Erscheinungen Trunkenheit nennt. Der Magueywein oder Pulque der Mexicaner, der Palmenwein der Chilenen, der Trank aus ge- käntem Mais bei den Anwohnern des Orinocco u. Amazonenstroms, endlich der Kumiß der Tartaren, aus Pferdemilch bereitet, stehen un- sern Getränken in sofern gleich, als bei allen der durch Gährung aus Zucker oder Stärkemehl erzeugte Weingeist das berauschende Princip ist. Ganz unbekannt ist uns die Wirkung der Cocca, der Blätter eines americanischen Baums (Erythroxylon Coca). Der größte Genuß des peruanischen Muletero (Maulthiertreiber) besteht darin, diese Blätter zu käuen und sich dadurch in einen Zustand träumerischen Hinbrütens zu versetzen, in welchem er, ohne trunken zu seyn, nur in süßer, künst- lich erregter Faulheit Tage lang mit Nichtsthun zubringt. Dagegen ist das Verzehren des Fliegenschwammes bei den Bewohnern des nördlichen Sibiriens, das Rauchen des Opium bei den Südasiaten, des Haschich oder Hanfextracts bei den nördlichsten und südlich- sten Africanern und endlich der Genuß des Getränkes, welches sich die Südseeinsulaner aus einer besondern Art von Pfeffer (Piper methys- ticum) bereiten, geradezu eine narcotische Vergiftung, welche bei öfterer Wiederholung sehr schnell die Zerstörung des Körpers nach sich zieht. Allen diesen Mitteln nun, durch körperliche Einwirkung die Thätigkeit des Geistes, insbesondere der Phantasie anfänglich auf angenehme Weise zu erhöhen, haben in der neuesten Zeit zwei Männer mit sehr ungleichem Erfolge den Krieg erklärt; der Eine kämpfte mit materiellen Waffen und unterlag, nämlich der Kaiser von China, der Andere erficht täglich neue Siege durch die Gewalt des Geistes, ich meine den kühnen Mäßigkeitsapostel, den frommen Pater Mathew. Der Letzte hat für die Entsagung, die er forderte, Ersatz geboten in einem andern Getränke, welches wir von den Chinesen entlehnt haben. Ob dieses Getränk, der Thee, wirklich ein unschuldiger Ersatz sey, wäre vielleicht noch erst einer genauen Untersuchung zu unterwerfen, bei welcher ich mich hier aber nicht länger aufhalten kann. Ich kann aber nicht umhin, bei dieser Gelegenheit auf ein interessantes, noch ungelöstes physiologisches Räthsel aufmerksam zu machen.
Erſcheinungen Trunkenheit nennt. Der Magueywein oder Pulque der Mexicaner, der Palmenwein der Chilenen, der Trank aus ge- käntem Mais bei den Anwohnern des Orinocco u. Amazonenſtroms, endlich der Kumiß der Tartaren, aus Pferdemilch bereitet, ſtehen un- ſern Getränken in ſofern gleich, als bei allen der durch Gährung aus Zucker oder Stärkemehl erzeugte Weingeiſt das berauſchende Princip iſt. Ganz unbekannt iſt uns die Wirkung der Cocca, der Blätter eines americaniſchen Baums (Erythroxylon Coca). Der größte Genuß des peruaniſchen Muletero (Maulthiertreiber) beſteht darin, dieſe Blätter zu käuen und ſich dadurch in einen Zuſtand träumeriſchen Hinbrütens zu verſetzen, in welchem er, ohne trunken zu ſeyn, nur in ſüßer, künſt- lich erregter Faulheit Tage lang mit Nichtsthun zubringt. Dagegen iſt das Verzehren des Fliegenſchwammes bei den Bewohnern des nördlichen Sibiriens, das Rauchen des Opium bei den Südaſiaten, des Haſchich oder Hanfextracts bei den nördlichſten und ſüdlich- ſten Africanern und endlich der Genuß des Getränkes, welches ſich die Südſeeinſulaner aus einer beſondern Art von Pfeffer (Piper methys- ticum) bereiten, geradezu eine