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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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der Vegetationsgrenze, also beiläufig 14,000 Fuß hoch wird der
Wanderer durch eigenthümliche Gestalten von gelbrother Farbe über-
rascht, die von Ferne täuschend den Anschein des ruhenden Wildes
haben, sich bei näherer Untersuchung aber als unförmliche Haufen
niedriger, mit gelbrothen Stacheln dicht besetzter Cacteen ausweisen.

Was die Natur aber dem äußern Ansehen der Pflanze entzogen, das
hat sie den meisten in reichlichem Maaße in den prachtvollen Blü-
then ersetzt. Man staunt die unförmlich graugrüne Masse einer
Mamillaria mit den schönsten purpurrothen Blüthen bedeckt zu finden.
Seltsam ist der Contrast zwischen dem trostlosen und unheimlichen
Anblick des kahlen, dürren Stengels der großblumigen Fackeldistel
(Cereus grandiflorus) und seinen großen prachtvollen, isabellfar-
benen, vanilleduftenden Blumen, die in verschwiegener Nacht sich
entfaltend einer Sonne gleich strahlen und in dem wunderbaren
Spiel ihrer Staubfäden fast zu einem höheren thierischen Leben hin-
anzustreben scheinen.

Aber nicht die Schönheit der Blüthen allein ist es, die
den Menschen erfreut, nicht ihr erquickender Saft allein, der den
schmachtenden Wanderer erfrischt. Auch sonst ist ihr Nutzen für
den Haushalt der Menschen von mannigfachem Einfluß. Fast
alle Cacteen haben eßbare Früchte und sie gehören zum Theile mit
zu den schönsten Erquickungen in der heißen Zone, welche sie zur
Reife bringt. Fast alle größeren Opuntien, die unter dem Namen
der indianischen Feige bekannt sind, liefern in Westindien und
Mexico beliebte Früchte des Nachtisches, und selbst die kleinen rosen-
rothen Beeren der Mamillarien, die bei uns geschmacklos zu seyn
pflegen, haben unter den Tropen einen angenehmen süßsäuerlichen
Saft. Im Allgemeinen kann man sagen, daß ihre Frucht eine edlere
Form der bei uns einheimischen Stachel- und Johannisbeeren ist,
denen sie auch in botanischer Hinsicht am nächsten verwandt sind.
So saftreich auch der Stamm der meisten Cacteen ist, so bildet sich
doch mit der Zeit in ihnen ein eben so festes als leichtes Holz aus.

der Vegetationsgrenze, alſo beiläufig 14,000 Fuß hoch wird der
Wanderer durch eigenthümliche Geſtalten von gelbrother Farbe über-
raſcht, die von Ferne täuſchend den Anſchein des ruhenden Wildes
haben, ſich bei näherer Unterſuchung aber als unförmliche Haufen
niedriger, mit gelbrothen Stacheln dicht beſetzter Cacteen ausweiſen.

Was die Natur aber dem äußern Anſehen der Pflanze entzogen, das
hat ſie den meiſten in reichlichem Maaße in den prachtvollen Blü-
then erſetzt. Man ſtaunt die unförmlich graugrüne Maſſe einer
Mamillaria mit den ſchönſten purpurrothen Blüthen bedeckt zu finden.
Seltſam iſt der Contraſt zwiſchen dem troſtloſen und unheimlichen
Anblick des kahlen, dürren Stengels der großblumigen Fackeldiſtel
(Cereus grandiflorus) und ſeinen großen prachtvollen, iſabellfar-
benen, vanilleduftenden Blumen, die in verſchwiegener Nacht ſich
entfaltend einer Sonne gleich ſtrahlen und in dem wunderbaren
Spiel ihrer Staubfäden faſt zu einem höheren thieriſchen Leben hin-
anzuſtreben ſcheinen.

