Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

ganzen bewohnten Erde geworden sind? Ein merkwürdiges Räthsel,
von dessen Lösung wir noch um so entfernter sind, da von Aerzten und
Chemikern angestellte Versuche bis jetzt keine Andeutung einer beson-
dern Wirkung nach dem Genusse größerer Mengen reinen Theins
erkennen lassen, der Stoff also ohne auffallende Wirkung auf die
thierische Oeconomie erscheint.

Ich kehre nach dieser Abschweifung, die der Hauptfrage ohnehin
nicht so fremd ist, wieder zu meiner Aufgabe zurück. Der Mensch
bedarf also zu seiner Nahrung zunächst dreier stickstoffreicher Substan-
zen, des Faserstoffs, Käsestoffs und des Eiweißes, und diese findet er
nicht nur im Thierreich, sondern auch im Pflanzenreich allgemein
verbreitet. Er verbraucht ferner zur Unterhaltung der Respiration und
dadurch der Wärme eine gewisse Menge stickstofffreier Substanzen,
welche ihm außer im Fette der Thiere im reichsten Maaße von den
meisten und verbreitetsten Pflanzenstoffen geboten werden.

Sehr leicht erklären sich uns nun einige der auffallendsten Erscheinun-
gen in der Ernährungsweise des Menschen und der Thiere. Jägervölker
und fleischfressende Thiere bedürfen einer großen Menge ihrer gewöhnlich
fettarmen Nahrung. Durch angestrengte körperliche Thätigkeit müssen
sie diese stickstoffhaltige Nahrung erst in zwei Bestandtheile zerlegen,
einen der sämmtlichen Stickstoff, einen andern, der einen Theil des
Kohlen- und Wasserstoffs enthält, und diesen letztern verwenden sie
dann für die Respiration, da bei der Unverbrennlichkeit des Stickstoffs
stickstoffhaltige Substanzen dazu untauglich sind. Eben darin findet
auch die unruhige, rastlos thätige Lebensweise des reißenden Thiers,
wie des Jägers ihre Erklärung, indem sie nur durch heftige Anstren-
gungen des Körpers so viel der stickstoffhaltigen Nahrung zersetzen
können, um für den Respirationsproceß das nöthige Material zu
schaffen. Aber auch die große Masse von Nahrung, die eine solche
Lebensart erfordert, ist dadurch leicht erklärt, zumal da meist viel mehr
thierisches Leben vernichtet wird, als unmittelbar dem Nahrungsbe-
dürfniß entspricht. Aus beiden Gründen bedarf das reißende Thier

ganzen bewohnten Erde geworden ſind? Ein merkwürdiges Räthſel,
von deſſen Löſung wir noch um ſo entfernter ſind, da von Aerzten und
Chemikern angeſtellte Verſuche bis jetzt keine Andeutung einer beſon-
dern Wirkung nach dem Genuſſe größerer Mengen reinen Theins
erkennen laſſen, der Stoff alſo ohne auffallende Wirkung auf die
thieriſche Oeconomie erſcheint.

Ich kehre nach dieſer Abſchweifung, die der Hauptfrage ohnehin
nicht ſo fremd iſt, wieder zu meiner Aufgabe zurück. Der Menſch
bedarf alſo zu ſeiner Nahrung zunächſt dreier ſtickſtoffreicher Subſtan-
zen, des Faſerſtoffs, Käſeſtoffs und des Eiweißes, und dieſe findet er
nicht nur im Thierreich, ſondern auch im Pflanzenreich allgemein
verbreitet. Er verbraucht ferner zur Unterhaltung der Reſpiration und
dadurch der Wärme eine gewiſſe Menge ſtickſtofffreier Subſtanzen,
welche ihm außer im Fette der Thiere im reichſten Maaße von den
meiſten und verbreitetſten Pflanzenſtoffen geboten werden.

