Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

wir mit dem Scheine der größten Wahrheit, mit mathematischer
Gewißheit nämlich, diese Welt so auffassen als ob sie dem ewigen und
heiligen Urheber der Dinge entfremdet wäre. Ein Nebelschleier, den
wir nicht zu heben vermögen, macht uns die Anschauung des Gött-
lichen in der Natur unmöglich, aber es wird, es muß ein Zustand
kommen, wo Raum und Zeit, diese Schranken unserer menschlichen
Auffassungsweise, fallen und wir schauen, was wir jetzt nur ahnen.

"Wir sehen jetzt durch einen Spiegel, in einem dunkeln Wort,
dann aber von Angesicht zu Angesicht."

Jene scheinbar so feste, klare mathematische Auffassung der Na-
tur, und mit ihr alle Wissenschaft, ist also im Grunde die dürftigste,
niedrigste, unwahrste, weil sie nur die menschlich beschränkte ist. Aber
so wie der dem Menschen erscheinenden Natur die hehre Gotteswelt
zum Grunde liegt, so lebt auch in uns, ungeachtet unseres menschlich
beschränkten Zustandes, der göttliche Funke, nicht erloschen, sondern
nur für die Zeit durch Staub und Asche bedeckt. Dieser Funke, die
Sehnsucht nach dem Ewigen, Unverderblichen, fordert zu seiner Be-
friedigung das ihm Gleichartige, und ahnt in der Erscheinung das
Wesen, im naturgesetzlichen Mechanismus der todten Mas-
sen das freie Göttliche, und was er niemals in klaren Begriffen
auszusprechen vermag, lebt gleichwohl als sein edelstes Erbtheil in
den Gefühlen seines Herzens. Das eben ist es, was ihm als uner-
klärbar, unbegreiflich in der Natur entgegentritt, was sich jeder
wissenschaftlichen Behandlung entzieht und doch als ein Besseres,
Höheres denn alle Wissenschaft ankündigt, das ist es was uns als
Schönheit in der Natur mit unendlichem Entzücken erfüllt, oder als
Erhabenheit mit unaussprechlich heiligen Schauern durchbebt.

Und hier schließt die Entwicklung zu einem Ring zusammen;
auf der höchsten Stufe der Bildung gewinnen wir mit Bewußtseyn
und geläuterter Einsicht Das wieder, womit unbewußt der kind-
liche Verstand begonnen. Naturbetrachtung wird wieder Gottes-
dienst, aber erst nachdem wir alles Ungöttliche, Menschliche, alles
wissenschaftlich Erklärbare, gemein Begreifliche aus der Natur abge-

wir mit dem Scheine der größten Wahrheit, mit mathematiſcher
Gewißheit nämlich, dieſe Welt ſo auffaſſen als ob ſie dem ewigen und
heiligen Urheber der Dinge entfremdet wäre. Ein Nebelſchleier, den
wir nicht zu heben vermögen, macht uns die Anſchauung des Gött-
lichen in der Natur unmöglich, aber es wird, es muß ein Zuſtand
kommen, wo Raum und Zeit, dieſe Schranken unſerer menſchlichen
Auffaſſungsweiſe, fallen und wir ſchauen, was wir jetzt nur ahnen.

„Wir ſehen jetzt durch einen Spiegel, in einem dunkeln Wort,
dann aber von Angeſicht zu Angeſicht.“

Jene ſcheinbar ſo feſte, klare mathematiſche Auffaſſung der Na-
tur, und mit ihr alle Wiſſenſchaft, iſt alſo im Grunde die dürftigſte,
niedrigſte, unwahrſte, weil ſie nur die menſchlich beſchränkte iſt. Aber
ſo wie der dem Menſchen erſcheinenden Natur die hehre Gotteswelt
zum Grunde liegt, ſo lebt auch in uns, ungeachtet unſeres menſchlich
beſchränkten Zuſtandes, der göttliche Funke, nicht erloſchen, ſondern
nur für die Zeit durch Staub und Aſche bedeckt. Dieſer Funke, die
Sehnſucht nach dem Ewigen, Unverderblichen, fordert zu ſeiner Be-
friedigung das ihm Gleichartige, und ahnt in der Erſcheinung das
Weſen, im naturgeſetzlichen Mechanismus der todten Maſ-
ſen das freie Göttliche, und was er niemals in klaren Begriffen
auszuſprechen vermag, lebt gleichwohl als ſein edelſtes Erbtheil in
den Gefühlen ſeines Herzens. Das eben iſt es, was ihm als uner-
klärbar, unbegreiflich in der Natur entgegentritt, was ſich jeder
wiſſenſchaftlichen Behandlung entzieht und doch als ein Beſſeres,
Höheres denn alle Wiſſenſchaft ankündigt, das iſt es was uns als
Schönheit in der Natur mit unendlichem Entzücken erfüllt, oder als
Erhabenheit mit unausſprechlich heiligen Schauern durchbebt.

