Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, Friedrich von: Lucinde. Berlin, 1799.

Bild:
<< vorherige Seite

wider mich auf. In den geschwollnen
Adern tobt das wilde Blut, der
Mund durstet nach Vereinigung und
unter den vielen Gestalten der Freude
wählt und wechselt die Fantasie und
findet keine, in der die Begierde sich
endlich erfüllen und endlich Ruhe
finden könnte. Und dann gedenke
ich wieder plötzlich und rührend der
dunkeln Zeit, da ich immer wartete,
ohne zu hoffen, und heftig liebte,
ohne daß ich es wußte; da mein
innerstes Wesen sich ganz in unbe-
stimmte Sehnsucht ergoß und sie
nur selten in halb unterdrückten Seuf-
zern aushauchte.

Ja! ich würde es für ein Mähr-
chen gehalten haben, daß es solche
Freude gebe und solche Liebe, wie

B 2

wider mich auf. In den geſchwollnen
Adern tobt das wilde Blut, der
Mund durſtet nach Vereinigung und
unter den vielen Geſtalten der Freude
wählt und wechſelt die Fantaſie und
findet keine, in der die Begierde ſich
endlich erfüllen und endlich Ruhe
finden könnte. Und dann gedenke
ich wieder plötzlich und rührend der
dunkeln Zeit, da ich immer wartete,
ohne zu hoffen, und heftig liebte,
ohne daß ich es wußte; da mein
innerſtes Weſen ſich ganz in unbe-
ſtimmte Sehnſucht ergoß und ſie
nur ſelten in halb unterdrückten Seuf-
zern aushauchte.

Ja! ich würde es für ein Mähr-
chen gehalten haben, daß es ſolche
Freude gebe und ſolche Liebe, wie

B 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0024" n="19"/>
wider mich auf. In den ge&#x017F;chwollnen<lb/>
Adern tobt das wilde Blut, der<lb/>
Mund dur&#x017F;tet nach Vereinigung und<lb/>
unter den vielen Ge&#x017F;talten der Freude<lb/>
wählt und wech&#x017F;elt die Fanta&#x017F;ie und<lb/>
findet keine, in der die Begierde &#x017F;ich<lb/>
endlich erfüllen und endlich Ruhe<lb/>
finden könnte. Und dann gedenke<lb/>
ich wieder plötzlich und rührend der<lb/>
dunkeln Zeit, da ich immer wartete,<lb/>
ohne zu hoffen, und heftig liebte,<lb/>
ohne daß ich es wußte; da mein<lb/>
inner&#x017F;tes We&#x017F;en &#x017F;ich ganz in unbe-<lb/>
&#x017F;timmte Sehn&#x017F;ucht ergoß und &#x017F;ie<lb/>
nur &#x017F;elten in halb unterdrückten Seuf-<lb/>
zern aushauchte.</p><lb/>
            <p>Ja! ich würde es für ein Mähr-<lb/>
chen gehalten haben, daß es &#x017F;olche<lb/>
Freude gebe und &#x017F;olche Liebe, wie<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 2</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0024] wider mich auf. In den geſchwollnen Adern tobt das wilde Blut, der Mund durſtet nach Vereinigung und unter den vielen Geſtalten der Freude wählt und wechſelt die Fantaſie und findet keine, in der die Begierde ſich endlich erfüllen und endlich Ruhe finden könnte. Und dann gedenke ich wieder plötzlich und rührend der dunkeln Zeit, da ich immer wartete, ohne zu hoffen, und heftig liebte, ohne daß ich es wußte; da mein innerſtes Weſen ſich ganz in unbe- ſtimmte Sehnſucht ergoß und ſie nur ſelten in halb unterdrückten Seuf- zern aushauchte. Ja! ich würde es für ein Mähr- chen gehalten haben, daß es ſolche Freude gebe und ſolche Liebe, wie B 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Darüber hinaus sind keine weiteren Teile erschien… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_lucinde_1799
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_lucinde_1799/24
Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Lucinde. Berlin, 1799, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_lucinde_1799/24>, abgerufen am 22.11.2024.