Sehr leicht erklären ſich uns nun einige der auffallendſten Erſcheinun-
gen in der Ernährungsweiſe des Menſchen und der Thiere. Jägervölker
und fleiſchfreſſende Thiere bedürfen einer großen Menge ihrer gewöhnlich
fettarmen Nahrung. Durch angeſtrengte körperliche Thätigkeit müſſen
ſie dieſe ſtickſtoffhaltige Nahrung erſt in zwei Beſtandtheile zerlegen,
einen der ſämmtlichen Stickſtoff, einen andern, der einen Theil des
Kohlen- und Waſſerſtoffs enthält, und dieſen letztern verwenden ſie
dann für die Reſpiration, da bei der Unverbrennlichkeit des Stickſtoffs
ſtickſtoffhaltige Subſtanzen dazu untauglich ſind. Eben darin findet
auch die unruhige, raſtlos thätige Lebensweiſe des reißenden Thiers,
wie des Jägers ihre Erklärung, indem ſie nur durch heftige Anſtren-
gungen des Körpers ſo viel der ſtickſtoffhaltigen Nahrung zerſetzen
können, um für den Reſpirationsproceß das nöthige Material zu
ſchaffen. Aber auch die große Maſſe von Nahrung, die eine ſolche
Lebensart erfordert, iſt dadurch leicht erklärt, zumal da meiſt viel mehr
thieriſches Leben vernichtet wird, als unmittelbar dem Nahrungsbe-
dürfniß entſpricht. Aus beiden Gründen bedarf das reißende Thier