Und hier ſchließt die Entwicklung zu einem Ring zuſammen;
auf der höchſten Stufe der Bildung gewinnen wir mit Bewußtſeyn
und geläuterter Einſicht Das wieder, womit unbewußt der kind-
liche Verſtand begonnen. Naturbetrachtung wird wieder Gottes-
dienſt, aber erſt nachdem wir alles Ungöttliche, Menſchliche, alles
wiſſenſchaftlich Erklärbare, gemein Begreifliche aus der Natur abge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0310" n="294"/>
wir mit dem Scheine der größten Wahrheit, mit mathemati&#x017F;cher<lb/>
Gewißheit nämlich, die&#x017F;e Welt &#x017F;o auffa&#x017F;&#x017F;en als ob &#x017F;ie dem ewigen und<lb/>
heiligen Urheber der Dinge entfremdet wäre. Ein Nebel&#x017F;chleier, den<lb/>
wir nicht zu heben vermögen, macht uns die An&#x017F;chauung des Gött-<lb/>
lichen in der Natur unmöglich, aber es wird, es muß ein Zu&#x017F;tand<lb/>
kommen, wo Raum und Zeit, die&#x017F;e Schranken un&#x017F;erer men&#x017F;chlichen<lb/>
Auffa&#x017F;&#x017F;ungswei&#x017F;e, fallen und wir <hi rendition="#g">&#x017F;chauen</hi>, was wir jetzt nur <hi rendition="#g">ahnen</hi>.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wir &#x017F;ehen jetzt durch einen Spiegel, in einem dunkeln Wort,<lb/>
dann aber von Ange&#x017F;icht zu Ange&#x017F;icht.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Jene &#x017F;cheinbar &#x017F;o fe&#x017F;te, klare mathemati&#x017F;che Auffa&#x017F;&#x017F;ung der Na-<lb/>
tur, und mit ihr alle Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, i&#x017F;t al&#x017F;o im Grunde die dürftig&#x017F;te,<lb/>
niedrig&#x017F;te, unwahr&#x017F;te, weil &#x017F;ie nur die men&#x017F;chlich be&#x017F;chränkte i&#x017F;t. Aber<lb/>
&#x017F;o wie der dem Men&#x017F;chen er&#x017F;cheinenden Natur die hehre Gotteswelt<lb/>
zum Grunde liegt, &#x017F;o lebt auch in uns, ungeachtet un&#x017F;eres men&#x017F;chlich<lb/>
be&#x017F;chränkten Zu&#x017F;tandes, der göttliche Funke, nicht erlo&#x017F;chen, &#x017F;ondern<lb/>
nur für die Zeit durch Staub und A&#x017F;che bedeckt. Die&#x017F;er Funke, die<lb/>
Sehn&#x017F;ucht nach dem Ewigen, Unverderblichen, fordert zu &#x017F;einer Be-<lb/>
friedigung das ihm Gleichartige, und ahnt in der <hi rendition="#g">Er&#x017F;cheinung</hi> das<lb/><hi rendition="#g">We&#x017F;en</hi>, im <hi rendition="#g">naturge&#x017F;etzlichen Mechanismus</hi> der todten Ma&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en das <hi rendition="#g">freie Göttliche</hi>, und was er niemals in klaren Begriffen<lb/>
auszu&#x017F;prechen vermag, lebt gleichwohl als &#x017F;ein edel&#x017F;tes Erbtheil in<lb/>
den Gefühlen &#x017F;eines Herzens. Das eben i&#x017F;t es, was ihm als uner-<lb/>
klärbar, unbegreiflich in der Natur entgegentritt, was &#x017F;ich jeder<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Behandlung entzieht und doch als ein Be&#x017F;&#x017F;eres,<lb/>
Höheres denn alle Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft ankündigt, das i&#x017F;t es was uns als<lb/>
