wir mit dem Scheine der größten Wahrheit, mit mathematischer Gewißheit nämlich, diese Welt so auffassen als ob sie dem ewigen und heiligen Urheber der Dinge entfremdet wäre. Ein Nebelschleier, den wir nicht zu heben vermögen, macht uns die Anschauung des Gött- lichen in der Natur unmöglich, aber es wird, es muß ein Zustand kommen, wo Raum und Zeit, diese Schranken unserer menschlichen Auffassungsweise, fallen und wir schauen, was wir jetzt nur ahnen.
"Wir sehen jetzt durch einen Spiegel, in einem dunkeln Wort, dann aber von Angesicht zu Angesicht."
Jene scheinbar so feste, klare mathematische Auffassung der Na- tur, und mit ihr alle Wissenschaft, ist also im Grunde die dürftigste, niedrigste, unwahrste, weil sie nur die menschlich beschränkte ist. Aber so wie der dem Menschen erscheinenden Natur die hehre Gotteswelt zum Grunde liegt, so lebt auch in uns, ungeachtet unseres menschlich beschränkten Zustandes, der göttliche Funke, nicht erloschen, sondern nur für die Zeit durch Staub und Asche bedeckt. Dieser Funke, die Sehnsucht nach dem Ewigen, Unverderblichen, fordert zu seiner Be- friedigung das ihm Gleichartige, und ahnt in der Erscheinung das Wesen, im naturgesetzlichen Mechanismus der todten Mas- sen das freie Göttliche, und was er niemals in klaren Begriffen auszusprechen vermag, lebt gleichwohl als sein edelstes Erbtheil in den Gefühlen seines Herzens. Das eben ist es, was ihm als uner- klärbar, unbegreiflich in der Natur entgegentritt, was sich jeder wissenschaftlichen Behandlung entzieht und doch als ein Besseres, Höheres denn alle Wissenschaft ankündigt, das ist es was uns als Schönheit in der Natur mit unendlichem Entzücken erfüllt, oder als Erhabenheit mit unaussprechlich heiligen Schauern durchbebt.
Und hier schließt die Entwicklung zu einem Ring zusammen; auf der höchsten Stufe der Bildung gewinnen wir mit Bewußtseyn und geläuterter Einsicht Das wieder, womit unbewußt der kind- liche Verstand begonnen. Naturbetrachtung wird wieder Gottes- dienst, aber erst nachdem wir alles Ungöttliche, Menschliche, alles wissenschaftlich Erklärbare, gemein Begreifliche aus der Natur abge-
wir mit dem Scheine der größten Wahrheit, mit mathematiſcher Gewißheit nämlich, dieſe Welt ſo auffaſſen als ob ſie dem ewigen und heiligen Urheber der Dinge entfremdet wäre. Ein Nebelſchleier, den wir nicht zu heben vermögen, macht uns die Anſchauung des Gött- lichen in der Natur unmöglich, aber es wird, es muß ein Zuſtand kommen, wo Raum und Zeit, dieſe Schranken unſerer menſchlichen Auffaſſungsweiſe, fallen und wir ſchauen, was wir jetzt nur ahnen.
„Wir ſehen jetzt durch einen Spiegel, in einem dunkeln Wort, dann aber von Angeſicht zu Angeſicht.“
Jene ſcheinbar ſo feſte, klare mathematiſche Auffaſſung der Na- tur, und mit ihr alle Wiſſenſchaft, iſt alſo im Grunde die dürftigſte, niedrigſte, unwahrſte, weil ſie nur die menſchlich beſchränkte iſt. Aber ſo wie der dem Menſchen erſcheinenden Natur die hehre Gotteswelt zum Grunde liegt, ſo lebt auch in uns, ungeachtet unſeres menſchlich beſchränkten Zuſtandes, der göttliche Funke, nicht erloſchen, ſondern nur für die Zeit durch Staub und Aſche bedeckt. Dieſer Funke, die Sehnſucht nach dem Ewigen, Unverderblichen, fordert zu ſeiner Be- friedigung das ihm Gleichartige, und ahnt in der Erſcheinung das Weſen, im naturgeſetzlichen Mechanismus der todten Maſ- ſen das freie Göttliche, und was er niemals in klaren Begriffen auszuſprechen vermag, lebt gleichwohl als ſein edelſtes Erbtheil in den Gefühlen ſeines Herzens. Das eben iſt es, was ihm als uner- klärbar, unbegreiflich in der Natur entgegentritt, was ſich jeder wiſſenſchaftlichen Behandlung entzieht und doch als ein Beſſeres, Höheres denn alle Wiſſenſchaft ankündigt, das iſt es was uns als Schönheit in der Natur mit unendlichem Entzücken erfüllt, oder als Erhabenheit mit unausſprechlich heiligen Schauern durchbebt.
