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Schleiden, Matthias Jacob: Das Alter des Menschengeschlechts, die Entstehung der Arten und die Stellung des Menschen in der Natur. Leipzig, 1863.

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Dritte Vorlesung.
angeregten Untersuchungen, wenn auch meist unausgesprochen und oft
sogar unbewußt in der Seele jedes Forschers, und die mehr oder minder
vollständige, oft ebenfalls kaum zum Bewußtsein gebrachte Antwort
auf jene Fragen bestimmt und beeinflußt die Stellung, die der Einzelne
jenen Untersuchungen gegenüber einnimmt. Gewiß haben in letzter Zeit
nur viele deshalb sich den Darwin'schen Lehren widersetzt, weil im dun¬
klen Hintergrund ihrer Seele die Ansicht stand, daß jene Lehre unver¬
meidlich zum Materialismus führen müsse, oder weil sie darin die Lehre
ausgesprochen zu finden glaubten, der Mensch sei nichts als ein wohl¬
erzogener Affe, wogegen ihr menschlicher Stolz sich auflehnte. Nun
wäre dem wirklich so, könnten wir uns der Unabweisbarkeit dieser Fol¬
gerungen nicht entziehen, so hätten jene Zweifler wenigstens eine Ent¬
schuldigung, aber wir würden uns doch dabei zuletzt beruhigen müssen,
denn nie kann die Wissenschaft die Aufgabe haben, das zu finden, was
wir wünschen, sondern das, was wahr ist und nie und nimmer kann
den Menschen die wenn auch angenehmste Täuschung zum wahren Heil
gereichen, sondern nur die reine und ganze Wahrheit.

Aber es ist ja überall noch nicht an der Zeit zwischen der ange¬
deuteten Täuschung und Wahrheit wählen zu müssen, denn der Fehler
der genannten Gegner liegt gerade darin, daß sie bis jetzt nur dunkeln
halbbewußten Vorurtheilen folgen und die ganze Reihe der oben auf¬
geworfenen Fragen sich niemals bestimmt und deutlich vorgelegt, also
noch weniger auf gründliche Untersuchung gestützt beantwortet haben.
Ich will diese so wünschenswerthe Erörterung und Beantwortung der
wichtigen Fragen versuchen und glaube zeigen zu können, daß alle Be¬
fürchtungen jener ängstlichen Männer nichtig sind und bei der conse¬
quentesten und vollständigsten Durchführung jener Lehren die wahre
Würde des Menschen gar nicht in Gefahr kommen kann. Freilich muß
man sich dabei nicht durch oberflächliches Geschwätz führen lassen, son¬
dern Schritt vor Schritt in ernster Forschung von Anfang bis zu Ende
gehen, man muß strenge auseinander halten, was sich verschieden zeigt,
statt mit flüchtigem Aberwitz das Aehnliche als Gleiches zusammenzu¬

Dritte Vorleſung.
angeregten Unterſuchungen, wenn auch meiſt unausgeſprochen und oft
ſogar unbewußt in der Seele jedes Forſchers, und die mehr oder minder
vollſtändige, oft ebenfalls kaum zum Bewußtſein gebrachte Antwort
auf jene Fragen beſtimmt und beeinflußt die Stellung, die der Einzelne
jenen Unterſuchungen gegenüber einnimmt. Gewiß haben in letzter Zeit
nur viele deshalb ſich den Darwin'ſchen Lehren widerſetzt, weil im dun¬
klen Hintergrund ihrer Seele die Anſicht ſtand, daß jene Lehre unver¬
meidlich zum Materialismus führen müſſe, oder weil ſie darin die Lehre
ausgeſprochen zu finden glaubten, der Menſch ſei nichts als ein wohl¬
erzogener Affe, wogegen ihr menſchlicher Stolz ſich auflehnte. Nun
wäre dem wirklich ſo, könnten wir uns der Unabweisbarkeit dieſer Fol¬
gerungen nicht entziehen, ſo hätten jene Zweifler wenigſtens eine Ent¬
ſchuldigung, aber wir würden uns doch dabei zuletzt beruhigen müſſen,
denn nie kann die Wiſſenſchaft die Aufgabe haben, das zu finden, was
wir wünſchen, ſondern das, was wahr iſt und nie und nimmer kann
den Menſchen die wenn auch angenehmſte Täuſchung zum wahren Heil
gereichen, ſondern nur die reine und ganze Wahrheit.

