Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

Schwimmen am zweckmäßigsten gebaut ist, und wir bewundern den
Scharfsinn, mit dem Cuvier den Zweck, für den die Thiere bestimmt
sind, benutzt hat, um daraus mit überraschender Sicherheit ihre Ge-
stalt und die feinsten Verschiedenheiten ihres anatomischen Baues zu
entwickeln. Treten wir aber in die Höhle von Antiparos, wo Tausende
von Krystallen das Licht der Fackeln in wunderbarem Glanze brechen
und ein Mährchen aus der Feenwelt unserm staunenden Auge vor-
führen, bahnen wir uns einen Pfad durch die dichten Wälder der
Guyana, wo die Riesenstämme tausendjähriger Bertholetien neben
den schlanken Pfeilern der Palmen stehen, das zarte wunderbar ge-
fiederte Laub der Farren mit den einfachen großen Blättern der Pi-
sanggewächse seltsam contrastirt, wo die kahlen, dünnen, hundert Fuß
langen Stengel der Llanen sich wie Schiffsseile von Baum zu Baum
ziehen, auf welchen die schlanke Tigerkatze auf- und abklettert, während
Tausende von verschiedenen winzig kleinen und zierlichen Moosen und
Lebermoosen die Stämme überziehen; sehen wir, wie dazwischen sich
in den buntesten Farben und dem wunderbarsten Formenspiele die
ganze prachtvolle Blüthenwelt der Tropen ausschüttet -- dann freilich
erlahmt auch die kühnste Einbildungskraft daran, für diese mannig-
faltigen Formen und Gestalten bestimmte Begriffe der Zweckmäßigkeit
aufzusuchen und festzuhalten und wir haben nichts mehr, als das
Princip der Schönheit, nach dem wir die Natur beurtheilen können;
sie allein spricht noch zu unserm Gefühl und läßt uns in heiliger
Ahnung ein höheres Wesen hinter dem unermeßlichen Reichthum man-
nigfaltiger Gestalten anbeten. Aber leider müssen wir gewahr werden,
daß auch dieser Gedanke nicht ausreicht, um uns überall als Leitstern
durch die zahllosen Formen der Natur zu dienen. Mit dem Gefühl,
daß, wo wir nicht aus Gesetzen erklären, wo wir nicht nach Zwecken
beurtheilen können, doch wenigstens das unerklärte Wesen der Schön-
heit auf eine geheimnißvolle Weise die Symbole der Natur uns aus-
zudeuten vermöge, verlassen wir die Wälder der Guyana, die letzten
Hängematten der Guaraunen zwischen den Stämmen der Mauritius-

Schwimmen am zweckmäßigſten gebaut iſt, und wir bewundern den
Scharfſinn, mit dem Cuvier den Zweck, für den die Thiere beſtimmt
ſind, benutzt hat, um daraus mit überraſchender Sicherheit ihre Ge-
ſtalt und die feinſten Verſchiedenheiten ihres anatomiſchen Baues zu
entwickeln. Treten wir aber in die Höhle von Antiparos, wo Tauſende
von Kryſtallen das Licht der Fackeln in wunderbarem Glanze brechen
und ein Mährchen aus der Feenwelt unſerm ſtaunenden Auge vor-
führen, bahnen wir uns einen Pfad durch die dichten Wälder der
Guyana, wo die Rieſenſtämme tauſendjähriger Bertholetien neben
den ſchlanken Pfeilern der Palmen ſtehen, das zarte wunderbar ge-
fiederte Laub der Farren mit den einfachen großen Blättern der Pi-
ſanggewächſe ſeltſam contraſtirt, wo die kahlen, dünnen, hundert Fuß
langen Stengel der Llanen ſich wie Schiffsſeile von Baum zu Baum
ziehen, auf welchen die ſchlanke Tigerkatze auf- und abklettert, während