narcotiſche Vergiftung, welche bei öfterer Wiederholung ſehr ſchnell die Zerſtörung des Körpers nach ſich zieht. Allen dieſen Mitteln nun, durch körperliche Einwirkung die Thätigkeit des Geiſtes, insbeſondere der Phantaſie anfänglich auf angenehme Weiſe zu erhöhen, haben in der neueſten Zeit zwei Männer mit ſehr ungleichem Erfolge den Krieg erklärt; der Eine kämpfte mit materiellen Waffen und unterlag, nämlich der Kaiſer von China, der Andere erficht täglich neue Siege durch die Gewalt des Geiſtes, ich meine den kühnen Mäßigkeitsapoſtel, den frommen Pater Mathew. Der Letzte hat für die Entſagung, die er forderte, Erſatz geboten in einem andern Getränke, welches wir von den Chineſen entlehnt haben. Ob dieſes Getränk, der Thee, wirklich ein unſchuldiger Erſatz ſey, wäre vielleicht noch erſt einer genauen Unterſuchung zu unterwerfen, bei welcher ich mich hier aber nicht länger aufhalten kann. Ich kann aber nicht umhin, bei dieſer Gelegenheit auf ein intereſſantes, noch ungelöſtes phyſiologiſches Räthſel aufmerkſam zu machen.
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Erſcheinungen Trunkenheit nennt. Der Magueywein oder Pulque
der Mexicaner, der Palmenwein der Chilenen, der Trank aus ge-
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endlich der Kumiß der Tartaren, aus Pferdemilch bereitet, ſtehen un-
ſern Getränken in ſofern gleich, als bei allen der durch Gährung aus
Zucker oder Stärkemehl erzeugte Weingeiſt das berauſchende Princip
iſt. Ganz unbekannt iſt uns die Wirkung der Cocca, der Blätter eines
americaniſchen Baums (Erythroxylon Coca). Der größte Genuß des
peruaniſchen Muletero (Maulthiertreiber) beſteht darin, dieſe Blätter
zu käuen und ſich dadurch in einen Zuſtand träumeriſchen Hinbrütens
zu verſetzen, in welchem er, ohne trunken zu ſeyn, nur in ſüßer, künſt-
lich erregter Faulheit Tage lang mit Nichtsthun zubringt. Dagegen
iſt das Verzehren des Fliegenſchwammes bei den Bewohnern des
nördlichen Sibiriens, das Rauchen des Opium bei den Südaſiaten,
des Haſchich oder Hanfextracts bei den nördlichſten und ſüdlich-
ſten Africanern und endlich der Genuß des Getränkes, welches ſich die
Südſeeinſulaner aus einer beſondern Art von Pfeffer (Piper methys-
ticum) bereiten, geradezu eine narcotiſche Vergiftung, welche bei öfterer
Wiederholung ſehr ſchnell die Zerſtörung des Körpers nach ſich zieht.
Allen dieſen Mitteln nun, durch körperliche Einwirkung die Thätigkeit
des Geiſtes, insbeſondere der Phantaſie anfänglich auf angenehme
Weiſe zu erhöhen, haben in der neueſten Zeit zwei Männer mit ſehr
ungleichem Erfolge den Krieg erklärt; der Eine kämpfte mit materiellen
Waffen und unterlag, nämlich der Kaiſer von China, der Andere
erficht täglich neue Siege durch die Gewalt des Geiſtes, ich meine
den kühnen Mäßigkeitsapoſtel, den frommen Pater Mathew.
Der Letzte hat für die Entſagung, die er forderte, Erſatz geboten in
einem andern Getränke, welches wir von den Chineſen entlehnt haben.
Ob dieſes Getränk, der Thee, wirklich ein unſchuldiger Erſatz ſey,
wäre vielleicht noch erſt einer genauen Unterſuchung zu unterwerfen,
bei welcher ich mich hier aber nicht länger aufhalten kann. Ich kann
aber nicht umhin, bei dieſer Gelegenheit auf ein intereſſantes, noch
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/148>, abgerufen am 24.11.2024.
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