Knospen-Pflanzen
Nebenwurzeln treiben (sich bewurzeln) so bald sie mit feuchter Erde
in Berührung kommen.

Aber weit entfernt, daß nur der Mensch allein hier eine solche
künstliche Vermehrung der Pflanzen erzwänge, so benutzt vielmehr
die Natur außerordentlich häufig dieses Mittel um die Vervielfältigung
gewisser Pflanzen selbst in ungemessener Menge hervorzurufen. Selten
ist hier der Vorgang dem künstlichen Aussäen der Knospen ähnlich
indem die Pflanze zu bestimmter Zeit die gebildeten Knospen freiwillig
abstößt, wie das zum Beispiel bei der Feuerlilie unserer Gärten mit
den kleinen zwiebelähnlichen Knospen, die in den Winkeln der oberen
Blätter sich zeigen, geschieht. Gewöhnlicher ist der Vorgang folgen-
der: die Knospen an einer Pflanze, welche sich dem Erdboden nahe
gebildet haben, wachsen aus, also zu einem Zweige mit Blättern;
der Zweig selbst aber wird ganz lang, dünn und zart, die Blätter
erscheinen verkümmert als kleine Schuppen, in ihren Winkeln da-
gegen entwickeln sich kräftige Knospen, welche sich in demselben oder
doch im nächsten Jahre bewurzeln und dadurch daß der dünne sie mit

Schleiden, Pflanze. 5

als ob ſich die Knospen immer an der Pflanze ſelbſt und mit ihr
in Verbindung zu Zweigen und Äſten entwickeln müßten und wir
ſehen ſie denn auch im gewöhnlichen Leben als Theile einer Pflanze
und nicht als ſelbſtſtändige Pflanzen an, was ſie doch in der
That ſind, obwohl ſie, gleichſam wie Kinder die noch im Vater-
hauſe blieben, in der engſten Verbindung mit der ſie erzeugt
habenden Pflanze verharren. Daß ſie aber wenigſtens der Mög-
lichkeit nach vollkommen ſelbſtſtändige Pflanzen ſind, zeigt ein Ver-
ſuch der bei der nöthigen Sorgfalt häufig gelingt, nämlich das
Abbrechen und Ausſäen der Knospen unſerer Waldbäume. Ebenſo
beruhen hierauf die bekannten Gartenoperationen des Pfropfens und
Oculirens und das Ziehen von Abſenkern und Stecklingen unterſchei-
det ſich von dem erwähnten Ausſäen der Knospen nur dadurch, daß
man dieſelben erſt an der Mutterpflanze bis zu einer gewiſſen Reife
der Entwicklung kommen läßt, ehe man ſie vom Stamme trennt.
Alles beruht hier auf der Leichtigkeit mit der dieſe Knospen-Pflanzen
Nebenwurzeln treiben (ſich bewurzeln) ſo bald ſie mit feuchter Erde
in Berührung kommen.

Aber weit entfernt, daß nur der Menſch allein hier eine ſolche
künſtliche Vermehrung der Pflanzen erzwänge, ſo benutzt vielmehr
die Natur außerordentlich häufig dieſes Mittel um die Vervielfältigung
gewiſſer Pflanzen ſelbſt in ungemeſſener Menge hervorzurufen. Selten
iſt hier der Vorgang dem künſtlichen Ausſäen der Knospen ähnlich
indem die Pflanze zu beſtimmter Zeit die gebildeten Knospen freiwillig
abſtößt, wie das zum Beiſpiel bei der Feuerlilie unſerer Gärten mit
den kleinen zwiebelähnlichen Knospen, die in den Winkeln der oberen
Blätter ſich zeigen, geſchieht. Gewöhnlicher iſt der Vorgang folgen-
der: die Knospen an einer Pflanze, welche ſich dem Erdboden nahe
gebildet haben, wachſen aus, alſo zu einem Zweige mit Blättern;
der Zweig ſelbſt aber wird ganz lang, dünn und zart, die Blätter
erſcheinen verkümmert als kleine Schuppen, in ihren Winkeln da-
gegen entwickeln ſich kräftige Knospen, welche ſich in demſelben oder
doch im nächſten Jahre bewurzeln und dadurch daß der dünne ſie mit

