Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

auf den zweiten, gleich zu erwähnenden Punct eine auch noch so hohe
Stufe erstiegen haben. --

Die zweite Anforderung, die an die Menschen gestellt ist, bezieht
sich dagegen auf ihre Ausbildung für ihren beschränkten Standpunct
auf der Erde. Hier ist die Aufgabe, jede körperliche und geistige Seite
unseres Wesens zur vollkommensten Ausbildungsstufe zu erheben, um
dadurch die Erreichung des erstgenannten Ziels zu erleichtern und zu
sichern. Hierher gehören alle Wissenschaften, die die Verhältnisse für
Staat und Kirche, für Natur und Kunst, Genuß und Bequemlichkeit
ordnen und fördern; Alle zusammen, mag man sie übrigens unter den
Menschen hoch oder niedrig schätzen, stehen darin auf einer und der-
selben nichtigen Stufe, daß ihre Bedeutung sogleich mit diesem Leben
aufhört, daß sie nur hier auf unserem kleinen Sonnenstäubchen der
Erde, Geltung und Werth haben. Hier mag einer Großes geleistet
haben, es giebt ihm nicht den leisesten Anspruch auf meine Achtung,
meine Anerkennung, wenn er der höheren Anforderung sittlich reli-
giöser Ausbildung nicht nachgekommen ist. Was er etwa als Künst-
ler, als Gelehrter geleistet, ich nehme es an und verwende es für
meinen Nutzen, aber ohne Dank, wie ich das Geldstück einstecke, was
ich finde, während ich den Schmutzwisch, in den es gewickelt war,
mit Ekel von mir werfe. Was auf jenem Gebiete erlangt wird, be-
schließt sich im Individuum, mit dem dieselbe Entwicklung stets wieder
von Neuem beginnt, giebt ihm und nur ihm einen Werth. Was hier
allmälig errungen ist gehört nicht dem Einzelnen, sondern der Mensch-
heit und eine Zeit knüpft da an, wo die vorige aufhörte. Die Leistung
des Einzelnen hat zwar Werth für die Menschheit, sie verleiht aber
dem Einzelnen selbst keinen Werth.

Auf der andern Seite darf ich meine Achtung, meine Anerken-
nung eines edlen, geistigen Wesens auch dem nicht entziehen, der
durch sittlich religiöses Leben seine Berechtigung auf diese Anerken-
nung erwiesen hat, mag er auch noch so wenig in irgend einem
anderen Zweige menschlicher Ausbildung erreicht haben. Die letz-
tere Anforderung ist nämlich keine nothwendige und gleiche für alle

auf den zweiten, gleich zu erwähnenden Punct eine auch noch ſo hohe
Stufe erſtiegen haben. —

Die zweite Anforderung, die an die Menſchen geſtellt iſt, bezieht
ſich dagegen auf ihre Ausbildung für ihren beſchränkten Standpunct
auf der Erde. Hier iſt die Aufgabe, jede körperliche und geiſtige Seite
unſeres Weſens zur vollkommenſten Ausbildungsſtufe zu erheben, um
dadurch die Erreichung des erſtgenannten Ziels zu erleichtern und zu
ſichern. Hierher gehören alle Wiſſenſchaften, die die Verhältniſſe für
Staat und Kirche, für Natur und Kunſt, Genuß und Bequemlichkeit
ordnen und fördern; Alle zuſammen, mag man ſie übrigens unter den
Menſchen hoch oder niedrig ſchätzen, ſtehen darin auf einer und der-
ſelben nichtigen Stufe, daß ihre Bedeutung ſogleich mit dieſem Leben
aufhört, daß ſie nur hier auf unſerem kleinen Sonnenſtäubchen der
Erde, Geltung und Werth haben. Hier mag einer Großes geleiſtet
haben, es giebt ihm nicht den leiſeſten Anſpruch auf meine Achtung,
meine Anerkennung, wenn er der höheren Anforderung ſittlich reli-
giöſer Ausbildung nicht nachgekommen iſt. Was er etwa als Künſt-
ler, als Gelehrter geleiſtet, ich nehme es an und verwende es für
meinen Nutzen, aber ohne Dank, wie ich das Geldſtück einſtecke, was
ich finde, während ich den Schmutzwiſch, in den es gewickelt war,
mit Ekel von mir werfe. Was auf jenem Gebiete erlangt wird, be-
ſchließt ſich im Individuum, mit dem dieſelbe Entwicklung ſtets wieder
von Neuem beginnt, giebt ihm und nur ihm einen Werth. Was hier
allmälig errungen iſt gehört nicht dem Einzelnen, ſondern der Menſch-
heit und eine Zeit knüpft da an, wo die vorige aufhörte. Die Leiſtung
des Einzelnen hat zwar Werth für die Menſchheit, ſie verleiht aber
dem Einzelnen ſelbſt keinen Werth.

