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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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det hat. So erwächst aus unscheinbarem Anfange eine immer dickere
Humusdecke über dem nackten Gestein, und eine immer kräftigere und
üppigere Vegetation nimmt Platz, nicht von jenem Humus sich er-
nährend, der sich vielmehr mit jeder absterbenden Generation ver-
mehrt, statt vermindert, sondern durch ihn nur mit Nahrung aus der
Atmosphäre versehen. Ein noch interessanteres Beispiel der Art führt
Boussingault in seiner "economie rurale" an. Er besuchte bei
seinem ersten Aufenthalt in Amerika eine Gegend in der Nähe von La
Vega da Supia
die während seiner Anwesenheit durch einen Berg-
sturz in eine wüste Fläche von Porphyrtrümmern verwandelt wurde,
wobei alle Vegetation vernichtet und viele Klafter tief unter Fels-
stücken begraben war. Als er nach 10 Jahren zum zweiten Mal in die-
selbe Gegend kam, hatte sich das wilde und nackte Felsgerölle bereits
wieder mit einem jungen, üppig grünenden Acacienhain bedeckt.
Sicher sind auf ähnliche Weise die den Fluthen des Uroceans durch
vulkanische Kräfte entsteigenden Felseninseln in einer Periode, die
Hunderttausende von Jahren über alle Menschengeschichte auf unserer
Erde hinausliegt, allmälig mit Vegetation bedeckt, bis an günstigen
Stellen sich zuletzt die Massen von Humus anhäuften, die dem uner-
schöpflichen vegetabilischen Leben der tropischen Urwälder zur üppigen
Unterlage dienen. In diesen physicalischen Eigenschaften des Humus,
nicht aber in seinen chemischen Bestandtheilen haben wir den Grund
zu suchen, warum auf einem humusreichen Boden eine üppigere
Vegetation gedeihen kann, als auf einem andern, in dessen Mischung
diese Substanz fehlt.

Wie nun aber? wenn Kohlensäure, Ammoniak und Wasser die
alleinige Nahrung der Pflanzen sind, wenn diese Stoffe in dem großen
Reservoir des Luftmeeres stets in genügender Menge vorhanden sind,
wenn selbst ohne Humus diese Stoffe einer dürftigen Vegetation zu-
geführt werden können, wenn diese durch ihr Absterben besseren Pflan-
zen den Boden bereiten, warum findet dennoch trotz alles Humusge-
halts eine so große Verschiedenheit in der Vegetation Statt? Weß-
halb gedeiht eine und dieselbe Pflanze auf diesem Boden höchst üppig,

det hat. So erwächſt aus unſcheinbarem Anfange eine immer dickere
Humusdecke über dem nackten Geſtein, und eine immer kräftigere und
üppigere Vegetation nimmt Platz, nicht von jenem Humus ſich er-
nährend, der ſich vielmehr mit jeder abſterbenden Generation ver-
mehrt, ſtatt vermindert, ſondern durch ihn nur mit Nahrung aus der
Atmoſphäre verſehen. Ein noch intereſſanteres Beiſpiel der Art führt
Bouſſingault in ſeiner „économie rurale“ an. Er beſuchte bei
ſeinem erſten Aufenthalt in Amerika eine Gegend in der Nähe von La
Vega da Supia
die während ſeiner Anweſenheit durch einen Berg-
ſturz in eine wüſte Fläche von Porphyrtrümmern verwandelt wurde,
wobei alle Vegetation vernichtet und viele Klafter tief unter Fels-
ſtücken begraben war. Als er nach 10 Jahren zum zweiten Mal in die-
ſelbe Gegend kam, hatte ſich das wilde und nackte Felsgerölle bereits
wieder mit einem jungen, üppig grünenden Acacienhain bedeckt.
Sicher ſind auf ähnliche Weiſe die den Fluthen des Uroceans durch
vulkaniſche Kräfte entſteigenden Felſeninſeln in einer Periode, die
Hunderttauſende von Jahren über alle Menſchengeſchichte auf unſerer
Erde hinausliegt, allmälig mit Vegetation bedeckt, bis an günſtigen
Stellen ſich zuletzt die Maſſen von Humus anhäuften, die dem uner-
ſchöpflichen vegetabiliſchen Leben der tropiſchen Urwälder zur üppigen
Unterlage dienen. In dieſen phyſicaliſchen Eigenſchaften des Humus,
nicht aber in ſeinen chemiſchen Beſtandtheilen haben wir den Grund
zu ſuchen, warum auf einem humusreichen Boden eine üppigere
Vegetation gedeihen kann, als auf einem andern, in deſſen Miſchung
dieſe Subſtanz fehlt.

