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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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Luft saugen. Noch in den neusten Zeiten ist dieser Gedanke von Liebig,
dessen organische Chemie so großes Aufsehen gemacht hat, mit den
alten längst widerlegten Gründen wieder aufgefrischt. Man glaubte
nämlich, daß aus der großen Masse des wässrigen Saftes in den
Cacteen, verbunden mit der Thatsache, daß die meisten und gerade die
saftreichsten auf dürrem Sande in fast von aller Dammerde entblößten
Felsenritzen vegetiren, wo sie noch dazu oft drei Viertel des Jahres
den austrocknenden Sonnenstrahlen eines ewig heitern Himmels aus-
gesetzt sind -- aus diesem Zusammentreffen eben glaubte man um so
mehr mit Sicherheit schließen zu dürfen, daß diese Pflanzen ihre
Nahrung aus der Luft anziehen, als man auch noch in unsern Treib-
häusern die Beobachtung machte, daß die Zweige von Cactusstäm-
men abgeschnitten und in einem Winkel vergessen oft ohne Weiteres,
statt abzusterben, weitergewachsen waren und drei und mehr Fuß lange
Aeste getrieben hatten. Erst De Candolle kam auf den richtigen
Weg, indem er solche ohne Boden fortwachsende Cactuszweige wog und
dabei fand, daß die Pflanze so wie größer immer leichter wurde und
daher weit entfernt, aus der Atmosphäre etwas aufzunehmen, viel-
mehr noch an diese abgegeben hatte. Das ganze Wachsen geschieht
hier auf Unkosten des schon früher in dem saftigen Gewebe angesam-
melten Nahrungsstoffes, und erschöpft die Pflanze meist so sehr, daß
sie nachher nicht mehr zu retten ist. Es ist gerade das vollsaftige Ge-
webe, welches die Cactuspflanzen fähig macht, man könnte sie den
Kameelen vergleichen, auf lange Zeit im Voraus sich mit Flüssigkeit
zu versehen und so der regenlosen Jahreszeit trotzen zu können. Dabei
werden sie aber auf eigne Weise durch anatomische Verhältnisse unter-
stützt. Wir wissen durch die Versuche von Hales, daß die Pflanzen
hauptsächlich durch die Blätter das in ihnen enthaltene Wasser ver-
dunsten und gerade Blätter fehlen den Cacteen. Ihr Stamm aber ist
ebenfalls abweichend von allen übrigen Pflanzen mit einer eigenthüm-
lichen lederartigen Haut bekleidet, welche die Verdunstung fast völlig
verhindert. Diese Haut besteht aus sehr sonderbaren fast knorpeligen

Luft ſaugen. Noch in den neuſten Zeiten iſt dieſer Gedanke von Liebig,
deſſen organiſche Chemie ſo großes Aufſehen gemacht hat, mit den
alten längſt widerlegten Gründen wieder aufgefriſcht. Man glaubte
nämlich, daß aus der großen Maſſe des wäſſrigen Saftes in den
Cacteen, verbunden mit der Thatſache, daß die meiſten und gerade die
ſaftreichſten auf dürrem Sande in faſt von aller Dammerde entblößten
Felſenritzen vegetiren, wo ſie noch dazu oft drei Viertel des Jahres
den austrocknenden Sonnenſtrahlen eines ewig heitern Himmels aus-
geſetzt ſind — aus dieſem Zuſammentreffen eben glaubte man um ſo
mehr mit Sicherheit ſchließen zu dürfen, daß dieſe Pflanzen ihre
Nahrung aus der Luft anziehen, als man auch noch in unſern Treib-
häuſern die Beobachtung machte, daß die Zweige von Cactusſtäm-
men abgeſchnitten und in einem Winkel vergeſſen oft ohne Weiteres,
ſtatt abzuſterben, weitergewachſen waren und drei und mehr Fuß lange
Aeſte getrieben hatten. Erſt De Candolle kam auf den richtigen
Weg, indem er ſolche ohne Boden fortwachſende Cactuszweige wog und
dabei fand, daß die Pflanze ſo wie größer immer leichter wurde und
daher weit entfernt, aus der Atmoſphäre etwas aufzunehmen, viel-
mehr noch an dieſe abgegeben hatte. Das ganze Wachſen geſchieht
hier auf Unkoſten des ſchon früher in dem ſaftigen Gewebe angeſam-
melten Nahrungsſtoffes, und erſchöpft die Pflanze meiſt ſo ſehr, daß
ſie nachher nicht mehr zu retten iſt. Es iſt gerade das vollſaftige Ge-
webe, welches die Cactuspflanzen fähig macht, man könnte ſie den
Kameelen vergleichen, auf lange Zeit im Voraus ſich mit Flüſſigkeit
zu verſehen und ſo der regenloſen Jahreszeit trotzen zu können. Dabei
werden ſie aber auf eigne Weiſe durch anatomiſche Verhältniſſe unter-
ſtützt. Wir wiſſen durch die Verſuche von Hales, daß die Pflanzen
hauptſächlich durch die Blätter das in ihnen enthaltene Waſſer ver-
dunſten und gerade Blätter fehlen den Cacteen. Ihr Stamm aber iſt
ebenfalls abweichend von allen übrigen Pflanzen mit einer eigenthüm-
lichen lederartigen Haut bekleidet, welche die Verdunſtung faſt völlig
verhindert. Dieſe Haut beſteht aus ſehr ſonderbaren faſt knorpeligen