Schönheit in der Natur mit unendlichem Entzücken erfüllt, oder als<lb/>
Erhabenheit mit unaus&#x017F;prechlich heiligen Schauern durchbebt.</p><lb/>
        <p>Und hier &#x017F;chließt die Entwicklung zu einem Ring zu&#x017F;ammen;<lb/>
auf der höch&#x017F;ten Stufe der Bildung gewinnen wir mit Bewußt&#x017F;eyn<lb/>
und geläuterter Ein&#x017F;icht Das wieder, womit unbewußt der kind-<lb/>
liche Ver&#x017F;tand begonnen. Naturbetrachtung wird wieder Gottes-<lb/>
dien&#x017F;t, aber er&#x017F;t nachdem wir alles Ungöttliche, Men&#x017F;chliche, alles<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlich Erklärbare, gemein Begreifliche aus der Natur abge-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[294/0310] wir mit dem Scheine der größten Wahrheit, mit mathematiſcher Gewißheit nämlich, dieſe Welt ſo auffaſſen als ob ſie dem ewigen und heiligen Urheber der Dinge entfremdet wäre. Ein Nebelſchleier, den wir nicht zu heben vermögen, macht uns die Anſchauung des Gött- lichen in der Natur unmöglich, aber es wird, es muß ein Zuſtand kommen, wo Raum und Zeit, dieſe Schranken unſerer menſchlichen Auffaſſungsweiſe, fallen und wir ſchauen, was wir jetzt nur ahnen. „Wir ſehen jetzt durch einen Spiegel, in einem dunkeln Wort, dann aber von Angeſicht zu Angeſicht.“ Jene ſcheinbar ſo feſte, klare mathematiſche Auffaſſung der Na- tur, und mit ihr alle Wiſſenſchaft, iſt alſo im Grunde die dürftigſte, niedrigſte, unwahrſte, weil ſie nur die menſchlich beſchränkte iſt. Aber ſo wie der dem Menſchen erſcheinenden Natur die hehre Gotteswelt zum Grunde liegt, ſo lebt auch in uns, ungeachtet unſeres menſchlich beſchränkten Zuſtandes, der göttliche Funke, nicht erloſchen, ſondern nur für die Zeit durch Staub und Aſche bedeckt. Dieſer Funke, die Sehnſucht nach dem Ewigen, Unverderblichen, fordert zu ſeiner Be- friedigung das ihm Gleichartige, und ahnt in der Erſcheinung das Weſen, im naturgeſetzlichen Mechanismus der todten Maſ- ſen das freie Göttliche, und was er niemals in klaren Begriffen auszuſprechen vermag, lebt gleichwohl als ſein edelſtes Erbtheil in den Gefühlen ſeines Herzens. Das eben iſt es, was ihm als uner- klärbar, unbegreiflich in der Natur entgegentritt, was ſich jeder wiſſenſchaftlichen Behandlung entzieht und doch als ein Beſſeres, Höheres denn alle Wiſſenſchaft ankündigt, das iſt es was uns als Schönheit in der Natur mit unendlichem Entzücken erfüllt, oder als Erhabenheit mit unausſprechlich heiligen Schauern durchbebt. Und hier ſchließt die Entwicklung zu einem Ring zuſammen; auf der höchſten Stufe der Bildung gewinnen wir mit Bewußtſeyn und geläuterter Einſicht Das wieder, womit unbewußt der kind- liche Verſtand begonnen. Naturbetrachtung wird wieder Gottes- dienſt, aber erſt nachdem wir alles Ungöttliche, Menſchliche, alles wiſſenſchaftlich Erklärbare, gemein Begreifliche aus der Natur abge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/310
Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/310>, abgerufen am 19.05.2024.