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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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Seite der Natur es ist, welche, wenn auch geheim und schwer in ihrem
Wirken zu verfolgen, doch am allermächtigsten bestimmend, hem-
mend oder fördernd in den Gang der geistigen Entwicklungsgeschichte
eingreift. "Wie der Mensch, so ist sein Gott" ist sicher wahr, aber
man muß noch weiter gehen und hinzufügen, der Mensch in seinen
ersten Bildungsstufen ist auch wie die Natur, in der er aufgewachsen
ist. --

Auf der anderen Seite müssen wir aber auch eine wesentliche
Verschiedenheit hervorzuheben nicht versäumen, wodurch sich die
geognostische Formation von der vegetabilischen unterscheidet. Jene
steht in ausgeprägter Starrheit unwandelbar und unveränderlich,
wenigstens weit hinaus über die höchstens nach Jahrhunderten den-
kenden und rechnenden Menschen fest, diese dagegen mit dem Ge-
präge des organischen Lebens folgt in ihrer Weise dem Spiele der
mächtigen Naturkräfte an der Erde. Die Zeichnung ist keine feste,
unbewegliche, sondern so wie sich der Charakter der Natur im Gro-
ßen ändert, zeigt sie auch andere Züge und blickt den Menschen gleich-
sam mit anderm Antlitz an, und dieselbe Bildung, die heute zu
fröhlichen Gefühlen erweckte, drückt vielleicht morgen das Gemüth
mit dem Bilde melancholischer Verödung nieder. Je weiter hinauf
wir in höhere Breiten kommen, desto verschiedener ist die Natur in
ihrem Winter- und Sommerkleide, und jenachdem die klimatischen
Verhältnisse bald nur eine, bald zwei, bald drei, bald vier Jahres-
zeiten bedingen, ist auch die Physiognomie der Pflanzenwelt bald
eine feste unveränderliche, bald eine in mannigfacher Weise ihren
Charakter wechselnde. Nicht aber in diesem oder jenem einzelnen
Zustande, sondern ganz besonders darin, wie die Geschichte der
Natur, der Ablauf ihrer Veränderungen, der Zeit nach die Thätig-
keit des Menschen begleitend bestimmt, ist die mächtige Einwirkung
auf die Gefühle und ihr Spiel, auf den Gedankengang und seine
Ausbildung begründet. Während das fahle Graugrün der Fichten-
nadeln unter der lastenden Schneedecke den Eindruck des Winters nur
noch trüber und melancholischer macht, lügt der heitere Glanz der

Seite der Natur es iſt, welche, wenn auch geheim und ſchwer in ihrem
Wirken zu verfolgen, doch am allermächtigſten beſtimmend, hem-
mend oder fördernd in den Gang der geiſtigen Entwicklungsgeſchichte
eingreift. „Wie der Menſch, ſo iſt ſein Gott“ iſt ſicher wahr, aber
man muß noch weiter gehen und hinzufügen, der Menſch in ſeinen
erſten Bildungsſtufen iſt auch wie die Natur, in der er aufgewachſen
iſt. —