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[205/0221] Luft ſaugen. Noch in den neuſten Zeiten iſt dieſer Gedanke von Liebig, deſſen organiſche Chemie ſo großes Aufſehen gemacht hat, mit den alten längſt widerlegten Gründen wieder aufgefriſcht. Man glaubte nämlich, daß aus der großen Maſſe des wäſſrigen Saftes in den Cacteen, verbunden mit der Thatſache, daß die meiſten und gerade die ſaftreichſten auf dürrem Sande in faſt von aller Dammerde entblößten Felſenritzen vegetiren, wo ſie noch dazu oft drei Viertel des Jahres den austrocknenden Sonnenſtrahlen eines ewig heitern Himmels aus- geſetzt ſind — aus dieſem Zuſammentreffen eben glaubte man um ſo mehr mit Sicherheit ſchließen zu dürfen, daß dieſe Pflanzen ihre Nahrung aus der Luft anziehen, als man auch noch in unſern Treib- häuſern die Beobachtung machte, daß die Zweige von Cactusſtäm- men abgeſchnitten und in einem Winkel vergeſſen oft ohne Weiteres, ſtatt abzuſterben, weitergewachſen waren und drei und mehr Fuß lange Aeſte getrieben hatten. Erſt De Candolle kam auf den richtigen Weg, indem er ſolche ohne Boden fortwachſende Cactuszweige wog und dabei fand, daß die Pflanze ſo wie größer immer leichter wurde und daher weit entfernt, aus der Atmoſphäre etwas aufzunehmen, viel- mehr noch an dieſe abgegeben hatte. Das ganze Wachſen geſchieht hier auf Unkoſten des ſchon früher in dem ſaftigen Gewebe angeſam- melten Nahrungsſtoffes, und erſchöpft die Pflanze meiſt ſo ſehr, daß ſie nachher nicht mehr zu retten iſt. Es iſt gerade das vollſaftige Ge- webe, welches die Cactuspflanzen fähig macht, man könnte ſie den Kameelen vergleichen, auf lange Zeit im Voraus ſich mit Flüſſigkeit zu verſehen und ſo der regenloſen Jahreszeit trotzen zu können. Dabei werden ſie aber auf eigne Weiſe durch anatomiſche Verhältniſſe unter- ſtützt. Wir wiſſen durch die Verſuche von Hales, daß die Pflanzen hauptſächlich durch die Blätter das in ihnen enthaltene Waſſer ver- dunſten und gerade Blätter fehlen den Cacteen. Ihr Stamm aber iſt ebenfalls abweichend von allen übrigen Pflanzen mit einer eigenthüm- lichen lederartigen Haut bekleidet, welche die Verdunſtung faſt völlig verhindert. Dieſe Haut beſteht aus ſehr ſonderbaren faſt knorpeligen

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/221>, abgerufen am 23.11.2024.