Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

wässern des seegenbringenden Nils, des allernährenden Isisstromes ruft
der belebende Einfluß des Sonnengottes Osiris die üppige Lotos-
blume
hervor, in ihren großen, mandelähnlichen Kernen dem älte-
sten Menschengeschlechte leicht gewonnene Nahrung spendend, und in
dankbarem Gefühle wird diese Pflanze jenen milden Gottheiten ge-
weiht; sie selbst wird das Symbol der Fruchtbarkeit, der segensvollen
Kraft der Entwicklung der Natur, und nachdem die Nothdurft ander-
weitig befriedigt ist, wird der Genuß ihrer Frucht, als einer gehei-
ligten, dem staubgebornen Menschen untersagt; zugleich mit ägypti-
scher Priesterweisheit verkündet Pythagoras seinen Schülern das
Verbot jene Bohnen zu essen. -- Es ist Athene, die Göttin der hei-
tern Luft, welche den Griechen den sonnige Standorte liebenden Oel-
baum
schenkt und der Uferbenetzer Poseidon kränzt seine Stirn
mit den Zweigen der ihm heiligen Strandkiefer *).

Leider ist die Verbindung lebendiger Naturanschauung mit todter
philologischer Gelehrsamkeit noch viel zu neu, als daß es möglich
wäre, die Symbolisirung der Pflanzenwelt durch alle Formen der
Gottesverehrung bei den verschiedenen Menschenstämmen zu verfolgen.
Gerade die Seiten der alten religiösen Mythen sind bis auf die
neueste Zeit am meisten vernachlässigt worden, in welchen sich ihre
Verbindung mit dem Naturleben ausspricht, in welchen man daher
die sichersten Anhaltepuncte zu ihrer Erklärung und Aufklärung ge-
funden haben würde, während man jetzt nur zu oft der Deutung die
albernsten Phantasien untergeschoben hat.

Wir finden daher natürlich auch noch eine Menge von Be-
ziehungen zwischen religiösem Mythus und Pf[l]anzenwelt, welchen
wir zu deuten gegenwärtig noch ganz außer Stand sind. Die Deu-
tung der Rose und Myrte zum Beispiel auf Liebe und Ehe, schon
den alten Völkern geläufig, beruht sicher nicht auf einem bloßen ästhe-
tischen Wohlgefallen, sondern auf einer tiefern Beziehung zum
griechischen Naturcultus, deren Entzifferung uns auch wohl erklären

*) Pinus maritima. "Poseidons Fichtenhain."

wäſſern des ſeegenbringenden Nils, des allernährenden Iſisſtromes ruft
der belebende Einfluß des Sonnengottes Oſiris die üppige Lotos-
blume
hervor, in ihren großen, mandelähnlichen Kernen dem älte-
ſten Menſchengeſchlechte leicht gewonnene Nahrung ſpendend, und in
dankbarem Gefühle wird dieſe Pflanze jenen milden Gottheiten ge-
weiht; ſie ſelbſt wird das Symbol der Fruchtbarkeit, der ſegensvollen
Kraft der Entwicklung der Natur, und nachdem die Nothdurft ander-
weitig befriedigt iſt, wird der Genuß ihrer Frucht, als einer gehei-
ligten, dem ſtaubgebornen Menſchen unterſagt; zugleich mit ägypti-
ſcher Prieſterweisheit verkündet Pythagoras ſeinen Schülern das
Verbot jene Bohnen zu eſſen. — Es iſt Athene, die Göttin der hei-
tern Luft, welche den Griechen den ſonnige Standorte liebenden Oel-
baum
ſchenkt und der Uferbenetzer Poſeidon kränzt ſeine Stirn
mit den Zweigen der ihm heiligen Strandkiefer *).

