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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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Vortheil für ihn im Unterstützen der Natur oder auch nur im Schonen
derselben lag, wo es sich ja nur um das Elend von ein Paar Millio-
nen Nachgeborner handelte, hat er mit barbarischer Rohheit zerstört
und vernichtet, auf Jahrtausende hinaus oft den nicht nur ihm, son-
dern auch seinen Nachkommen verliehenen Segen Gottes liederlich ver-
schleudert. Und hat er sich bemüht, den Tempel Gottes zur allge-
meinen Verehrung zu schmücken und zu heiligen? O nein, bei seinem
eigennützigen Treiben, bei den Kummerthränen des durch seine Schuld
elend gewordenen Bruders, bei dem Heulen des gepeitschten Sclaven
war ihm die beständige Erinnerung an Gott unangenehm und störend,
er erklärte das Wehen des göttlichen Odems in der Natur für ein
Ammenmährchen, um nicht mehr durch sein Gewissen erschreckt zu
werden. Die Schönheit, der Ausdruck des Göttlichen in der Natur
verschwand vor der eigennützigen Ausbeutung der Pflanzenwelt und
höchstens, engherzig nur für sich sorgend, grenzte sich der Einzelne ein
Räumchen ein, in dem er die Schönheit der Natur nicht als Cultus,
sondern als Sinnenreiz pflegte. Das sind bis jetzt die Thaten der
Menschen, nach Jahrtausenden hoffen wir Besseres berichten zu können,
denn wir verzweifeln nicht an der Menschheit, in ihr liegt der Keim
des Göttlichen, der ewiger Entwicklung fähig und für dieselbe be-
stimmt ist. Aber spottend möchten wir dem Geschrei über unsere hohe
Bildung entgegentreten, da doch jede ernste ethische Betrachtung der
Geschichte uns sagen könnte, daß wir uns kaum etwas aus dem Koth
der tiefsten Erniedrigung und Rohheit hervorgearbeitet. Möchten
die folgenden Thatsachen vielleicht in besserer Weise benutzt, die
Anhaltepuncte zur Erlangung eines etwas besseren Resultates ge-
währen können.

Die Wiege des Menschengeschlechts, für uns in unerforschliche
Ferne gerückt, stand wahrscheinlich in einem wärmern halbtropischen
Clima, beschattet von den breiten Blättern der Banane, des Pi-
sangs
und dem zartgefiederten Laub der Dattelpalme. Was des
Menschen erste Nahrung war, wissen wir nicht, aber früh schon scheint
er sich der genannten beiden Pflanzen bemächtigt zu haben, denn beide

Schleiden, Pflanze. 18

Vortheil für ihn im Unterſtützen der Natur oder auch nur im Schonen
derſelben lag, wo es ſich ja nur um das Elend von ein Paar Millio-
nen Nachgeborner handelte, hat er mit barbariſcher Rohheit zerſtört
und vernichtet, auf Jahrtauſende hinaus oft den nicht nur ihm, ſon-
dern auch ſeinen Nachkommen verliehenen Segen Gottes liederlich ver-
ſchleudert. Und hat er ſich bemüht, den Tempel Gottes zur allge-
meinen Verehrung zu ſchmücken und zu heiligen? O nein, bei ſeinem
eigennützigen Treiben, bei den Kummerthränen des durch ſeine Schuld
elend gewordenen Bruders, bei dem Heulen des gepeitſchten Sclaven
war ihm die beſtändige Erinnerung an Gott unangenehm und ſtörend,
er erklärte das Wehen des göttlichen Odems in der Natur für ein
Ammenmährchen, um nicht mehr durch ſein Gewiſſen erſchreckt zu
werden. Die Schönheit, der Ausdruck des Göttlichen in der Natur
verſchwand vor der eigennützigen Ausbeutung der Pflanzenwelt und
höchſtens, engherzig nur für ſich ſorgend, grenzte ſich der Einzelne ein
Räumchen ein, in dem er die Schönheit der Natur nicht als Cultus,
ſondern als Sinnenreiz pflegte. Das ſind bis jetzt die Thaten der
Menſchen, nach Jahrtauſenden hoffen wir Beſſeres berichten zu können,
denn wir verzweifeln nicht an der Menſchheit, in ihr liegt der Keim
des Göttlichen, der ewiger Entwicklung fähig und für dieſelbe be-
ſtimmt iſt. Aber ſpottend möchten wir dem Geſchrei über unſere hohe
Bildung entgegentreten, da doch jede ernſte ethiſche Betrachtung der
Geſchichte uns ſagen könnte, daß wir uns kaum etwas aus dem Koth
der tiefſten Erniedrigung und Rohheit hervorgearbeitet. Möchten
die folgenden Thatſachen vielleicht in beſſerer Weiſe benutzt, die
Anhaltepuncte zur Erlangung eines etwas beſſeren Reſultates ge-
währen können.

