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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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würde, weshalb zwei der Charitinnen mit Rose und Myrte, die
Dritte aber durch einen Würfel characterisirt werden. Auch der Bogen
des indischen Liebesgottes Kamadawa, aus Zuckerrohr gefertigt,
symbolisirt wohl mehr als die bloße Süßigkeit der Liebe, was ohne-
hin ein etwas frostiges Gleichniß wäre und gewiß eine tiefsinnige
Naturbetrachtung hat ihm als Pfeilspitze die rosenrothen Blüthen-
knospen des Amrabaumes gegeben.

Freilich muß zugestanden werden, daß diese symbolische Auffas-
sung der Pflanzenwelt nicht mit einem bestimmten Zeitalter der
Menschheit abgeschlossen ist, sondern daß der an sich unerschöpfliche
Stoff auch fortwährend von dem dichterischen Geist des Volkes aus-
gebeutet wird, mag sich nun der Ursprung irgend einer solchen Parabel
in der Menge des Volkes verlieren oder bestimmt an ein einzelnes
Genie knüpfen, welches mit so richtigem Gefühle dem Volke vorge-
dichtet hatte, daß dieses sogleich den fremden Gedanken als Gemein-
gut adoptirte. So mag es oft schwer halten zu bestimmen, wie
weit in der Geschichte die erste Entstehung und Ausbildung eines
später allgemein gebrauchten Gleichnisses, einer typisch gewordenen
Bedeutung einer Pflanze oder eines Vorgangs aus ihrem Leben
hinaufreicht. Die geknickte Lilie, das bescheidene Veilchen, die
stolze Kaiserkrone und so weiter sind so natürlich ansprechende und
verständliche Bilder, daß wir sie in gleicher Weise fast bei jedem ge-
bildeten Volke wiederfinden und doch kennt man weder von diesen
noch von den unzähligen ähnlichen, welche geradezu der Sprache selbst
angeeignete Formen geworden sind, die ersten Urheber. Selbst da
sind wir im Unklaren, wo die Eigenthümlichkeit des Symbols auf
ganz bestimmte Orte und Zeiten in der Geschichte hinweißt. Der Mos-
lem
, der von Mecca zurückkehrt, bringt als Zeugniß seiner Pilger-
fahrt die Aloe *) mit und hängt sie, mit der Spitze nach Mecca wei-
send, über seiner Schwelle auf, welcher dann kein unsauberer Geist
mehr nahen kann. Dieser Gebrauch, dessen abergläubischer Theil

*) Aloe perfoliata vera.

würde, weshalb zwei der Charitinnen mit Roſe und Myrte, die
Dritte aber durch einen Würfel characteriſirt werden. Auch der Bogen
des indiſchen Liebesgottes Kamadawa, aus Zuckerrohr gefertigt,
ſymboliſirt wohl mehr als die bloße Süßigkeit der Liebe, was ohne-
hin ein etwas froſtiges Gleichniß wäre und gewiß eine tiefſinnige
Naturbetrachtung hat ihm als Pfeilſpitze die roſenrothen Blüthen-
knoſpen des Amrabaumes gegeben.