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0153" n="137"/>
ganzen bewohnten Erde geworden &#x017F;ind? Ein merkwürdiges Räth&#x017F;el,<lb/>
von de&#x017F;&#x017F;en Lö&#x017F;ung wir noch um &#x017F;o entfernter &#x017F;ind, da von Aerzten und<lb/>
Chemikern ange&#x017F;tellte Ver&#x017F;uche bis jetzt keine Andeutung einer be&#x017F;on-<lb/>
dern Wirkung nach dem Genu&#x017F;&#x017F;e größerer Mengen reinen Theins<lb/>
erkennen la&#x017F;&#x017F;en, der Stoff al&#x017F;o ohne auffallende Wirkung auf die<lb/>
thieri&#x017F;che Oeconomie er&#x017F;cheint.</p><lb/>
          <p>Ich kehre nach die&#x017F;er Ab&#x017F;chweifung, die der Hauptfrage ohnehin<lb/>
nicht &#x017F;o fremd i&#x017F;t, wieder zu meiner Aufgabe zurück. Der Men&#x017F;ch<lb/>
bedarf al&#x017F;o zu &#x017F;einer Nahrung zunäch&#x017F;t dreier &#x017F;tick&#x017F;toffreicher Sub&#x017F;tan-<lb/>
zen, des Fa&#x017F;er&#x017F;toffs, Kä&#x017F;e&#x017F;toffs und des Eiweißes, und die&#x017F;e findet er<lb/>
nicht nur im Thierreich, &#x017F;ondern auch im Pflanzenreich allgemein<lb/>
verbreitet. Er verbraucht ferner zur Unterhaltung der Re&#x017F;piration und<lb/>
dadurch der Wärme eine gewi&#x017F;&#x017F;e Menge &#x017F;tick&#x017F;tofffreier Sub&#x017F;tanzen,<lb/>
welche ihm außer im Fette der Thiere im reich&#x017F;ten Maaße von den<lb/>
mei&#x017F;ten und verbreitet&#x017F;ten Pflanzen&#x017F;toffen geboten werden.</p><lb/>
          <p>Sehr leicht erklären &#x017F;ich uns nun einige der auffallend&#x017F;ten Er&#x017F;cheinun-<lb/>
gen in der Ernährungswei&#x017F;e des Men&#x017F;chen und der Thiere. Jägervölker<lb/>
und flei&#x017F;chfre&#x017F;&#x017F;ende Thiere bedürfen einer großen Menge ihrer gewöhnlich<lb/>
fettarmen Nahrung. Durch ange&#x017F;trengte körperliche Thätigkeit mü&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ie die&#x017F;e &#x017F;tick&#x017F;toffhaltige Nahrung er&#x017F;t in zwei Be&#x017F;tandtheile zerlegen,<lb/>
einen der &#x017F;ämmtlichen Stick&#x017F;toff, einen andern, der einen Theil des<lb/>
Kohlen- und Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;toffs enthält, und die&#x017F;en letztern verwenden &#x017F;ie<lb/>
dann für die Re&#x017F;piration, da bei der Unverbrennlichkeit des Stick&#x017F;toffs<lb/>
&#x017F;tick&#x017F;toffhaltige Sub&#x017F;tanzen dazu untauglich &#x017F;ind. Eben darin findet<lb/>
auch die unruhige, ra&#x017F;tlos thätige Lebenswei&#x017F;e des reißenden Thiers,<lb/>
wie des Jägers ihre Erklärung, indem &#x017F;ie nur durch heftige An&#x017F;tren-<lb/>
gungen des Körpers &#x017F;o viel der &#x017F;tick&#x017F;toffhaltigen Nahrung zer&#x017F;etzen<lb/>
können, um für den Re&#x017F;pirationsproceß das nöthige Material zu<lb/>
&#x017F;chaffen. Aber auch die große Ma&#x017F;&#x017F;e von Nahrung, die eine &#x017F;olche<lb/>
Lebensart erfordert, i&#x017F;t dadurch leicht erklärt, zumal da mei&#x017F;t viel mehr<lb/>
thieri&#x017F;ches Leben vernichtet wird, als unmittelbar dem Nahrungsbe-<lb/>
dürfniß ent&#x017F;pricht. Aus beiden Gründen bedarf das reißende Thier<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0153] ganzen bewohnten Erde geworden ſind? Ein merkwürdiges Räthſel, von deſſen Löſung wir noch um ſo entfernter ſind, da von Aerzten und Chemikern angeſtellte Verſuche bis jetzt keine Andeutung einer beſon- dern Wirkung nach dem Genuſſe größerer Mengen reinen Theins erkennen laſſen, der Stoff alſo ohne auffallende Wirkung auf die thieriſche Oeconomie erſcheint. Ich kehre nach dieſer Abſchweifung, die der Hauptfrage ohnehin nicht ſo fremd iſt, wieder zu meiner Aufgabe zurück. Der Menſch bedarf alſo zu ſeiner Nahrung zunächſt dreier ſtickſtoffreicher Subſtan- zen, des Faſerſtoffs, Käſeſtoffs und des Eiweißes, und dieſe findet er nicht nur im Thierreich, ſondern auch im Pflanzenreich allgemein verbreitet. Er verbraucht ferner zur Unterhaltung der Reſpiration und dadurch der Wärme eine gewiſſe Menge ſtickſtofffreier Subſtanzen, welche ihm außer im Fette der Thiere im reichſten Maaße von den meiſten und verbreitetſten Pflanzenſtoffen geboten werden. Sehr leicht erklären ſich uns nun einige der auffallendſten Erſcheinun- gen in der Ernährungsweiſe des Menſchen und der Thiere. Jägervölker und fleiſchfreſſende Thiere bedürfen einer großen Menge ihrer gewöhnlich fettarmen Nahrung. Durch angeſtrengte körperliche Thätigkeit müſſen ſie dieſe ſtickſtoffhaltige Nahrung erſt in zwei Beſtandtheile zerlegen, einen der ſämmtlichen Stickſtoff, einen andern, der einen Theil des Kohlen- und Waſſerſtoffs enthält, und dieſen letztern verwenden ſie dann für die Reſpiration, da bei der Unverbrennlichkeit des Stickſtoffs ſtickſtoffhaltige Subſtanzen dazu untauglich ſind. Eben darin findet auch die unruhige, raſtlos thätige Lebensweiſe des reißenden Thiers, wie des Jägers ihre Erklärung, indem ſie nur durch heftige Anſtren- gungen des Körpers ſo viel der ſtickſtoffhaltigen Nahrung zerſetzen können, um für den Reſpirationsproceß das nöthige Material zu ſchaffen. Aber auch die große Maſſe von Nahrung, die eine ſolche Lebensart erfordert, iſt dadurch leicht erklärt, zumal da meiſt viel mehr thieriſches Leben vernichtet wird, als unmittelbar dem Nahrungsbe- dürfniß entſpricht. Aus beiden Gründen bedarf das reißende Thier

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/153
Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/153>, abgerufen am 24.11.2024.