Die Wiege des Menſchengeſchlechts, für uns in unerforſchliche
Ferne geruͤckt, ſtand wahrſcheinlich in einem wärmern halbtropiſchen
Clima, beſchattet von den breiten Blättern der Banane, des Pi-
ſangs
und dem zartgefiederten Laub der Dattelpalme. Was des
Menſchen erſte Nahrung war, wiſſen wir nicht, aber früh ſchon ſcheint
er ſich der genannten beiden Pflanzen bemächtigt zu haben, denn beide

Schleiden, Pflanze. 18
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[273/0289] Vortheil für ihn im Unterſtützen der Natur oder auch nur im Schonen derſelben lag, wo es ſich ja nur um das Elend von ein Paar Millio- nen Nachgeborner handelte, hat er mit barbariſcher Rohheit zerſtört und vernichtet, auf Jahrtauſende hinaus oft den nicht nur ihm, ſon- dern auch ſeinen Nachkommen verliehenen Segen Gottes liederlich ver- ſchleudert. Und hat er ſich bemüht, den Tempel Gottes zur allge- meinen Verehrung zu ſchmücken und zu heiligen? O nein, bei ſeinem eigennützigen Treiben, bei den Kummerthränen des durch ſeine Schuld elend gewordenen Bruders, bei dem Heulen des gepeitſchten Sclaven war ihm die beſtändige Erinnerung an Gott unangenehm und ſtörend, er erklärte das Wehen des göttlichen Odems in der Natur für ein Ammenmährchen, um nicht mehr durch ſein Gewiſſen erſchreckt zu werden. Die Schönheit, der Ausdruck des Göttlichen in der Natur verſchwand vor der eigennützigen Ausbeutung der Pflanzenwelt und höchſtens, engherzig nur für ſich ſorgend, grenzte ſich der Einzelne ein Räumchen ein, in dem er die Schönheit der Natur nicht als Cultus, ſondern als Sinnenreiz pflegte. Das ſind bis jetzt die Thaten der Menſchen, nach Jahrtauſenden hoffen wir Beſſeres berichten zu können, denn wir verzweifeln nicht an der Menſchheit, in ihr liegt der Keim des Göttlichen, der ewiger Entwicklung fähig und für dieſelbe be- ſtimmt iſt. Aber ſpottend möchten wir dem Geſchrei über unſere hohe Bildung entgegentreten, da doch jede ernſte ethiſche Betrachtung der Geſchichte uns ſagen könnte, daß wir uns kaum etwas aus dem Koth der tiefſten Erniedrigung und Rohheit hervorgearbeitet. Möchten die folgenden Thatſachen vielleicht in beſſerer Weiſe benutzt, die Anhaltepuncte zur Erlangung eines etwas beſſeren Reſultates ge- währen können. Die Wiege des Menſchengeſchlechts, für uns in unerforſchliche Ferne geruͤckt, ſtand wahrſcheinlich in einem wärmern halbtropiſchen Clima, beſchattet von den breiten Blättern der Banane, des Pi- ſangs und dem zartgefiederten Laub der Dattelpalme. Was des Menſchen erſte Nahrung war, wiſſen wir nicht, aber früh ſchon ſcheint er ſich der genannten beiden Pflanzen bemächtigt zu haben, denn beide Schleiden, Pflanze. 18

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/289>, abgerufen am 25.11.2024.