Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.dem ganz gemeinen Begrif, wo es endlich auf die Liederlichkeit hinausläuft -- ein Wahnsinn sei; und für ein Paar Stükchen Theodicee, daß nemlich am Ende auch der Unverstand das Gute befördere, und daß die Welt ohne Tod unmöglich bestehen könne, muß der gute Las Casas sich zum Deismus des achtzehnten Jahrhunderts bekennen, und hintennach noch eine ganze rührende Geschichte gedichtet werden! -- Wo in aller Welt mag die Welt liegen, für die man noch jetzt über diese Dinge so philosophiren müßte, als wüßte nicht Jedermann längst, woran man damit ist? Wo ist jetzt noch die Rede von der Herbeirufung der Franzosen zur Verbesserung unserer Litteratur? -- Sie kennen die alte Legende von den Schläfern? Es ist doch nichts so toll ersonnen, was nicht endlich einmal wahr würde! Mir wenigstens hat das Buch gerade den Eindruck gegeben, als ob Engel, Gott weiß wieviel Jahre, geschlafen hätte, und nun, ohne sich erst die Augen zu waschen, und sich in der Welt ein wenig umzusehen, gleich so weiter fortredete. Jch schwöre Jhnen, ich habe ordentlich darauf studirt, wie ich ihm auf die beste Art alle die kläglichen Ereignisse vorbringen wollte, von denen er doch früher oder später hören muß. So böse ich aber auch bin, in Einer Rücksicht ist mir das Buch unendlich viel werth. Wenn nun wieder von der Arroganz der jüngeren Schriftstellergeneration die Rede ist, kann ich doch alle mühsamen und gründlichen Erörterungen zur Berichtigung der Begriffe sparen, und vermittelst dieses Buchs gleich zur Anschauung bringen, wie die wahre dem ganz gemeinen Begrif, wo es endlich auf die Liederlichkeit hinauslaͤuft — ein Wahnsinn sei; und fuͤr ein Paar Stuͤkchen Theodicee, daß nemlich am Ende auch der Unverstand das Gute befoͤrdere, und daß die Welt ohne Tod unmoͤglich bestehen koͤnne, muß der gute Las Casas sich zum Deismus des achtzehnten Jahrhunderts bekennen, und hintennach noch eine ganze ruͤhrende Geschichte gedichtet werden! — Wo in aller Welt mag die Welt liegen, fuͤr die man noch jetzt uͤber diese Dinge so philosophiren muͤßte, als wuͤßte nicht Jedermann laͤngst, woran man damit ist? Wo ist jetzt noch die Rede von der Herbeirufung der Franzosen zur Verbesserung unserer Litteratur? — Sie kennen die alte Legende von den Schlaͤfern? Es ist doch nichts so toll ersonnen, was nicht endlich einmal wahr wuͤrde! Mir wenigstens hat das Buch gerade den Eindruck gegeben, als ob Engel, Gott weiß wieviel Jahre, geschlafen haͤtte, und nun, ohne sich erst die Augen zu waschen, und sich in der Welt ein wenig umzusehen, gleich so weiter fortredete. Jch schwoͤre Jhnen, ich habe ordentlich darauf studirt, wie ich ihm auf die beste Art alle die klaͤglichen Ereignisse vorbringen wollte, von denen er doch fruͤher oder spaͤter hoͤren muß. So boͤse ich aber auch bin, in Einer Ruͤcksicht ist mir das Buch unendlich viel werth. Wenn nun wieder von der Arroganz der juͤngeren Schriftstellergeneration die Rede ist, kann ich doch alle muͤhsamen und gruͤndlichen Eroͤrterungen zur Berichtigung der Begriffe sparen, und vermittelst dieses Buchs gleich zur Anschauung bringen, wie die wahre <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0257" n="245"/> dem ganz gemeinen Begrif, wo