Und hier ſchließt die Entwicklung zu einem Ring zuſammen; auf der höchſten Stufe der Bildung gewinnen wir mit Bewußtſeyn und geläuterter Einſicht Das wieder, womit unbewußt der kind- liche Verſtand begonnen. Naturbetrachtung wird wieder Gottes- dienſt, aber erſt nachdem wir alles Ungöttliche, Menſchliche, alles wiſſenſchaftlich Erklärbare, gemein Begreifliche aus der Natur abge-
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wir mit dem Scheine der größten Wahrheit, mit mathematiſcher
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wir nicht zu heben vermögen, macht uns die Anſchauung des Gött-
lichen in der Natur unmöglich, aber es wird, es muß ein Zuſtand
kommen, wo Raum und Zeit, dieſe Schranken unſerer menſchlichen
Auffaſſungsweiſe, fallen und wir ſchauen, was wir jetzt nur ahnen.
„Wir ſehen jetzt durch einen Spiegel, in einem dunkeln Wort,
dann aber von Angeſicht zu Angeſicht.“
Jene ſcheinbar ſo feſte, klare mathematiſche Auffaſſung der Na-
tur, und mit ihr alle Wiſſenſchaft, iſt alſo im Grunde die dürftigſte,
niedrigſte, unwahrſte, weil ſie nur die menſchlich beſchränkte iſt. Aber
ſo wie der dem Menſchen erſcheinenden Natur die hehre Gotteswelt
zum Grunde liegt, ſo lebt auch in uns, ungeachtet unſeres menſchlich
beſchränkten Zuſtandes, der göttliche Funke, nicht erloſchen, ſondern
nur für die Zeit durch Staub und Aſche bedeckt. Dieſer Funke, die
Sehnſucht nach dem Ewigen, Unverderblichen, fordert zu ſeiner Be-
friedigung das ihm Gleichartige, und ahnt in der Erſcheinung das
Weſen, im naturgeſetzlichen Mechanismus der todten Maſ-
ſen das freie Göttliche, und was er niemals in klaren Begriffen
auszuſprechen vermag, lebt gleichwohl als ſein edelſtes Erbtheil in
den Gefühlen ſeines Herzens. Das eben iſt es, was ihm als uner-
klärbar, unbegreiflich in der Natur entgegentritt, was ſich jeder
wiſſenſchaftlichen Behandlung entzieht und doch als ein Beſſeres,
Höheres denn alle Wiſſenſchaft ankündigt, das iſt es was uns als
Schönheit in der Natur mit unendlichem Entzücken erfüllt, oder als
Erhabenheit mit unausſprechlich heiligen Schauern durchbebt.
Und hier ſchließt die Entwicklung zu einem Ring zuſammen;
auf der höchſten Stufe der Bildung gewinnen wir mit Bewußtſeyn
und geläuterter Einſicht Das wieder, womit unbewußt der kind-
liche Verſtand begonnen. Naturbetrachtung wird wieder Gottes-
dienſt, aber erſt nachdem wir alles Ungöttliche, Menſchliche, alles
wiſſenſchaftlich Erklärbare, gemein Begreifliche aus der Natur abge-
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/310>, abgerufen am 17.07.2024.
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