obscura auffängt. Jedes von dem Bilde getroffene Fäserchen fängt gleichsam einen Punct desselben auf und bringt die Nachricht davon zum Gehirn, wo die vorstellende Seele ihren Sitz hat und diese muß sich dann aus allen diesen einzelnen Puncten erst das Bild construi- ren. Ob aber richtig oder falsch construirt wird, hängt von der Ue- bung und Ausbildung der Seele ab. -- Man könnte mir hier ein- wenden, daß wir ja von dieser Construction gar kein Bewußtsein haben und daß das Sehen daher doch wohl viel einfacher seyn müsse. Indeß läßt sich leicht an einigen Beispielen zeigen, daß hier nur die Uebung uns die Sache so leicht macht, daß wir uns der einzel- nen Geistesthätigkeiten dabei gar nicht mehr bewußt werden. -- Das Kind, bei dem diese Uebung noch nicht Statt gefunden hat, construirt daher auch häufig falsch, es greift nach den Sternen, wie nach den glänzenden Knöpfen an dem Rocke des Vaters, es versucht den fernen Mond auszublasen, wie es ihm mit dem Licht auf dem Tische gelungen. -- Und dieselben Erscheinungen finden wir bei Blindgebornen die operirt wurden; namentlich ist uns ein merkwür- diger Fall der Art in den Annalen der Augenärzte aufbewahrt, wo ein Blindgeborner erst in seinen spätern Lebensjahren, als er schon genügende Bildung sich erworben um von den Vorgängen in seinem Innern Rechenschaft zu geben, sein Augenlicht wieder erhielt und nun ausführlich berichten konnte, wie er erst allmälig die verschiede- nen Licht- und Farbenempfindungen zu einer geordneten Weltan- schauung zusammensetzen lernte. Der entschiedenste Beweis für die Richtigkeit der aufgestellten Behauptung liegt aber darin, daß wir, wenn die Umstände verführerisch sind, falsch construiren, ohne daß das Bild auf der Netzhaut dazu Veranlassung gegeben hätte. Der Mond nämlich erscheint uns größer, wenn er aufgeht, als wenn er über uns im dunkeln Luftmeere schwimmt. Messungen zeigen aber, daß er beidemale in der That gleich groß ist, und daß sein Bild auf der Netzhaut in beiden Fällen ebenfalls gleichen Durchmesser hat. -- Der Grund der falschen Construction liegt aber darin, daß wenn der Mond am Horizont zwischen uns bekannten Hügeln, Bäumen oder
obſcura auffängt. Jedes von dem Bilde getroffene Fäſerchen fängt gleichſam einen Punct deſſelben auf und bringt die Nachricht davon zum Gehirn, wo die vorſtellende Seele ihren Sitz hat und dieſe muß ſich dann aus allen dieſen einzelnen Puncten erſt das Bild conſtrui- ren. Ob aber richtig oder falſch conſtruirt wird, hängt von der Ue- bung und Ausbildung der Seele ab. — Man könnte mir hier ein- wenden, daß wir ja von dieſer Conſtruction gar kein Bewußtſein haben und daß das Sehen daher doch wohl viel einfacher ſeyn müſſe. Indeß läßt ſich leicht an einigen Beiſpielen zeigen, daß hier nur die Uebung uns die Sache ſo leicht macht, daß wir uns der einzel- nen Geiſtesthätigkeiten dabei gar nicht mehr bewußt werden. — Das Kind, bei dem dieſe Uebung noch nicht Statt gefunden hat, conſtruirt daher auch häufig falſch, es greift nach den Sternen, wie nach den glänzenden Knöpfen an dem Rocke des Vaters, es verſucht den fernen Mond auszublaſen, wie es ihm mit dem Licht auf dem Tiſche gelungen. — Und dieſelben Erſcheinungen finden wir bei Blindgebornen die operirt wurden; namentlich iſt uns ein merkwür- diger Fall der Art in den Annalen der Augenärzte aufbewahrt, wo