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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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wiß, daß nichts desto weniger in dieser Beziehung von dem einzelnen
Menschen gar wenig erreicht wird. Man wird daraus den Schluß
ziehen, daß es bei Weitem weniger auf die richtige Kenntniß des Ziels
als vielmehr auf die Thätigkeit, durch welche wir dasselbe erstreben, an-
komme. -- Man verwechselt dabei aber zwei wesentlich verschiedene
Standpuncte mit einander und leider geht diese Verirrung durch einen
großen Theil unserer wissenschaftlichen Bestrebungen durch und bringt
ein gutes Theil des Mißverstandenen, Unklaren und Falschen in un-
sere Beurtheilungen hinein. Die Sache liegt so. An den auf Erden
lebenden Menschen wird eine gedoppelte Anforderung, für geistige
Thätigkeit und Entwicklung, gestellt. Die eine betrifft das ethisch-
religiöse Element, die andere seine wissenschaftliche Ausbildung.
Beide greifen ineinander und unterstützen sich gegenseitig; beide sind
aber ihrem Ursprung, ihrem innersten Wesen nach ganz getrennt und
haben eine unendlich verschiedene Bedeutung, entsprechen einer un-
endlich verschiedenen Werthgebung für den Menschen. -- Die ethisch-
religiöse Entwicklung bezieht sich auf den ewigen und unverderblichen
Antheil des Menschen auf seine ewige Seele, also auf das eigentliche
nie aufhörende Ich. -- Hier stellt sich eine allgemeine und nothwen-
dige Anforderung an jeden Menschen, es ist der Punct wo wir alle
vor Gott gleich, gleich berechtigt und gleich belastet sind und zwar
deshalb gleich, weil die einfachste Selbstverständigung schon hinreicht,
die Aufgabe, das Ideal vollkommen und rein zu fassen und auszu-
sprechen. Wir finden deshalb hierin auch keinen nennenswerthen Fort-
schritt in der Geschichte der Menschheit. Von den ältesten bis auf die
neuesten Zeiten sind hier die Anforderungen in gleicher Weise, nur
bald so, bald so im Ausdruck verschieden geformt, klar und bestimmt
hingestellt worden. Hier ist allerdings das Wichtigste für den Ein-
zelnen, jenen Anforderungen zu entsprechen und sich dadurch, daß er
ihnen entspricht, als Mensch im edleren Sinne des Wortes, als ein
zur höheren Vollendung und zu ewiger Dauer bestimmtes Wesen zu
legitimiren. Ohne diese Legitimation hat er keine Berechtigung auf
Achtung, auf Anerkennung irgend einer Art, und möchte er in Bezug

wiß, daß nichts deſto weniger in dieſer Beziehung von dem einzelnen
Menſchen gar wenig erreicht wird. Man wird daraus den Schluß
ziehen, daß es bei Weitem weniger auf die richtige Kenntniß des Ziels
als vielmehr auf die Thätigkeit, durch welche wir daſſelbe erſtreben, an-
komme. — Man verwechſelt dabei aber zwei weſentlich verſchiedene
Standpuncte mit einander und leider geht dieſe Verirrung durch einen
großen Theil unſerer wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen durch und bringt
ein gutes Theil des Mißverſtandenen, Unklaren und Falſchen in un-
ſere Beurtheilungen hinein. Die Sache liegt ſo. An den auf Erden
lebenden Menſchen wird eine gedoppelte Anforderung, für geiſtige
Thätigkeit und Entwicklung, geſtellt. Die eine betrifft das ethiſch-
religiöſe Element, die andere ſeine wiſſenſchaftliche Ausbildung.