Tauſende von verſchiedenen winzig kleinen und zierlichen Mooſen und
Lebermooſen die Stämme überziehen; ſehen wir, wie dazwiſchen ſich
in den bunteſten Farben und dem wunderbarſten Formenſpiele die
ganze prachtvolle Blüthenwelt der Tropen ausſchüttet — dann freilich
erlahmt auch die kühnſte Einbildungskraft daran, für dieſe mannig-
faltigen Formen und Geſtalten beſtimmte Begriffe der Zweckmäßigkeit
aufzuſuchen und feſtzuhalten und wir haben nichts mehr, als das
Princip der Schönheit, nach dem wir die Natur beurtheilen können;
ſie allein ſpricht noch zu unſerm Gefühl und läßt uns in heiliger
Ahnung ein höheres Weſen hinter dem unermeßlichen Reichthum man-
nigfaltiger Geſtalten anbeten. Aber leider müſſen wir gewahr werden,
daß auch dieſer Gedanke nicht ausreicht, um uns überall als Leitſtern
durch die zahlloſen Formen der Natur zu dienen. Mit dem Gefühl,
daß, wo wir nicht aus Geſetzen erklären, wo wir nicht nach Zwecken
beurtheilen können, doch wenigſtens das unerklärte Weſen der Schön-
heit auf eine geheimnißvolle Weiſe die Symbole der Natur uns aus-
zudeuten vermöge, verlaſſen wir die Wälder der Guyana, die letzten
Hängematten der Guaraunen zwiſchen den Stämmen der Mauritius-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0213" n="197"/>
Schwimmen am zweckmäßig&#x017F;ten gebaut i&#x017F;t, und wir bewundern den<lb/>
Scharf&#x017F;inn, mit dem Cuvier den Zweck, für den die Thiere be&#x017F;timmt<lb/>
&#x017F;ind, benutzt hat, um daraus mit überra&#x017F;chender Sicherheit ihre Ge-<lb/>
&#x017F;talt und die fein&#x017F;ten Ver&#x017F;chiedenheiten ihres anatomi&#x017F;chen Baues zu<lb/>
entwickeln. Treten wir aber in die Höhle von Antiparos, wo Tau&#x017F;ende<lb/>
von Kry&#x017F;tallen das Licht der Fackeln in wunderbarem Glanze brechen<lb/>
und ein Mährchen aus der Feenwelt un&#x017F;erm &#x017F;taunenden Auge vor-<lb/>
führen, bahnen wir uns einen Pfad durch die dichten Wälder der<lb/>
Guyana, wo die Rie&#x017F;en&#x017F;tämme tau&#x017F;endjähriger Bertholetien neben<lb/>
den &#x017F;chlanken Pfeilern der Palmen &#x017F;tehen, das zarte wunderbar ge-<lb/>
fiederte Laub der Farren mit den einfachen großen Blättern der Pi-<lb/>
&#x017F;anggewäch&#x017F;e &#x017F;elt&#x017F;am contra&#x017F;tirt, wo die kahlen, dünnen, hundert Fuß<lb/>
langen Stengel der Llanen &#x017F;ich wie Schiffs&#x017F;eile von Baum zu Baum<lb/>
ziehen, auf welchen die &#x017F;chlanke Tigerkatze auf- und abklettert, während<lb/>
Tau&#x017F;ende von ver&#x017F;chiedenen winzig kleinen und zierlichen Moo&#x017F;en und<lb/>
Lebermoo&#x017F;en die Stämme überziehen; &#x017F;ehen wir, wie dazwi&#x017F;chen &#x017F;ich<lb/>
in den bunte&#x017F;ten Farben und dem wunderbar&#x017F;ten Formen&#x017F;piele die<lb/>
ganze prachtvolle Blüthenwelt der Tropen aus&#x017F;chüttet &#x2014; dann freilich<lb/>
erlahmt auch die kühn&#x017F;te Einbildungskraft daran, für die&#x017F;e mannig-<lb/>
faltigen Formen und Ge&#x017F;talten be&#x017F;timmte Begriffe der Zweckmäßigkeit<lb/>
aufzu&#x017F;uchen und fe&#x017F;tzuhalten und wir haben nichts mehr, als das<lb/>
Princip der Schönheit, nach dem wir die Natur beurtheilen können;<lb/>