Freilich muß zugeſtanden werden, daß dieſe ſymboliſche Auffaſ-
ſung der Pflanzenwelt nicht mit einem beſtimmten Zeitalter der
Menſchheit abgeſchloſſen iſt, ſondern daß der an ſich unerſchöpfliche
Stoff auch fortwährend von dem dichteriſchen Geiſt des Volkes aus-
gebeutet wird, mag ſich nun der Urſprung irgend einer ſolchen Parabel
in der Menge des Volkes verlieren oder beſtimmt an ein einzelnes
Genie knüpfen, welches mit ſo richtigem Gefühle dem Volke vorge-
dichtet hatte, daß dieſes ſogleich den fremden Gedanken als Gemein-
gut adoptirte. So mag es oft ſchwer halten zu beſtimmen, wie
weit in der Geſchichte die erſte Entſtehung und Ausbildung eines
ſpäter allgemein gebrauchten Gleichniſſes, einer typiſch gewordenen
Bedeutung einer Pflanze oder eines Vorgangs aus ihrem Leben
hinaufreicht. Die geknickte Lilie, das beſcheidene Veilchen, die
ſtolze Kaiſerkrone und ſo weiter ſind ſo natürlich anſprechende und
verſtändliche Bilder, daß wir ſie in gleicher Weiſe faſt bei jedem ge-
bildeten Volke wiederfinden und doch kennt man weder von dieſen
noch von den unzähligen ähnlichen, welche geradezu der Sprache ſelbſt
angeeignete Formen geworden ſind, die erſten Urheber. Selbſt da
ſind wir im Unklaren, wo die Eigenthümlichkeit des Symbols auf
ganz beſtimmte Orte und Zeiten in der Geſchichte hinweißt. Der Mos-
lem
, der von Mecca zurückkehrt, bringt als Zeugniß ſeiner Pilger-
fahrt die Aloe *) mit und hängt ſie, mit der Spitze nach Mecca wei-
ſend, über ſeiner Schwelle auf, welcher dann kein unſauberer Geiſt
mehr nahen kann. Dieſer Gebrauch, deſſen abergläubiſcher Theil

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[298/0314] würde, weshalb zwei der Charitinnen mit Roſe und Myrte, die Dritte aber durch einen Würfel characteriſirt werden. Auch der Bogen des indiſchen Liebesgottes Kamadawa, aus Zuckerrohr gefertigt, ſymboliſirt wohl mehr als die bloße Süßigkeit der Liebe, was ohne- hin ein etwas froſtiges Gleichniß wäre und gewiß eine tiefſinnige Naturbetrachtung hat ihm als Pfeilſpitze die roſenrothen Blüthen- knoſpen des Amrabaumes gegeben. Freilich muß zugeſtanden werden, daß dieſe ſymboliſche Auffaſ- ſung der Pflanzenwelt nicht mit einem beſtimmten Zeitalter der Menſchheit abgeſchloſſen iſt, ſondern daß der an ſich unerſchöpfliche Stoff auch fortwährend von dem dichteriſchen Geiſt des Volkes aus- gebeutet wird, mag ſich nun der Urſprung irgend einer ſolchen Parabel in der Menge des Volkes verlieren oder beſtimmt an ein einzelnes Genie knüpfen, welches mit ſo richtigem Gefühle dem Volke vorge- dichtet hatte, daß dieſes ſogleich den fremden Gedanken als Gemein- gut adoptirte. So mag es oft ſchwer halten zu beſtimmen, wie weit in der Geſchichte die erſte Entſtehung und Ausbildung eines ſpäter allgemein gebrauchten Gleichniſſes, einer typiſch gewordenen Bedeutung einer Pflanze oder eines Vorgangs aus ihrem Leben hinaufreicht. Die geknickte Lilie, das beſcheidene Veilchen, die ſtolze Kaiſerkrone und ſo weiter ſind ſo natürlich anſprechende und verſtändliche Bilder, daß wir ſie in gleicher Weiſe faſt bei jedem ge- bildeten Volke wiederfinden und doch kennt man weder von dieſen noch von den unzähligen ähnlichen, welche geradezu der Sprache ſelbſt angeeignete Formen geworden ſind, die erſten Urheber. Selbſt da ſind wir im Unklaren, wo die Eigenthümlichkeit des Symbols auf ganz beſtimmte Orte und Zeiten in der Geſchichte hinweißt. Der Mos- lem, der von Mecca zurückkehrt, bringt als Zeugniß ſeiner Pilger- fahrt die Aloe *) mit und hängt ſie, mit der Spitze nach Mecca wei- ſend, über ſeiner Schwelle auf, welcher dann kein unſauberer Geiſt mehr nahen kann. Dieſer Gebrauch, deſſen abergläubiſcher Theil *) Aloe perfoliata vera.

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/314>, abgerufen am 22.11.2024.