Auf der andern Seite darf ich meine Achtung, meine Anerken-
nung eines edlen, geiſtigen Weſens auch dem nicht entziehen, der
durch ſittlich religiöſes Leben ſeine Berechtigung auf dieſe Anerken-
nung erwieſen hat, mag er auch noch ſo wenig in irgend einem
anderen Zweige menſchlicher Ausbildung erreicht haben. Die letz-
tere Anforderung iſt nämlich keine nothwendige und gleiche für alle

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0236" n="220"/>
auf den zweiten, gleich zu erwähnenden Punct eine auch noch &#x017F;o hohe<lb/>
Stufe er&#x017F;tiegen haben. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Die zweite Anforderung, die an die Men&#x017F;chen ge&#x017F;tellt i&#x017F;t, bezieht<lb/>
&#x017F;ich dagegen auf ihre Ausbildung für ihren be&#x017F;chränkten Standpunct<lb/>
auf der Erde. Hier i&#x017F;t die Aufgabe, jede körperliche und gei&#x017F;tige Seite<lb/>
un&#x017F;eres We&#x017F;ens zur vollkommen&#x017F;ten Ausbildungs&#x017F;tufe zu erheben, um<lb/>
dadurch die Erreichung des er&#x017F;tgenannten Ziels zu erleichtern und zu<lb/>
&#x017F;ichern. Hierher gehören alle Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, die die Verhältni&#x017F;&#x017F;e für<lb/>
Staat und Kirche, für Natur und Kun&#x017F;t, Genuß und Bequemlichkeit<lb/>
ordnen und fördern; Alle zu&#x017F;ammen, mag man &#x017F;ie übrigens unter den<lb/>
Men&#x017F;chen hoch oder niedrig &#x017F;chätzen, &#x017F;tehen darin auf einer und der-<lb/>
&#x017F;elben nichtigen Stufe, daß ihre Bedeutung &#x017F;ogleich mit die&#x017F;em Leben<lb/>
aufhört, daß &#x017F;ie nur hier auf un&#x017F;erem kleinen Sonnen&#x017F;täubchen der<lb/>
Erde, Geltung und Werth haben. Hier mag einer Großes gelei&#x017F;tet<lb/>
haben, es giebt ihm nicht den lei&#x017F;e&#x017F;ten An&#x017F;pruch auf meine Achtung,<lb/>
meine Anerkennung, wenn er der höheren Anforderung &#x017F;ittlich reli-<lb/>
giö&#x017F;er Ausbildung nicht nachgekommen i&#x017F;t. Was er etwa als Kün&#x017F;t-<lb/>
ler, als Gelehrter gelei&#x017F;tet, ich nehme es an und verwende es für<lb/>
meinen Nutzen, aber ohne Dank, wie ich das Geld&#x017F;tück ein&#x017F;tecke, was<lb/>
ich finde, während ich den Schmutzwi&#x017F;ch, in den es gewickelt war,<lb/>
mit Ekel von mir werfe. Was auf <hi rendition="#g">jenem</hi> Gebiete erlangt wird, be-<lb/>
&#x017F;chließt &#x017F;ich im Individuum, mit dem die&#x017F;elbe Entwicklung &#x017F;tets wieder<lb/>
von Neuem beginnt, giebt ihm und nur ihm einen Werth. Was <hi rendition="#g">hier</hi><lb/>
allmälig errungen i&#x017F;t gehört nicht dem Einzelnen, &#x017F;ondern der Men&#x017F;ch-<lb/>
heit und eine Zeit knüpft da an, wo die vorige aufhörte. Die Lei&#x017F;tung<lb/>
des Einzelnen hat zwar Werth für die Men&#x017F;chheit, &#x017F;ie verleiht aber<lb/>
dem Einzelnen &#x017F;elb&#x017F;t keinen Werth.</p><lb/>