Leider iſt die Verbindung lebendiger Naturanſchauung mit todter
philologiſcher Gelehrſamkeit noch viel zu neu, als daß es möglich
wäre, die Symboliſirung der Pflanzenwelt durch alle Formen der
Gottesverehrung bei den verſchiedenen Menſchenſtämmen zu verfolgen.
Gerade die Seiten der alten religiöſen Mythen ſind bis auf die
neueſte Zeit am meiſten vernachläſſigt worden, in welchen ſich ihre
Verbindung mit dem Naturleben ausſpricht, in welchen man daher
die ſicherſten Anhaltepuncte zu ihrer Erklärung und Aufklärung ge-
funden haben würde, während man jetzt nur zu oft der Deutung die
albernſten Phantaſien untergeſchoben hat.

Wir finden daher natürlich auch noch eine Menge von Be-
ziehungen zwiſchen religiöſem Mythus und Pf[l]anzenwelt, welchen
wir zu deuten gegenwärtig noch ganz außer Stand ſind. Die Deu-
tung der Roſe und Myrte zum Beiſpiel auf Liebe und Ehe, ſchon
den alten Völkern geläufig, beruht ſicher nicht auf einem bloßen äſthe-
tiſchen Wohlgefallen, ſondern auf einer tiefern Beziehung zum
griechiſchen Naturcultus, deren Entzifferung uns auch wohl erklären