Aber es iſt ja überall noch nicht an der Zeit zwiſchen der ange¬
deuteten Täuſchung und Wahrheit wählen zu müſſen, denn der Fehler
der genannten Gegner liegt gerade darin, daß ſie bis jetzt nur dunkeln
halbbewußten Vorurtheilen folgen und die ganze Reihe der oben auf¬
geworfenen Fragen ſich niemals beſtimmt und deutlich vorgelegt, alſo
noch weniger auf gründliche Unterſuchung geſtützt beantwortet haben.
Ich will dieſe ſo wünſchenswerthe Erörterung und Beantwortung der
wichtigen Fragen verſuchen und glaube zeigen zu können, daß alle Be¬
fürchtungen jener ängſtlichen Männer nichtig ſind und bei der conſe¬
quenteſten und vollſtändigſten Durchführung jener Lehren die wahre
Würde des Menſchen gar nicht in Gefahr kommen kann. Freilich muß
man ſich dabei nicht durch oberflächliches Geſchwätz führen laſſen, ſon¬
dern Schritt vor Schritt in ernſter Forſchung von Anfang bis zu Ende
gehen, man muß ſtrenge auseinander halten, was ſich verſchieden zeigt,
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[46/0056] Dritte Vorleſung. angeregten Unterſuchungen, wenn auch meiſt unausgeſprochen und oft ſogar unbewußt in der Seele jedes Forſchers, und die mehr oder minder vollſtändige, oft ebenfalls kaum zum Bewußtſein gebrachte Antwort auf jene Fragen beſtimmt und beeinflußt die Stellung, die der Einzelne jenen Unterſuchungen gegenüber einnimmt. Gewiß haben in letzter Zeit nur viele deshalb ſich den Darwin'ſchen Lehren widerſetzt, weil im dun¬ klen Hintergrund ihrer Seele die Anſicht ſtand, daß jene Lehre unver¬ meidlich zum Materialismus führen müſſe, oder weil ſie darin die Lehre ausgeſprochen zu finden glaubten, der Menſch ſei nichts als ein wohl¬ erzogener Affe, wogegen ihr menſchlicher Stolz ſich auflehnte. Nun wäre dem wirklich ſo, könnten wir uns der Unabweisbarkeit dieſer Fol¬ gerungen nicht entziehen, ſo hätten jene Zweifler wenigſtens eine Ent¬ ſchuldigung, aber wir würden uns doch dabei zuletzt beruhigen müſſen, denn nie kann die Wiſſenſchaft die Aufgabe haben, das zu finden, was wir wünſchen, ſondern das, was wahr iſt und nie und nimmer kann den Menſchen die wenn auch angenehmſte Täuſchung zum wahren Heil gereichen, ſondern nur die reine und ganze Wahrheit. Aber es iſt ja überall noch nicht an der Zeit zwiſchen der ange¬ deuteten Täuſchung und Wahrheit wählen zu müſſen, denn der Fehler der genannten Gegner liegt gerade darin, daß ſie bis jetzt nur dunkeln halbbewußten Vorurtheilen folgen und die ganze Reihe der oben auf¬ geworfenen Fragen ſich niemals beſtimmt und deutlich vorgelegt, alſo noch weniger auf gründliche Unterſuchung geſtützt beantwortet haben. Ich will dieſe ſo wünſchenswerthe Erörterung und Beantwortung der wichtigen Fragen verſuchen und glaube zeigen zu können, daß alle Be¬ fürchtungen jener ängſtlichen Männer nichtig ſind und bei der conſe¬ quenteſten und vollſtändigſten Durchführung jener Lehren die wahre Würde des Menſchen gar nicht in Gefahr kommen kann. Freilich muß man ſich dabei nicht durch oberflächliches Geſchwätz führen laſſen, ſon¬ dern Schritt vor Schritt in ernſter Forſchung von Anfang bis zu Ende gehen, man muß ſtrenge auseinander halten, was ſich verſchieden zeigt, ſtatt mit flüchtigem Aberwitz das Aehnliche als Gleiches zuſammenzu¬

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Das Alter des Menschengeschlechts, die Entstehung der Arten und die Stellung des Menschen in der Natur. Leipzig, 1863, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_menschengeschlecht_1863/56>, abgerufen am 22.11.2024.