Auf der anderen Seite müſſen wir aber auch eine weſentliche
Verſchiedenheit hervorzuheben nicht verſäumen, wodurch ſich die
geognoſtiſche Formation von der vegetabiliſchen unterſcheidet. Jene
ſteht in ausgeprägter Starrheit unwandelbar und unveränderlich,
wenigſtens weit hinaus über die höchſtens nach Jahrhunderten den-
kenden und rechnenden Menſchen feſt, dieſe dagegen mit dem Ge-
präge des organiſchen Lebens folgt in ihrer Weiſe dem Spiele der
mächtigen Naturkräfte an der Erde. Die Zeichnung iſt keine feſte,
unbewegliche, ſondern ſo wie ſich der Charakter der Natur im Gro-
ßen ändert, zeigt ſie auch andere Züge und blickt den Menſchen gleich-
ſam mit anderm Antlitz an, und dieſelbe Bildung, die heute zu
fröhlichen Gefühlen erweckte, drückt vielleicht morgen das Gemüth
mit dem Bilde melancholiſcher Verödung nieder. Je weiter hinauf
wir in höhere Breiten kommen, deſto verſchiedener iſt die Natur in
ihrem Winter- und Sommerkleide, und jenachdem die klimatiſchen
Verhältniſſe bald nur eine, bald zwei, bald drei, bald vier Jahres-
zeiten bedingen, iſt auch die Phyſiognomie der Pflanzenwelt bald
eine feſte unveränderliche, bald eine in mannigfacher Weiſe ihren
Charakter wechſelnde. Nicht aber in dieſem oder jenem einzelnen
Zuſtande, ſondern ganz beſonders darin, wie die Geſchichte der
Natur, der Ablauf ihrer Veränderungen, der Zeit nach die Thätig-
keit des Menſchen begleitend beſtimmt, iſt die mächtige Einwirkung
auf die Gefühle und ihr Spiel, auf den Gedankengang und ſeine
Ausbildung begründet. Während das fahle Graugrün der Fichten-
nadeln unter der laſtenden Schneedecke den Eindruck des Winters nur
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[315/0331] Seite der Natur es iſt, welche, wenn auch geheim und ſchwer in ihrem Wirken zu verfolgen, doch am allermächtigſten beſtimmend, hem- mend oder fördernd in den Gang der geiſtigen Entwicklungsgeſchichte eingreift. „Wie der Menſch, ſo iſt ſein Gott“ iſt ſicher wahr, aber man muß noch weiter gehen und hinzufügen, der Menſch in ſeinen erſten Bildungsſtufen iſt auch wie die Natur, in der er aufgewachſen iſt. — Auf der anderen Seite müſſen wir aber auch eine weſentliche Verſchiedenheit hervorzuheben nicht verſäumen, wodurch ſich die geognoſtiſche Formation von der vegetabiliſchen unterſcheidet. Jene ſteht in ausgeprägter Starrheit unwandelbar und unveränderlich, wenigſtens weit hinaus über die höchſtens nach Jahrhunderten den- kenden und rechnenden Menſchen feſt, dieſe dagegen mit dem Ge- präge des organiſchen Lebens folgt in ihrer Weiſe dem Spiele der mächtigen Naturkräfte an der Erde. Die Zeichnung iſt keine feſte, unbewegliche, ſondern ſo wie ſich der Charakter der Natur im Gro- ßen ändert, zeigt ſie auch andere Züge und blickt den Menſchen gleich- ſam mit anderm Antlitz an, und dieſelbe Bildung, die heute zu fröhlichen Gefühlen erweckte, drückt vielleicht morgen das Gemüth mit dem Bilde melancholiſcher Verödung nieder. Je weiter hinauf wir in höhere Breiten kommen, deſto verſchiedener iſt die Natur in ihrem Winter- und Sommerkleide, und jenachdem die klimatiſchen Verhältniſſe bald nur eine, bald zwei, bald drei, bald vier Jahres- zeiten bedingen, iſt auch die Phyſiognomie der Pflanzenwelt bald eine feſte unveränderliche, bald eine in mannigfacher Weiſe ihren Charakter wechſelnde. Nicht aber in dieſem oder jenem einzelnen Zuſtande, ſondern ganz beſonders darin, wie die Geſchichte der Natur, der Ablauf ihrer Veränderungen, der Zeit nach die Thätig- keit des Menſchen begleitend beſtimmt, iſt die mächtige Einwirkung auf die Gefühle und ihr Spiel, auf den Gedankengang und ſeine Ausbildung begründet. Während das fahle Graugrün der Fichten- nadeln unter der laſtenden Schneedecke den Eindruck des Winters nur noch trüber und melancholiſcher macht, lügt der heitere Glanz der

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/331>, abgerufen am 22.11.2024.