es endlich auf die Liederlichkeit hinauslaͤuft — ein Wahnsinn sei; und fuͤr ein Paar Stuͤkchen Theodicee, daß nemlich am Ende auch der Unverstand das Gute befoͤrdere, und daß die Welt ohne Tod unmoͤglich bestehen koͤnne, muß der gute Las Casas sich zum Deismus des achtzehnten Jahrhunderts bekennen, und hintennach noch eine ganze ruͤhrende Geschichte gedichtet werden! — Wo in aller Welt mag die Welt liegen, fuͤr die man noch jetzt uͤber diese Dinge so philosophiren muͤßte, als wuͤßte nicht Jedermann laͤngst, woran man damit ist? Wo ist jetzt noch die Rede von der Herbeirufung der Franzosen zur Verbesserung unserer Litteratur? — Sie kennen die alte Legende von den Schlaͤfern? Es ist doch nichts so toll ersonnen, was nicht endlich einmal wahr wuͤrde! Mir wenigstens hat das Buch gerade den Eindruck gegeben, als ob Engel, Gott weiß wieviel Jahre, geschlafen haͤtte, und nun, ohne sich erst die Augen zu waschen, und sich in der Welt ein wenig umzusehen, gleich so weiter fortredete. Jch schwoͤre Jhnen, ich habe ordentlich darauf studirt, wie ich ihm auf die beste Art alle die klaͤglichen Ereignisse vorbringen wollte, von denen er doch fruͤher oder spaͤter hoͤren muß. So boͤse ich aber auch bin, in Einer Ruͤcksicht ist mir das Buch unendlich viel werth. Wenn nun wieder von der Arroganz der juͤngeren Schriftstellergeneration die Rede ist, kann ich doch alle muͤhsamen und gruͤndlichen Eroͤrterungen zur Berichtigung der Begriffe sparen, und vermittelst dieses Buchs gleich zur Anschauung bringen, wie die wahre </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [245/0257]
dem ganz gemeinen Begrif, wo es endlich auf die Liederlichkeit hinauslaͤuft — ein Wahnsinn sei; und fuͤr ein Paar Stuͤkchen Theodicee, daß nemlich am Ende auch der Unverstand das Gute befoͤrdere, und daß die Welt ohne Tod unmoͤglich bestehen koͤnne, muß der gute Las Casas sich zum Deismus des achtzehnten Jahrhunderts bekennen, und hintennach noch eine ganze ruͤhrende Geschichte gedichtet werden! — Wo in aller Welt mag die Welt liegen, fuͤr die man noch jetzt uͤber diese Dinge so philosophiren muͤßte, als wuͤßte nicht Jedermann laͤngst, woran man damit ist? Wo ist jetzt noch die Rede von der Herbeirufung der Franzosen zur Verbesserung unserer Litteratur? — Sie kennen die alte Legende von den Schlaͤfern? Es ist doch nichts so toll ersonnen, was nicht endlich einmal wahr wuͤrde! Mir wenigstens hat das Buch gerade den Eindruck gegeben, als ob Engel, Gott weiß wieviel Jahre, geschlafen haͤtte, und nun, ohne sich erst die Augen zu waschen, und sich in der Welt ein wenig umzusehen, gleich so weiter fortredete. Jch schwoͤre Jhnen, ich habe ordentlich darauf studirt, wie ich ihm auf die beste Art alle die klaͤglichen Ereignisse vorbringen wollte, von denen er doch fruͤher oder spaͤter hoͤren muß. So boͤse ich aber auch bin, in Einer Ruͤcksicht ist mir das Buch unendlich viel werth. Wenn nun wieder von der Arroganz der juͤngeren Schriftstellergeneration die Rede ist, kann ich doch alle muͤhsamen und gruͤndlichen Eroͤrterungen zur Berichtigung der Begriffe sparen, und vermittelst dieses Buchs gleich zur Anschauung bringen, wie die wahre
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/257>, abgerufen am 18.06.2024. |