Aber nicht die Schönheit der Blüthen allein iſt es, die
den Menſchen erfreut, nicht ihr erquickender Saft allein, der den
ſchmachtenden Wanderer erfriſcht. Auch ſonſt iſt ihr Nutzen für
den Haushalt der Menſchen von mannigfachem Einfluß. Faſt
alle Cacteen haben eßbare Früchte und ſie gehören zum Theile mit
zu den ſchönſten Erquickungen in der heißen Zone, welche ſie zur
Reife bringt. Faſt alle größeren Opuntien, die unter dem Namen
der indianiſchen Feige bekannt ſind, liefern in Weſtindien und
Mexico beliebte Früchte des Nachtiſches, und ſelbſt die kleinen roſen-
rothen Beeren der Mamillarien, die bei uns geſchmacklos zu ſeyn
pflegen, haben unter den Tropen einen angenehmen ſüßſäuerlichen
Saft. Im Allgemeinen kann man ſagen, daß ihre Frucht eine edlere
Form der bei uns einheimiſchen Stachel- und Johannisbeeren iſt,
denen ſie auch in botaniſcher Hinſicht am nächſten verwandt ſind.
So ſaftreich auch der Stamm der meiſten Cacteen iſt, ſo bildet ſich
doch mit der Zeit in ihnen ein eben ſo feſtes als leichtes Holz aus.

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[201/0217] der Vegetationsgrenze, alſo beiläufig 14,000 Fuß hoch wird der Wanderer durch eigenthümliche Geſtalten von gelbrother Farbe über- raſcht, die von Ferne täuſchend den Anſchein des ruhenden Wildes haben, ſich bei näherer Unterſuchung aber als unförmliche Haufen niedriger, mit gelbrothen Stacheln dicht beſetzter Cacteen ausweiſen. Was die Natur aber dem äußern Anſehen der Pflanze entzogen, das hat ſie den meiſten in reichlichem Maaße in den prachtvollen Blü- then erſetzt. Man ſtaunt die unförmlich graugrüne Maſſe einer Mamillaria mit den ſchönſten purpurrothen Blüthen bedeckt zu finden. Seltſam iſt der Contraſt zwiſchen dem troſtloſen und unheimlichen Anblick des kahlen, dürren Stengels der großblumigen Fackeldiſtel (Cereus grandiflorus) und ſeinen großen prachtvollen, iſabellfar- benen, vanilleduftenden Blumen, die in verſchwiegener Nacht ſich entfaltend einer Sonne gleich ſtrahlen und in dem wunderbaren Spiel ihrer Staubfäden faſt zu einem höheren thieriſchen Leben hin- anzuſtreben ſcheinen. Aber nicht die Schönheit der Blüthen allein iſt es, die den Menſchen erfreut, nicht ihr erquickender Saft allein, der den ſchmachtenden Wanderer erfriſcht. Auch ſonſt iſt ihr Nutzen für den Haushalt der Menſchen von mannigfachem Einfluß. Faſt alle Cacteen haben eßbare Früchte und ſie gehören zum Theile mit zu den ſchönſten Erquickungen in der heißen Zone, welche ſie zur Reife bringt. Faſt alle größeren Opuntien, die unter dem Namen der indianiſchen Feige bekannt ſind, liefern in Weſtindien und Mexico beliebte Früchte des Nachtiſches, und ſelbſt die kleinen roſen- rothen Beeren der Mamillarien, die bei uns geſchmacklos zu ſeyn pflegen, haben unter den Tropen einen angenehmen ſüßſäuerlichen Saft. Im Allgemeinen kann man ſagen, daß ihre Frucht eine edlere Form der bei uns einheimiſchen Stachel- und Johannisbeeren iſt, denen ſie auch in botaniſcher Hinſicht am nächſten verwandt ſind. So ſaftreich auch der Stamm der meiſten Cacteen iſt, ſo bildet ſich doch mit der Zeit in ihnen ein eben ſo feſtes als leichtes Holz aus.

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/217>, abgerufen am 23.11.2024.