Von der indischen Verfassung finden sich bei den ältesten Römern vielleicht bei genauer Ansicht noch mehr Ueberbleibsel als man beim ersten Blick denken sollte. Die Patricier, die ausschliessend das Recht der Augurien hatten, waren wohl ursprünglich nichts anders als der erbliche Priesterstand; und nur dadurch, daß dieser auch den Krieg übte und die Rechte des Krie- gesstandes mit an sich riß, ward der eigentliche Adel (die equites) zurückgedrängt, bis die Allein- herrschaft dieses übermächtigen kriegrischen Prie- steradels den Widerstand des Volks aufreizte und jener Kampf begann, der uns noch jetzt in den alten Geschichten so lebhaft anzieht.
Wenn die Griechen Alexanders eigentliche Republiken bei den Indiern zu finden glaubten, so dürfen wir dieses doch wohl schwerlich nach der Weise der hellenischen, phönicischen oder ita- lischen Freistaaten verstehen. Die Griechen hat- ten keinen Begriff von einer ständischen Verfas- sung, wie es die indische von Alters her war; noch von einem auf unverletzlich heilige ständi- sche Rechte gegründeten, gesetzlichen und freien Königthum; sie werden also nach ihrer Weise
Von der indiſchen Verfaſſung finden ſich bei den aͤlteſten Roͤmern vielleicht bei genauer Anſicht noch mehr Ueberbleibſel als man beim erſten Blick denken ſollte. Die Patricier, die ausſchlieſſend das Recht der Augurien hatten, waren wohl urſpruͤnglich nichts anders als der erbliche Prieſterſtand; und nur dadurch, daß dieſer auch den Krieg uͤbte und die Rechte des Krie- gesſtandes mit an ſich riß, ward der eigentliche Adel (die equites) zuruͤckgedraͤngt, bis die Allein- herrſchaft dieſes uͤbermaͤchtigen kriegriſchen Prie- ſteradels den Widerſtand des Volks aufreizte und jener Kampf begann, der uns noch jetzt in den alten Geſchichten ſo lebhaft anzieht.
Wenn die Griechen Alexanders eigentliche Republiken bei den Indiern zu finden glaubten, ſo duͤrfen wir dieſes doch wohl ſchwerlich nach der Weiſe der helleniſchen, phoͤniciſchen oder ita- liſchen Freiſtaaten verſtehen. Die Griechen hat- ten keinen Begriff von einer ſtaͤndiſchen Verfaſ- ſung, wie es die indiſche von Alters her war; noch von einem auf unverletzlich heilige ſtaͤndi- ſche Rechte gegruͤndeten, geſetzlichen und freien Koͤnigthum; ſie werden alſo nach ihrer Weiſe
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Von der indiſchen Verfaſſung finden ſich
bei den aͤlteſten Roͤmern vielleicht bei genauer
Anſicht noch mehr Ueberbleibſel als man beim
erſten Blick denken ſollte. Die Patricier, die
ausſchlieſſend das Recht der Augurien hatten,
waren wohl urſpruͤnglich nichts anders als der
erbliche Prieſterſtand; und nur dadurch, daß dieſer
auch den Krieg uͤbte und die Rechte des Krie-
gesſtandes mit an ſich riß, ward der eigentliche
Adel (die equites) zuruͤckgedraͤngt, bis die Allein-
herrſchaft dieſes uͤbermaͤchtigen kriegriſchen Prie-
ſteradels den Widerſtand des Volks aufreizte und
jener Kampf begann, der uns noch jetzt in den
alten Geſchichten ſo lebhaft anzieht.
Wenn die Griechen Alexanders eigentliche
Republiken bei den Indiern zu finden glaubten,
ſo duͤrfen wir dieſes doch wohl ſchwerlich nach
der Weiſe der helleniſchen, phoͤniciſchen oder ita-
liſchen Freiſtaaten verſtehen. Die Griechen hat-
ten keinen Begriff von einer ſtaͤndiſchen Verfaſ-
ſung, wie es die indiſche von Alters her war;
noch von einem auf unverletzlich heilige ſtaͤndi-
ſche Rechte gegruͤndeten, geſetzlichen und freien
Koͤnigthum; ſie werden alſo nach ihrer Weiſe
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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/209>, abgerufen am 02.05.2024.
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