Beide greifen ineinander und unterſtützen ſich gegenſeitig; beide ſind
aber ihrem Urſprung, ihrem innerſten Weſen nach ganz getrennt und
haben eine unendlich verſchiedene Bedeutung, entſprechen einer un-
endlich verſchiedenen Werthgebung für den Menſchen. — Die ethiſch-
religiöſe Entwicklung bezieht ſich auf den ewigen und unverderblichen
Antheil des Menſchen auf ſeine ewige Seele, alſo auf das eigentliche
nie aufhörende Ich. — Hier ſtellt ſich eine allgemeine und nothwen-
dige Anforderung an jeden Menſchen, es iſt der Punct wo wir alle
vor Gott gleich, gleich berechtigt und gleich belaſtet ſind und zwar
deshalb gleich, weil die einfachſte Selbſtverſtändigung ſchon hinreicht,
die Aufgabe, das Ideal vollkommen und rein zu faſſen und auszu-
ſprechen. Wir finden deshalb hierin auch keinen nennenswerthen Fort-
ſchritt in der Geſchichte der Menſchheit. Von den älteſten bis auf die
neueſten Zeiten ſind hier die Anforderungen in gleicher Weiſe, nur
bald ſo, bald ſo im Ausdruck verſchieden geformt, klar und beſtimmt
hingeſtellt worden. Hier iſt allerdings das Wichtigſte für den Ein-
zelnen, jenen Anforderungen zu entſprechen und ſich dadurch, daß er
ihnen entſpricht, als Menſch im edleren Sinne des Wortes, als ein
zur höheren Vollendung und zu ewiger Dauer beſtimmtes Weſen zu
legitimiren. Ohne dieſe Legitimation hat er keine Berechtigung auf
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[219/0235] wiß, daß nichts deſto weniger in dieſer Beziehung von dem einzelnen Menſchen gar wenig erreicht wird. Man wird daraus den Schluß ziehen, daß es bei Weitem weniger auf die richtige Kenntniß des Ziels als vielmehr auf die Thätigkeit, durch welche wir daſſelbe erſtreben, an- komme. — Man verwechſelt dabei aber zwei weſentlich verſchiedene Standpuncte mit einander und leider geht dieſe Verirrung durch einen großen Theil unſerer wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen durch und bringt ein gutes Theil des Mißverſtandenen, Unklaren und Falſchen in un- ſere Beurtheilungen hinein. Die Sache liegt ſo. An den auf Erden lebenden Menſchen wird eine gedoppelte Anforderung, für geiſtige Thätigkeit und Entwicklung, geſtellt. Die eine betrifft das ethiſch- religiöſe Element, die andere ſeine wiſſenſchaftliche Ausbildung. Beide greifen ineinander und unterſtützen ſich gegenſeitig; beide ſind aber ihrem Urſprung, ihrem innerſten Weſen nach ganz getrennt und haben eine unendlich verſchiedene Bedeutung, entſprechen einer un- endlich verſchiedenen Werthgebung für den Menſchen. — Die ethiſch- religiöſe Entwicklung bezieht ſich auf den ewigen und unverderblichen Antheil des Menſchen auf ſeine ewige Seele, alſo auf das eigentliche nie aufhörende Ich. — Hier ſtellt ſich eine allgemeine und nothwen- dige Anforderung an jeden Menſchen, es iſt der Punct wo wir alle vor Gott gleich, gleich berechtigt und gleich belaſtet ſind und zwar deshalb gleich, weil die einfachſte Selbſtverſtändigung ſchon hinreicht, die Aufgabe, das Ideal vollkommen und rein zu faſſen und auszu- ſprechen. Wir finden deshalb hierin auch keinen nennenswerthen Fort- ſchritt in der Geſchichte der Menſchheit. Von den älteſten bis auf die neueſten Zeiten ſind hier die Anforderungen in gleicher Weiſe, nur bald ſo, bald ſo im Ausdruck verſchieden geformt, klar und beſtimmt hingeſtellt worden. Hier iſt allerdings das Wichtigſte für den Ein- zelnen, jenen Anforderungen zu entſprechen und ſich dadurch, daß er ihnen entſpricht, als Menſch im edleren Sinne des Wortes, als ein zur höheren Vollendung und zu ewiger Dauer beſtimmtes Weſen zu legitimiren. Ohne dieſe Legitimation hat er keine Berechtigung auf Achtung, auf Anerkennung irgend einer Art, und möchte er in Bezug

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/235>, abgerufen am 23.11.2024.