Wie nun aber? wenn Kohlenſäure, Ammoniak und Waſſer die
alleinige Nahrung der Pflanzen ſind, wenn dieſe Stoffe in dem großen
Reſervoir des Luftmeeres ſtets in genügender Menge vorhanden ſind,
wenn ſelbſt ohne Humus dieſe Stoffe einer dürftigen Vegetation zu-
geführt werden können, wenn dieſe durch ihr Abſterben beſſeren Pflan-
zen den Boden bereiten, warum findet dennoch trotz alles Humusge-
halts eine ſo große Verſchiedenheit in der Vegetation Statt? Weß-
halb gedeiht eine und dieſelbe Pflanze auf dieſem Boden höchſt üppig,

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[152/0168] det hat. So erwächſt aus unſcheinbarem Anfange eine immer dickere Humusdecke über dem nackten Geſtein, und eine immer kräftigere und üppigere Vegetation nimmt Platz, nicht von jenem Humus ſich er- nährend, der ſich vielmehr mit jeder abſterbenden Generation ver- mehrt, ſtatt vermindert, ſondern durch ihn nur mit Nahrung aus der Atmoſphäre verſehen. Ein noch intereſſanteres Beiſpiel der Art führt Bouſſingault in ſeiner „économie rurale“ an. Er beſuchte bei ſeinem erſten Aufenthalt in Amerika eine Gegend in der Nähe von La Vega da Supia die während ſeiner Anweſenheit durch einen Berg- ſturz in eine wüſte Fläche von Porphyrtrümmern verwandelt wurde, wobei alle Vegetation vernichtet und viele Klafter tief unter Fels- ſtücken begraben war. Als er nach 10 Jahren zum zweiten Mal in die- ſelbe Gegend kam, hatte ſich das wilde und nackte Felsgerölle bereits wieder mit einem jungen, üppig grünenden Acacienhain bedeckt. Sicher ſind auf ähnliche Weiſe die den Fluthen des Uroceans durch vulkaniſche Kräfte entſteigenden Felſeninſeln in einer Periode, die Hunderttauſende von Jahren über alle Menſchengeſchichte auf unſerer Erde hinausliegt, allmälig mit Vegetation bedeckt, bis an günſtigen Stellen ſich zuletzt die Maſſen von Humus anhäuften, die dem uner- ſchöpflichen vegetabiliſchen Leben der tropiſchen Urwälder zur üppigen Unterlage dienen. In dieſen phyſicaliſchen Eigenſchaften des Humus, nicht aber in ſeinen chemiſchen Beſtandtheilen haben wir den Grund zu ſuchen, warum auf einem humusreichen Boden eine üppigere Vegetation gedeihen kann, als auf einem andern, in deſſen Miſchung dieſe Subſtanz fehlt. Wie nun aber? wenn Kohlenſäure, Ammoniak und Waſſer die alleinige Nahrung der Pflanzen ſind, wenn dieſe Stoffe in dem großen Reſervoir des Luftmeeres ſtets in genügender Menge vorhanden ſind, wenn ſelbſt ohne Humus dieſe Stoffe einer dürftigen Vegetation zu- geführt werden können, wenn dieſe durch ihr Abſterben beſſeren Pflan- zen den Boden bereiten, warum findet dennoch trotz alles Humusge- halts eine ſo große Verſchiedenheit in der Vegetation Statt? Weß- halb gedeiht eine und dieſelbe Pflanze auf dieſem Boden höchſt üppig,

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/168>, abgerufen am 04.05.2024.