          <p>Auf der andern Seite darf ich meine Achtung, meine Anerken-<lb/>
nung eines edlen, gei&#x017F;tigen We&#x017F;ens auch dem nicht entziehen, der<lb/>
durch &#x017F;ittlich religiö&#x017F;es Leben &#x017F;eine Berechtigung auf die&#x017F;e Anerken-<lb/>
nung erwie&#x017F;en hat, mag er auch noch &#x017F;o wenig in irgend einem<lb/>
anderen Zweige men&#x017F;chlicher Ausbildung erreicht haben. Die letz-<lb/>
tere Anforderung i&#x017F;t nämlich keine nothwendige und gleiche für alle<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[220/0236] auf den zweiten, gleich zu erwähnenden Punct eine auch noch ſo hohe Stufe erſtiegen haben. — Die zweite Anforderung, die an die Menſchen geſtellt iſt, bezieht ſich dagegen auf ihre Ausbildung für ihren beſchränkten Standpunct auf der Erde. Hier iſt die Aufgabe, jede körperliche und geiſtige Seite unſeres Weſens zur vollkommenſten Ausbildungsſtufe zu erheben, um dadurch die Erreichung des erſtgenannten Ziels zu erleichtern und zu ſichern. Hierher gehören alle Wiſſenſchaften, die die Verhältniſſe für Staat und Kirche, für Natur und Kunſt, Genuß und Bequemlichkeit ordnen und fördern; Alle zuſammen, mag man ſie übrigens unter den Menſchen hoch oder niedrig ſchätzen, ſtehen darin auf einer und der- ſelben nichtigen Stufe, daß ihre Bedeutung ſogleich mit dieſem Leben aufhört, daß ſie nur hier auf unſerem kleinen Sonnenſtäubchen der Erde, Geltung und Werth haben. Hier mag einer Großes geleiſtet haben, es giebt ihm nicht den leiſeſten Anſpruch auf meine Achtung, meine Anerkennung, wenn er der höheren Anforderung ſittlich reli- giöſer Ausbildung nicht nachgekommen iſt. Was er etwa als Künſt- ler, als Gelehrter geleiſtet, ich nehme es an und verwende es für meinen Nutzen, aber ohne Dank, wie ich das Geldſtück einſtecke, was ich finde, während ich den Schmutzwiſch, in den es gewickelt war, mit Ekel von mir werfe. Was auf jenem Gebiete erlangt wird, be- ſchließt ſich im Individuum, mit dem dieſelbe Entwicklung ſtets wieder von Neuem beginnt, giebt ihm und nur ihm einen Werth. Was hier allmälig errungen iſt gehört nicht dem Einzelnen, ſondern der Menſch- heit und eine Zeit knüpft da an, wo die vorige aufhörte. Die Leiſtung des Einzelnen hat zwar Werth für die Menſchheit, ſie verleiht aber dem Einzelnen ſelbſt keinen Werth. Auf der andern Seite darf ich meine Achtung, meine Anerken- nung eines edlen, geiſtigen Weſens auch dem nicht entziehen, der durch ſittlich religiöſes Leben ſeine Berechtigung auf dieſe Anerken- nung erwieſen hat, mag er auch noch ſo wenig in irgend einem anderen Zweige menſchlicher Ausbildung erreicht haben. Die letz- tere Anforderung iſt nämlich keine nothwendige und gleiche für alle

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/236
Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/236>, abgerufen am 24.11.2024.