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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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bar ausgesondert werden, die vielfachen Fasern und Häute, welche
alle Theile mit einander verbinden und das Ganze umkleiden und
zur schönen menschlichen Gestalt abrunden, sie alle sind es nicht.
Von ihnen allen reicht kein Theil an das geistige Gebiet hinan. --
Aber durch alle diese Bildungen durch, in alle eindringend, ziehen
sich Millionen der zartesten Fäden, die Nervenfasern, die einerseits in
jene Theile einstrahlen, andererseits in eine einzige Halbkugel, in
das Gehirn zusammenlaufen. Diese Fäden sind es, welche, von den
Bewegungen und Veränderungen der äußern Welt berührt, angeregt
werden, welche diese Anregung auf das Gehirn übertragen. Das
Gehirn aber ist die geheimnißvolle Stätte wo Geistiges und Körper-
liches sich berühren. Jede Veränderung im Gehirn ist von einem
Wechsel im Spiele unserer Vorstellungen begleitet; zu jedem auf die
Außenwelt gerichteten Gedanken findet sich eine gleichlaufende Ver-
änderung im Gehirn, die von den Nervenfasern wie von Boten an
die Organe übertragen wird, die vom Willen bewegt werden sol-
len. -- Es sind also die Nerven eigentlich das Wesentliche jedes
Sinnesorganes, in ihnen haben wir das Mittelglied zwischen Kör-
perwelt und Geist zu suchen; die Gesetzmäßigkeit ihres Wirkens ha-
ben wir zu erforschen wenn wir uns über unsere Verbindung mit der
Körperwelt unterrichten wollen.

Nur zwei Puncte müssen wir hier besonders hervorheben, die
eigenthümlich genug sind. Wunderlich ist der Herr im Verhältniß zu
seinen Dienern, jener, der Geist, übersetzt sich alles was ihm diese, die
Nerven, überbringen in seine Sprache und zwar hat er für jeden
Diener eine andere. Mögen die Fasern des Sehnerven getroffen
werden, wovon sie wollen, mag die Lichtwelle sie erschüttern, der
Finger sie drücken, die überfüllte Ader an sie pulsiren, oder der elec-
trische Funke sie durchzucken, der Geist übersetzt alle diese verschieden-
artigen Eindrücke in die Sprache des Lichts und der Farben. --
Wenn das erregte Blut, die Adern aufschwellend, die Nerven drückt,
so fühlen wir es in den Fingern als Schmerz, wir hören es im Ohr
als Summen, wir sehen es im Auge als zuckenden Blitz. Und hierin

bar ausgeſondert werden, die vielfachen Faſern und Häute, welche
alle Theile mit einander verbinden und das Ganze umkleiden und
zur ſchönen menſchlichen Geſtalt abrunden, ſie alle ſind es nicht.
Von ihnen allen reicht kein Theil an das geiſtige Gebiet hinan. —
Aber durch alle dieſe Bildungen durch, in alle eindringend, ziehen
ſich Millionen der zarteſten Fäden, die Nervenfaſern, die einerſeits in
jene Theile einſtrahlen, andererſeits in eine einzige Halbkugel, in
das Gehirn zuſammenlaufen. Dieſe Fäden ſind es, welche, von den
Bewegungen und Veränderungen der äußern Welt berührt, angeregt
werden, welche dieſe Anregung auf das Gehirn übertragen. Das
Gehirn aber iſt die geheimnißvolle Stätte wo Geiſtiges und Körper-
liches ſich berühren. Jede Veränderung im Gehirn iſt von einem
Wechſel im Spiele unſerer Vorſtellungen begleitet; zu jedem auf die
Außenwelt gerichteten Gedanken findet ſich eine gleichlaufende Ver-
änderung im Gehirn, die von den Nervenfaſern wie von Boten an
die Organe übertragen wird, die vom Willen bewegt werden ſol-
len. — Es ſind alſo die Nerven eigentlich das Weſentliche jedes
Sinnesorganes, in ihnen haben wir das Mittelglied zwiſchen Kör-
perwelt und Geiſt zu ſuchen; die Geſetzmäßigkeit ihres Wirkens ha-
ben wir zu erforſchen wenn wir uns über unſere Verbindung mit der
Körperwelt unterrichten wollen.