ein Blindgeborner erſt in ſeinen ſpätern Lebensjahren, als er ſchon genügende Bildung ſich erworben um von den Vorgängen in ſeinem Innern Rechenſchaft zu geben, ſein Augenlicht wieder erhielt und nun ausführlich berichten konnte, wie er erſt allmälig die verſchiede- nen Licht- und Farbenempfindungen zu einer geordneten Weltan- ſchauung zuſammenſetzen lernte. Der entſchiedenſte Beweis für die Richtigkeit der aufgeſtellten Behauptung liegt aber darin, daß wir, wenn die Umſtände verführeriſch ſind, falſch conſtruiren, ohne daß das Bild auf der Netzhaut dazu Veranlaſſung gegeben hätte. Der Mond nämlich erſcheint uns größer, wenn er aufgeht, als wenn er über uns im dunkeln Luftmeere ſchwimmt. Meſſungen zeigen aber, daß er beidemale in der That gleich groß iſt, und daß ſein Bild auf der Netzhaut in beiden Fällen ebenfalls gleichen Durchmeſſer hat. — Der Grund der falſchen Conſtruction liegt aber darin, daß wenn der Mond am Horizont zwiſchen uns bekannten Hügeln, Bäumen oder
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obſcura auffängt. Jedes von dem Bilde getroffene Fäſerchen fängt
gleichſam einen Punct deſſelben auf und bringt die Nachricht davon
zum Gehirn, wo die vorſtellende Seele ihren Sitz hat und dieſe muß
ſich dann aus allen dieſen einzelnen Puncten erſt das Bild conſtrui-
ren. Ob aber richtig oder falſch conſtruirt wird, hängt von der Ue-
bung und Ausbildung der Seele ab. — Man könnte mir hier ein-
wenden, daß wir ja von dieſer Conſtruction gar kein Bewußtſein
haben und daß das Sehen daher doch wohl viel einfacher ſeyn müſſe.
Indeß läßt ſich leicht an einigen Beiſpielen zeigen, daß hier nur
die Uebung uns die Sache ſo leicht macht, daß wir uns der einzel-
nen Geiſtesthätigkeiten dabei gar nicht mehr bewußt werden. —
Das Kind, bei dem dieſe Uebung noch nicht Statt gefunden hat,
conſtruirt daher auch häufig falſch, es greift nach den Sternen, wie
nach den glänzenden Knöpfen an dem Rocke des Vaters, es verſucht
den fernen Mond auszublaſen, wie es ihm mit dem Licht auf dem
Tiſche gelungen. — Und dieſelben Erſcheinungen finden wir bei
Blindgebornen die operirt wurden; namentlich iſt uns ein merkwür-
diger Fall der Art in den Annalen der Augenärzte aufbewahrt, wo
ein Blindgeborner erſt in ſeinen ſpätern Lebensjahren, als er ſchon
genügende Bildung ſich erworben um von den Vorgängen in ſeinem
Innern Rechenſchaft zu geben, ſein Augenlicht wieder erhielt und
nun ausführlich berichten konnte, wie er erſt allmälig die verſchiede-
nen Licht- und Farbenempfindungen zu einer geordneten Weltan-
ſchauung zuſammenſetzen lernte. Der entſchiedenſte Beweis für die
Richtigkeit der aufgeſtellten Behauptung liegt aber darin, daß wir,
wenn die Umſtände verführeriſch ſind, falſch conſtruiren, ohne daß
das Bild auf der Netzhaut dazu Veranlaſſung gegeben hätte. Der
Mond nämlich erſcheint uns größer, wenn er aufgeht, als wenn er
über uns im dunkeln Luftmeere ſchwimmt. Meſſungen zeigen aber,
daß er beidemale in der That gleich groß iſt, und daß ſein Bild auf
der Netzhaut in beiden Fällen ebenfalls gleichen Durchmeſſer hat. —
Der Grund der falſchen Conſtruction liegt aber darin, daß wenn der
Mond am Horizont zwiſchen uns bekannten Hügeln, Bäumen oder
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/37>, abgerufen am 21.11.2024.
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