&#x017F;ie allein &#x017F;pricht noch zu un&#x017F;erm Gefühl und läßt uns in heiliger<lb/>
Ahnung ein höheres We&#x017F;en hinter dem unermeßlichen Reichthum man-<lb/>
nigfaltiger Ge&#x017F;talten anbeten. Aber leider mü&#x017F;&#x017F;en wir gewahr werden,<lb/>
daß auch die&#x017F;er Gedanke nicht ausreicht, um uns überall als Leit&#x017F;tern<lb/>
durch die zahllo&#x017F;en Formen der Natur zu dienen. Mit dem Gefühl,<lb/>
daß, wo wir nicht aus Ge&#x017F;etzen erklären, wo wir nicht nach Zwecken<lb/>
beurtheilen können, doch wenig&#x017F;tens das unerklärte We&#x017F;en der Schön-<lb/>
heit auf eine geheimnißvolle Wei&#x017F;e die Symbole der Natur uns aus-<lb/>
zudeuten vermöge, verla&#x017F;&#x017F;en wir die Wälder der Guyana, die letzten<lb/>
Hängematten der Guaraunen zwi&#x017F;chen den Stämmen der Mauritius-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[197/0213] Schwimmen am zweckmäßigſten gebaut iſt, und wir bewundern den Scharfſinn, mit dem Cuvier den Zweck, für den die Thiere beſtimmt ſind, benutzt hat, um daraus mit überraſchender Sicherheit ihre Ge- ſtalt und die feinſten Verſchiedenheiten ihres anatomiſchen Baues zu entwickeln. Treten wir aber in die Höhle von Antiparos, wo Tauſende von Kryſtallen das Licht der Fackeln in wunderbarem Glanze brechen und ein Mährchen aus der Feenwelt unſerm ſtaunenden Auge vor- führen, bahnen wir uns einen Pfad durch die dichten Wälder der Guyana, wo die Rieſenſtämme tauſendjähriger Bertholetien neben den ſchlanken Pfeilern der Palmen ſtehen, das zarte wunderbar ge- fiederte Laub der Farren mit den einfachen großen Blättern der Pi- ſanggewächſe ſeltſam contraſtirt, wo die kahlen, dünnen, hundert Fuß langen Stengel der Llanen ſich wie Schiffsſeile von Baum zu Baum ziehen, auf welchen die ſchlanke Tigerkatze auf- und abklettert, während Tauſende von verſchiedenen winzig kleinen und zierlichen Mooſen und Lebermooſen die Stämme überziehen; ſehen wir, wie dazwiſchen ſich in den bunteſten Farben und dem wunderbarſten Formenſpiele die ganze prachtvolle Blüthenwelt der Tropen ausſchüttet — dann freilich erlahmt auch die kühnſte Einbildungskraft daran, für dieſe mannig- faltigen Formen und Geſtalten beſtimmte Begriffe der Zweckmäßigkeit aufzuſuchen und feſtzuhalten und wir haben nichts mehr, als das Princip der Schönheit, nach dem wir die Natur beurtheilen können; ſie allein ſpricht noch zu unſerm Gefühl und läßt uns in heiliger Ahnung ein höheres Weſen hinter dem unermeßlichen Reichthum man- nigfaltiger Geſtalten anbeten. Aber leider müſſen wir gewahr werden, daß auch dieſer Gedanke nicht ausreicht, um uns überall als Leitſtern durch die zahlloſen Formen der Natur zu dienen. Mit dem Gefühl, daß, wo wir nicht aus Geſetzen erklären, wo wir nicht nach Zwecken beurtheilen können, doch wenigſtens das unerklärte Weſen der Schön- heit auf eine geheimnißvolle Weiſe die Symbole der Natur uns aus- zudeuten vermöge, verlaſſen wir die Wälder der Guyana, die letzten Hängematten der Guaraunen zwiſchen den Stämmen der Mauritius-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/213
Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/213>, abgerufen am 23.11.2024.