*) Pinus maritima. „Poſeidons Fichtenhain.“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0313" n="297"/>&#x017F;&#x017F;ern des &#x017F;eegenbringenden Nils, des allernährenden I&#x017F;is&#x017F;tromes ruft<lb/>
der belebende Einfluß des Sonnengottes <hi rendition="#g">O&#x017F;iris</hi> die üppige <hi rendition="#g">Lotos-<lb/>
blume</hi> hervor, in ihren großen, mandelähnlichen Kernen dem älte-<lb/>
&#x017F;ten Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechte leicht gewonnene Nahrung &#x017F;pendend, und in<lb/>
dankbarem Gefühle wird die&#x017F;e Pflanze jenen milden Gottheiten ge-<lb/>
weiht; &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t wird das Symbol der Fruchtbarkeit, der &#x017F;egensvollen<lb/>
Kraft der Entwicklung der Natur, und nachdem die Nothdurft ander-<lb/>
weitig befriedigt i&#x017F;t, wird der Genuß ihrer Frucht, als einer gehei-<lb/>
ligten, dem &#x017F;taubgebornen Men&#x017F;chen unter&#x017F;agt; zugleich mit ägypti-<lb/>
&#x017F;cher Prie&#x017F;terweisheit verkündet <hi rendition="#g">Pythagoras</hi> &#x017F;einen Schülern das<lb/>
Verbot jene Bohnen zu e&#x017F;&#x017F;en. &#x2014; Es i&#x017F;t <hi rendition="#g">Athene</hi>, die Göttin der hei-<lb/>
tern Luft, welche den Griechen den &#x017F;onnige Standorte liebenden <hi rendition="#g">Oel-<lb/>
baum</hi> &#x017F;chenkt und der Uferbenetzer <hi rendition="#g">Po&#x017F;eidon</hi> kränzt &#x017F;eine Stirn<lb/>
mit den Zweigen der ihm heiligen <hi rendition="#g">Strandkiefer</hi> <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq">Pinus maritima.</hi> &#x201E;Po&#x017F;eidons Fichtenhain.&#x201C;</note>.</p><lb/>
        <p>Leider i&#x017F;t die Verbindung lebendiger Naturan&#x017F;chauung mit todter<lb/>
philologi&#x017F;cher Gelehr&#x017F;amkeit noch viel zu neu, als daß es möglich<lb/>
wäre, die Symboli&#x017F;irung der Pflanzenwelt durch alle Formen der<lb/>
Gottesverehrung bei den ver&#x017F;chiedenen Men&#x017F;chen&#x017F;tämmen zu verfolgen.<lb/>
Gerade die Seiten der alten religiö&#x017F;en Mythen &#x017F;ind bis auf die<lb/>
neue&#x017F;te Zeit am mei&#x017F;ten vernachlä&#x017F;&#x017F;igt worden, in welchen &#x017F;ich ihre<lb/>
Verbindung mit dem Naturleben aus&#x017F;pricht, in welchen man daher<lb/>
die &#x017F;icher&#x017F;ten Anhaltepuncte zu ihrer Erklärung und Aufklärung ge-<lb/>
funden haben würde, während man jetzt nur zu oft der Deutung die<lb/>
albern&#x017F;ten Phanta&#x017F;ien unterge&#x017F;choben hat.</p><lb/>
        <p>Wir finden daher natürlich auch noch eine Menge von Be-<lb/>
ziehungen zwi&#x017F;chen religiö&#x017F;em <hi rendition="#g">Mythus</hi> und <hi rendition="#g">Pf<supplied>l</supplied>anzenwelt</hi>, welchen<lb/>
wir zu deuten gegenwärtig noch ganz außer Stand &#x017F;ind. Die Deu-<lb/>
tung der <hi rendition="#g">Ro&#x017F;e</hi> und <hi rendition="#g">Myrte</hi> zum Bei&#x017F;piel auf Liebe und Ehe, &#x017F;chon<lb/>
den alten Völkern geläufig, beruht &#x017F;icher nicht auf einem bloßen ä&#x017F;the-<lb/>
ti&#x017F;chen Wohlgefallen, &#x017F;ondern auf einer tiefern Beziehung zum<lb/>
griechi&#x017F;chen Naturcultus, deren Entzifferung uns auch wohl erklären<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[297/0313] wäſſern des ſeegenbringenden Nils, des allernährenden Iſisſtromes ruft der belebende Einfluß des Sonnengottes Oſiris die üppige Lotos- blume hervor, in ihren großen, mandelähnlichen Kernen dem älte- ſten Menſchengeſchlechte leicht gewonnene Nahrung ſpendend, und in dankbarem Gefühle wird dieſe Pflanze jenen milden Gottheiten ge- weiht; ſie ſelbſt wird das Symbol der Fruchtbarkeit, der ſegensvollen Kraft der Entwicklung der Natur, und nachdem die Nothdurft ander- weitig befriedigt iſt, wird der Genuß ihrer Frucht, als einer gehei- ligten, dem ſtaubgebornen Menſchen unterſagt; zugleich mit ägypti- ſcher Prieſterweisheit verkündet Pythagoras ſeinen Schülern das Verbot jene Bohnen zu eſſen. — Es iſt Athene, die Göttin der hei- tern Luft, welche den Griechen den ſonnige Standorte liebenden Oel- baum ſchenkt und der Uferbenetzer Poſeidon kränzt ſeine Stirn mit den Zweigen der ihm heiligen Strandkiefer *). Leider iſt die Verbindung lebendiger Naturanſchauung mit todter philologiſcher Gelehrſamkeit noch viel zu neu, als daß es möglich wäre, die Symboliſirung der Pflanzenwelt durch alle Formen der Gottesverehrung bei den verſchiedenen Menſchenſtämmen zu verfolgen. Gerade die Seiten der alten religiöſen Mythen ſind bis auf die neueſte Zeit am meiſten vernachläſſigt worden, in welchen ſich ihre Verbindung mit dem Naturleben ausſpricht, in welchen man daher die ſicherſten Anhaltepuncte zu ihrer Erklärung und Aufklärung ge- funden haben würde, während man jetzt nur zu oft der Deutung die albernſten Phantaſien untergeſchoben hat. Wir finden daher natürlich auch noch eine Menge von Be- ziehungen zwiſchen religiöſem Mythus und Pflanzenwelt, welchen wir zu deuten gegenwärtig noch ganz außer Stand ſind. Die Deu- tung der Roſe und Myrte zum Beiſpiel auf Liebe und Ehe, ſchon den alten Völkern geläufig, beruht ſicher nicht auf einem bloßen äſthe- tiſchen Wohlgefallen, ſondern auf einer tiefern Beziehung zum griechiſchen Naturcultus, deren Entzifferung uns auch wohl erklären *) Pinus maritima. „Poſeidons Fichtenhain.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/313
Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/313>, abgerufen am 26.05.2024.