Nur zwei Puncte müſſen wir hier beſonders hervorheben, die
eigenthümlich genug ſind. Wunderlich iſt der Herr im Verhältniß zu
ſeinen Dienern, jener, der Geiſt, überſetzt ſich alles was ihm dieſe, die
Nerven, überbringen in ſeine Sprache und zwar hat er für jeden
Diener eine andere. Mögen die Faſern des Sehnerven getroffen
werden, wovon ſie wollen, mag die Lichtwelle ſie erſchüttern, der
Finger ſie drücken, die überfüllte Ader an ſie pulſiren, oder der elec-
triſche Funke ſie durchzucken, der Geiſt überſetzt alle dieſe verſchieden-
artigen Eindrücke in die Sprache des Lichts und der Farben. —
Wenn das erregte Blut, die Adern aufſchwellend, die Nerven drückt,
ſo fühlen wir es in den Fingern als Schmerz, wir hören es im Ohr
als Summen, wir ſehen es im Auge als zuckenden Blitz. Und hierin

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[18/0034] bar ausgeſondert werden, die vielfachen Faſern und Häute, welche alle Theile mit einander verbinden und das Ganze umkleiden und zur ſchönen menſchlichen Geſtalt abrunden, ſie alle ſind es nicht. Von ihnen allen reicht kein Theil an das geiſtige Gebiet hinan. — Aber durch alle dieſe Bildungen durch, in alle eindringend, ziehen ſich Millionen der zarteſten Fäden, die Nervenfaſern, die einerſeits in jene Theile einſtrahlen, andererſeits in eine einzige Halbkugel, in das Gehirn zuſammenlaufen. Dieſe Fäden ſind es, welche, von den Bewegungen und Veränderungen der äußern Welt berührt, angeregt werden, welche dieſe Anregung auf das Gehirn übertragen. Das Gehirn aber iſt die geheimnißvolle Stätte wo Geiſtiges und Körper- liches ſich berühren. Jede Veränderung im Gehirn iſt von einem Wechſel im Spiele unſerer Vorſtellungen begleitet; zu jedem auf die Außenwelt gerichteten Gedanken findet ſich eine gleichlaufende Ver- änderung im Gehirn, die von den Nervenfaſern wie von Boten an die Organe übertragen wird, die vom Willen bewegt werden ſol- len. — Es ſind alſo die Nerven eigentlich das Weſentliche jedes Sinnesorganes, in ihnen haben wir das Mittelglied zwiſchen Kör- perwelt und Geiſt zu ſuchen; die Geſetzmäßigkeit ihres Wirkens ha- ben wir zu erforſchen wenn wir uns über unſere Verbindung mit der Körperwelt unterrichten wollen. Nur zwei Puncte müſſen wir hier beſonders hervorheben, die eigenthümlich genug ſind. Wunderlich iſt der Herr im Verhältniß zu ſeinen Dienern, jener, der Geiſt, überſetzt ſich alles was ihm dieſe, die Nerven, überbringen in ſeine Sprache und zwar hat er für jeden Diener eine andere. Mögen die Faſern des Sehnerven getroffen werden, wovon ſie wollen, mag die Lichtwelle ſie erſchüttern, der Finger ſie drücken, die überfüllte Ader an ſie pulſiren, oder der elec- triſche Funke ſie durchzucken, der Geiſt überſetzt alle dieſe verſchieden- artigen Eindrücke in die Sprache des Lichts und der Farben. — Wenn das erregte Blut, die Adern aufſchwellend, die Nerven drückt, ſo fühlen wir es in den Fingern als Schmerz, wir hören es im Ohr als Summen, wir ſehen es im Auge als zuckenden Blitz. Und hierin

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/34>, abgerufen am 25.04.2024.