So bildet sich die nackte Rinde unseres Planeten. Aber Bil- dungsprocesse, von denen wir jetzt keinen Begriff mehr haben und haben können, lassen gleich vom ersten Beginn an, wo sich Meeres- ablagerungen als Uebergangsgebirge an die Luft erheben, vegeta- bilische Keime entstehen, welche in Kohlensäure, Ammoniak und Wasser und in den Verwitterungsproducten der Gesteine ihre Nah- rung finden. Es entsteht eine lebensvolle Welt der Organismen auf der Erde, deren bunte Mannigfaltigkeit nicht bedingt ist durch die vier Elemente, welche ihre organischen Bestandtheile im engern Sinne bilden, sondern vielmehr durch die unendliche Verschieden- heit des chemischen Processes, welche durch die mannigfaltige Art und Menge der unorganischen Stoffe hervorgerufen wird. Dagegen bildet die aus dem Absterben der lebendigen Wesen hervorgehende schwarze Substanz, der Humus, die Möglichkeit, daß diese zahllo- sen Organismen sich zur höchsten Kraft entwickeln können, indem er ihnen die organische Nahrung zuführt. Die Verwitterung des Felsens und seine chemische Zersetzung in auflösliche Bestandtheile, sowie die Verwesung der organischen Verbindungen hängen aber von der Wärme und der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre ab. Verhältnisse, wie wir sie jetzt nur noch unter den Tropen fin- den, machen eine schnelle Verwitterung und eine schnelle Verwesung möglich und bedingen so die reiche und üppige Vegetation der Tro- pen. In einer früheren Periode der Erdemuß aber unsere Atmosphäre überall feuchter, dicker und folglich wärmer gewesen seyn, und in dieser Zeit konnte unbeschränkt auf der ganzen Erde die Fülle von Organismen sich entwickeln, die wir ohne Rücksicht auf die geogra- phische Breite jetzt als Versteinerungen in den Felsschichten be- graben finden.
Doch ich kehre wieder zu meiner Aufgabe zurück. Die geist- reiche, durch Liebig begründete Ansicht weist uns also nach, daß ge- rade die Bestandtheile, welche wir gewohnt sind, zu verachten und zu übersehen, für die Pflanzenwelt von der wesentlichsten Bedeu- tung sind. Wohl bestehen alle die stickstoffhaltigen Bestandtheile der
So bildet ſich die nackte Rinde unſeres Planeten. Aber Bil- dungsproceſſe, von denen wir jetzt keinen Begriff mehr haben und haben können, laſſen gleich vom erſten Beginn an, wo ſich Meeres- ablagerungen als Uebergangsgebirge an die Luft erheben, vegeta- biliſche Keime entſtehen, welche in Kohlenſäure, Ammoniak und Waſſer und in den Verwitterungsproducten der Geſteine ihre Nah- rung finden. Es entſteht eine lebensvolle Welt der Organismen auf der Erde, deren bunte Mannigfaltigkeit nicht bedingt iſt durch die vier Elemente, welche ihre organiſchen Beſtandtheile im engern Sinne bilden, ſondern vielmehr durch die unendliche Verſchieden- heit des chemiſchen Proceſſes, welche durch die mannigfaltige Art und Menge der unorganiſchen Stoffe hervorgerufen wird. Dagegen bildet die aus dem Abſterben der lebendigen Weſen hervorgehende ſchwarze Subſtanz, der Humus, die Möglichkeit, daß dieſe zahllo- ſen Organismen ſich zur höchſten Kraft entwickeln können, indem er ihnen die organiſche Nahrung zuführt. Die Verwitterung des Felſens und ſeine chemiſche Zerſetzung in auflösliche Beſtandtheile, ſowie die Verweſung der organiſchen Verbindungen hängen aber von der Wärme und der chemiſchen Zuſammenſetzung der Atmoſphäre ab. Verhältniſſe, wie wir ſie jetzt nur noch unter den Tropen fin- den, machen eine ſchnelle Verwitterung und eine ſchnelle Verweſung möglich und bedingen ſo die reiche und üppige Vegetation der Tro- pen. In einer früheren Periode der Erdemuß aber unſere Atmoſphäre überall feuchter, dicker und folglich wärmer geweſen ſeyn, und in dieſer Zeit konnte unbeſchränkt auf der ganzen Erde die Fülle von Organismen ſich entwickeln, die wir ohne Rückſicht auf die geogra- phiſche Breite jetzt als Verſteinerungen in den Felsſchichten be- graben finden.
Doch ich kehre wieder zu meiner Aufgabe zurück. Die geiſt- reiche, durch Liebig begründete Anſicht weiſt uns alſo nach, daß ge- rade die Beſtandtheile, welche wir gewohnt ſind, zu verachten und zu überſehen, für die Pflanzenwelt von der weſentlichſten Bedeu- tung ſind. Wohl beſtehen alle die ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheile der
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So bildet ſich die nackte Rinde unſeres Planeten. Aber Bil-
dungsproceſſe, von denen wir jetzt keinen Begriff mehr haben und
haben können, laſſen gleich vom erſten Beginn an, wo ſich Meeres-
ablagerungen als Uebergangsgebirge an die Luft erheben, vegeta-
biliſche Keime entſtehen, welche in Kohlenſäure, Ammoniak und
Waſſer und in den Verwitterungsproducten der Geſteine ihre Nah-
rung finden. Es entſteht eine lebensvolle Welt der Organismen
auf der Erde, deren bunte Mannigfaltigkeit nicht bedingt iſt durch
die vier Elemente, welche ihre organiſchen Beſtandtheile im engern
Sinne bilden, ſondern vielmehr durch die unendliche Verſchieden-
heit des chemiſchen Proceſſes, welche durch die mannigfaltige Art
und Menge der unorganiſchen Stoffe hervorgerufen wird. Dagegen
bildet die aus dem Abſterben der lebendigen Weſen hervorgehende
ſchwarze Subſtanz, der Humus, die Möglichkeit, daß dieſe zahllo-
ſen Organismen ſich zur höchſten Kraft entwickeln können, indem
er ihnen die organiſche Nahrung zuführt. Die Verwitterung des
Felſens und ſeine chemiſche Zerſetzung in auflösliche Beſtandtheile,
ſowie die Verweſung der organiſchen Verbindungen hängen aber
von der Wärme und der chemiſchen Zuſammenſetzung der Atmoſphäre
ab. Verhältniſſe, wie wir ſie jetzt nur noch unter den Tropen fin-
den, machen eine ſchnelle Verwitterung und eine ſchnelle Verweſung
möglich und bedingen ſo die reiche und üppige Vegetation der Tro-
pen. In einer früheren Periode der Erdemuß aber unſere Atmoſphäre
überall feuchter, dicker und folglich wärmer geweſen ſeyn, und in
dieſer Zeit konnte unbeſchränkt auf der ganzen Erde die Fülle von
Organismen ſich entwickeln, die wir ohne Rückſicht auf die geogra-
phiſche Breite jetzt als Verſteinerungen in den Felsſchichten be-
graben finden.
Doch ich kehre wieder zu meiner Aufgabe zurück. Die geiſt-
reiche, durch Liebig begründete Anſicht weiſt uns alſo nach, daß ge-
rade die Beſtandtheile, welche wir gewohnt ſind, zu verachten und
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tung ſind. Wohl beſtehen alle die ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheile der
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/180>, abgerufen am 28.11.2024.
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