Schleiden, Pflanze. 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0081" n="65"/>
als ob &#x017F;ich die Knospen immer an der Pflanze &#x017F;elb&#x017F;t und mit ihr<lb/>
in Verbindung zu Zweigen und Ä&#x017F;ten entwickeln müßten und wir<lb/>
&#x017F;ehen &#x017F;ie denn auch im gewöhnlichen Leben als Theile einer Pflanze<lb/>
und nicht als &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tändige Pflanzen an, was &#x017F;ie doch in der<lb/>
That &#x017F;ind, obwohl &#x017F;ie, gleich&#x017F;am wie Kinder die noch im Vater-<lb/>
hau&#x017F;e blieben, in der eng&#x017F;ten Verbindung mit der &#x017F;ie erzeugt<lb/>
habenden Pflanze verharren. Daß &#x017F;ie aber wenig&#x017F;tens der Mög-<lb/>
lichkeit nach vollkommen &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tändige Pflanzen &#x017F;ind, zeigt ein Ver-<lb/>
&#x017F;uch der bei der nöthigen Sorgfalt häufig gelingt, nämlich das<lb/>
Abbrechen und Aus&#x017F;äen der Knospen un&#x017F;erer Waldbäume. Eben&#x017F;o<lb/>
beruhen hierauf die bekannten Gartenoperationen des Pfropfens und<lb/>
Oculirens und das Ziehen von Ab&#x017F;enkern und Stecklingen unter&#x017F;chei-<lb/>
det &#x017F;ich von dem erwähnten Aus&#x017F;äen der Knospen nur dadurch, daß<lb/>
man die&#x017F;elben er&#x017F;t an der Mutterpflanze bis zu einer gewi&#x017F;&#x017F;en Reife<lb/>
der Entwicklung kommen läßt, ehe man &#x017F;ie vom Stamme trennt.<lb/>
Alles beruht hier auf der Leichtigkeit mit der die&#x017F;e Knospen-Pflanzen<lb/>
Nebenwurzeln treiben (&#x017F;ich bewurzeln) &#x017F;o bald &#x017F;ie mit feuchter Erde<lb/>
in Berührung kommen.</p><lb/>
        <p>Aber weit entfernt, daß nur der Men&#x017F;ch allein hier eine &#x017F;olche<lb/>
kün&#x017F;tliche Vermehrung der Pflanzen erzwänge, &#x017F;o benutzt vielmehr<lb/>
die Natur außerordentlich häufig die&#x017F;es Mittel um die Vervielfältigung<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;er Pflanzen &#x017F;elb&#x017F;t in ungeme&#x017F;&#x017F;ener Menge hervorzurufen. Selten<lb/>
i&#x017F;t hier der Vorgang dem kün&#x017F;tlichen Aus&#x017F;äen der Knospen ähnlich<lb/>
indem die Pflanze zu be&#x017F;timmter Zeit die gebildeten Knospen freiwillig<lb/>
ab&#x017F;tößt, wie das zum Bei&#x017F;piel bei der Feuerlilie un&#x017F;erer Gärten mit<lb/>
den kleinen zwiebelähnlichen Knospen, die in den Winkeln der oberen<lb/>
Blätter &#x017F;ich zeigen, ge&#x017F;chieht. Gewöhnlicher i&#x017F;t der Vorgang folgen-<lb/>
der: die Knospen an einer Pflanze, welche &#x017F;ich dem Erdboden nahe<lb/>
gebildet haben, wach&#x017F;en aus, al&#x017F;o zu einem Zweige mit Blättern;<lb/>
der Zweig &#x017F;elb&#x017F;t aber wird ganz lang, dünn und zart, die Blätter<lb/>
er&#x017F;cheinen verkümmert als kleine Schuppen, in ihren Winkeln da-<lb/>
gegen entwickeln &#x017F;ich kräftige Knospen, welche &#x017F;ich in dem&#x017F;elben oder<lb/>
doch im näch&#x017F;ten Jahre bewurzeln und dadurch daß der dünne &#x017F;ie mit<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Schleiden</hi>, Pflanze. 5</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0081] als ob ſich die Knospen immer an der Pflanze ſelbſt und mit ihr in Verbindung zu Zweigen und Äſten entwickeln müßten und wir ſehen ſie denn auch im gewöhnlichen Leben als Theile einer Pflanze und nicht als ſelbſtſtändige Pflanzen an, was ſie doch in der That ſind, obwohl ſie, gleichſam wie Kinder die noch im Vater- hauſe blieben, in der engſten Verbindung mit der ſie erzeugt habenden Pflanze verharren. Daß ſie aber wenigſtens der Mög- lichkeit nach vollkommen ſelbſtſtändige Pflanzen ſind, zeigt ein Ver- ſuch der bei der nöthigen Sorgfalt häufig gelingt, nämlich das Abbrechen und Ausſäen der Knospen unſerer Waldbäume. Ebenſo beruhen hierauf die bekannten Gartenoperationen des Pfropfens und Oculirens und das Ziehen von Abſenkern und Stecklingen unterſchei- det ſich von dem erwähnten Ausſäen der Knospen nur dadurch, daß man dieſelben erſt an der Mutterpflanze bis zu einer gewiſſen Reife der Entwicklung kommen läßt, ehe man ſie vom Stamme trennt. Alles beruht hier auf der Leichtigkeit mit der dieſe Knospen-Pflanzen Nebenwurzeln treiben (ſich bewurzeln) ſo bald ſie mit feuchter Erde in Berührung kommen. Aber weit entfernt, daß nur der Menſch allein hier eine ſolche künſtliche Vermehrung der Pflanzen erzwänge, ſo benutzt vielmehr die Natur außerordentlich häufig dieſes Mittel um die Vervielfältigung gewiſſer Pflanzen ſelbſt in ungemeſſener Menge hervorzurufen. Selten iſt hier der Vorgang dem künſtlichen Ausſäen der Knospen ähnlich indem die Pflanze zu beſtimmter Zeit die gebildeten Knospen freiwillig abſtößt, wie das zum Beiſpiel bei der Feuerlilie unſerer Gärten mit den kleinen zwiebelähnlichen Knospen, die in den Winkeln der oberen Blätter ſich zeigen, geſchieht. Gewöhnlicher iſt der Vorgang folgen- der: die Knospen an einer Pflanze, welche ſich dem Erdboden nahe gebildet haben, wachſen aus, alſo zu einem Zweige mit Blättern; der Zweig ſelbſt aber wird ganz lang, dünn und zart, die Blätter erſcheinen verkümmert als kleine Schuppen, in ihren Winkeln da- gegen entwickeln ſich kräftige Knospen, welche ſich in demſelben oder doch im nächſten Jahre bewurzeln und dadurch daß der dünne ſie mit Schleiden, Pflanze. 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/81
Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/81>, abgerufen am 04.05.2024.