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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

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historisch wahrscheinlich, die allzu innig mit der
indischen Denkart und Verfassung verwebt ist,
als daß willkührliche Neuerung oder eine be-
deutende Umwälzung durch Vernachlässigung so
leicht als bei andern Völkern statt finden konn-
te. Noch mehr wird dieß bestätigt, wenn man
den Bau dieser Sprache selbst betrachtet. Es ist
wahr, beinah die ganze indische Sprache ist eine
philosophische oder vielmehr religiöse Terminolo-
gie; und vielleicht ist keine Sprache, selbst die
griechische nicht ausgenommen, so philosophisch
klar und scharf bestimmt als die indische; aber
freilich ist es kein veränderliches Combinations-
spiel willkührlicher Abstractionen, sondern ein
bleibendes System, wo die einmal geheiligten
tiefbedeutenden Ausdrücke und Worte sich gegen-
seitig erhellen, bestimmen und tragen. Und diese
hohe Geistigkeit ist zugleich sehr einfach, nicht
durch Bilder den zuvor bloß sinnlichen Aus-
drücken erst mitgetheilt, sondern in der ersten
und eigentlichen Bedeutung selbst der einfachen
Grundbestandtheile schon ursprünglich gegründet.
Von manchem der Art, was zwar ganz klar ist,
aber doch keinen andern Sinn zuläßt als einen

hiſtoriſch wahrſcheinlich, die allzu innig mit der
indiſchen Denkart und Verfaſſung verwebt iſt,
als daß willkuͤhrliche Neuerung oder eine be-
deutende Umwaͤlzung durch Vernachlaͤſſigung ſo
leicht als bei andern Voͤlkern ſtatt finden konn-
te. Noch mehr wird dieß beſtaͤtigt, wenn man
den Bau dieſer Sprache ſelbſt betrachtet. Es iſt
wahr, beinah die ganze indiſche Sprache iſt eine
philoſophiſche oder vielmehr religioͤſe Terminolo-
gie; und vielleicht iſt keine Sprache, ſelbſt die
griechiſche nicht ausgenommen, ſo philoſophiſch
klar und ſcharf beſtimmt als die indiſche; aber
freilich iſt es kein veraͤnderliches Combinations-
ſpiel willkuͤhrlicher Abſtractionen, ſondern ein
bleibendes Syſtem, wo die einmal geheiligten
tiefbedeutenden Ausdruͤcke und Worte ſich gegen-
ſeitig erhellen, beſtimmen und tragen. Und dieſe
hohe Geiſtigkeit iſt zugleich ſehr einfach, nicht
durch Bilder den zuvor bloß ſinnlichen Aus-
druͤcken erſt mitgetheilt, ſondern in der erſten
und eigentlichen Bedeutung ſelbſt der einfachen
Grundbeſtandtheile ſchon urſpruͤnglich gegruͤndet.
Von manchem der Art, was zwar ganz klar iſt,
aber doch keinen andern Sinn zulaͤßt als einen

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[68/0087] hiſtoriſch wahrſcheinlich, die allzu innig mit der indiſchen Denkart und Verfaſſung verwebt iſt, als daß willkuͤhrliche Neuerung oder eine be- deutende Umwaͤlzung durch Vernachlaͤſſigung ſo leicht als bei andern Voͤlkern ſtatt finden konn- te. Noch mehr wird dieß beſtaͤtigt, wenn man den Bau dieſer Sprache ſelbſt betrachtet. Es iſt wahr, beinah die ganze indiſche Sprache iſt eine philoſophiſche oder vielmehr religioͤſe Terminolo- gie; und vielleicht iſt keine Sprache, ſelbſt die griechiſche nicht ausgenommen, ſo philoſophiſch klar und ſcharf beſtimmt als die indiſche; aber freilich iſt es kein veraͤnderliches Combinations- ſpiel willkuͤhrlicher Abſtractionen, ſondern ein bleibendes Syſtem, wo die einmal geheiligten tiefbedeutenden Ausdruͤcke und Worte ſich gegen- ſeitig erhellen, beſtimmen und tragen. Und dieſe hohe Geiſtigkeit iſt zugleich ſehr einfach, nicht durch Bilder den zuvor bloß ſinnlichen Aus- druͤcken erſt mitgetheilt, ſondern in der erſten und eigentlichen Bedeutung ſelbſt der einfachen Grundbeſtandtheile ſchon urſpruͤnglich gegruͤndet. Von manchem der Art, was zwar ganz klar iſt, aber doch keinen andern Sinn zulaͤßt als einen

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Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/87>, abgerufen am 22.11.2024.