Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.ernstlich gemeint ist, und auch die Eitelkeit sich nicht etwa bescheiden verbirgt, sondern offen und ehrlich sich selbst ankündigt und mit Namen nennt. Diesem Charakter seines Lebens ist auch der seines Denkens und seiner Untersuchungen durchaus analogisch. Auch hier hat Alles eine auseinander fahrende Richtung; was auf den ersten Anblick etwas Großes zu sein scheint, verwandelt sich wie unter den Händen in ein Unendlich kleines; auch hier fehlt es an einem Mittelpunkt und Anfang, er kommt nie zu etwas Ganzem oder Ursprünglichem, sondern muß sich immer nur im Kreise des Abgebildeten und Einzelnen herumdrehen, und nimmt alles auf guten Glauben so auf, wie es der gemeine Verstand aus der Hand gelegt hat; ja nicht nur mit der Wissenschaft, die ihm von Natur fremder ist, ergeht es ihm so, sondern auch wo es auf Untersuchungen über das Leben und die Menschen ankommt. Um alles dies von Garve zu wissen, bedurfte es freilich nur für die, welche alles in großen Massen handgreiflich vor sich sehen müssen, der Anschauung dieser letzten Schriften; Andere hätten alles, was darin liegt aus einzelnen früheren Aeußerungen diviniren können, in denen Garve ganz gelegentlich und unbewußt sein Jnneres so vollständig als möglich charakterisirt hat. Jn der Abhandlung von der Popularität im Vortrage sagt er einmal, "er glaube alle Wissenschaften, ein Wort welches bei ihm sehr weitschichtig ist, eintheilen zu können in solche, worin über Erfahrungen reflectirt, und in solche in denen Jdeen combinirt würden, und die Moral oder die Lehre vom ernstlich gemeint ist, und auch die Eitelkeit sich nicht etwa bescheiden verbirgt, sondern offen und ehrlich sich selbst ankuͤndigt und mit Namen nennt. Diesem Charakter seines Lebens ist auch der seines Denkens und seiner Untersuchungen durchaus analogisch. Auch hier hat Alles eine auseinander fahrende Richtung; was auf den ersten Anblick etwas Großes zu sein scheint, verwandelt sich wie unter den Haͤnden in ein Unendlich kleines; auch hier fehlt es an einem Mittelpunkt und Anfang, er kommt nie zu etwas Ganzem oder Urspruͤnglichem, sondern muß sich immer nur im Kreise des Abgebildeten und Einzelnen herumdrehen, und nimmt alles auf guten Glauben so auf, wie es der gemeine Verstand aus der Hand gelegt hat; ja nicht nur mit der Wissenschaft, die ihm von Natur fremder ist, ergeht es ihm so, sondern auch wo es auf Untersuchungen uͤber das Leben und die Menschen ankommt. Um alles dies von Garve zu wissen, bedurfte es freilich nur fuͤr die, welche alles in großen Massen handgreiflich vor sich sehen muͤssen, der Anschauung dieser letzten Schriften; Andere haͤtten alles, was darin liegt aus einzelnen fruͤheren Aeußerungen diviniren koͤnnen, in denen Garve ganz gelegentlich und unbewußt sein Jnneres so vollstaͤndig als moͤglich charakterisirt hat. Jn der Abhandlung von der Popularitaͤt im Vortrage sagt er einmal, “er glaube alle Wissenschaften, ein Wort welches bei ihm sehr weitschichtig ist, eintheilen zu koͤnnen in solche, worin uͤber Erfahrungen reflectirt, und in solche in denen Jdeen combinirt wuͤrden, und die Moral oder die Lehre vom <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0140" n="132"/> ernstlich gemeint ist, und auch die Eitelkeit sich nicht etwa bescheiden verbirgt, sondern offen und ehrlich sich selbst ankuͤndigt und mit Namen nennt. Diesem Charakter seines Lebens ist auch der seines Denkens und seiner Untersuchungen durchaus analogisch. Auch hier hat Alles eine auseinander fahrende Richtung; was auf den ersten Anblick etwas Großes zu sein scheint, verwandelt sich wie unter den Haͤnden in ein Unendlich kleines; auch hier fehlt es an einem Mittelpunkt und Anfang, er kommt nie zu etwas Ganzem oder Urspruͤnglichem, sondern muß sich immer nur im Kreise des Abgebildeten und Einzelnen herumdrehen, und nimmt alles auf guten Glauben so auf, wie es der gemeine Verstand aus der Hand gelegt hat; ja nicht nur mit der Wissenschaft, die ihm von Natur fremder ist, ergeht es ihm so, sondern auch wo es auf Untersuchungen uͤber das Leben und die Menschen ankommt.</p><lb/> <p>Um alles dies von Garve zu wissen, bedurfte es freilich nur fuͤr die, welche alles in großen Massen handgreiflich vor sich sehen muͤssen, der Anschauung dieser letzten Schriften; Andere haͤtten alles, was darin liegt aus einzelnen fruͤheren Aeußerungen diviniren koͤnnen, in denen Garve ganz gelegentlich und unbewußt sein Jnneres so vollstaͤndig als moͤglich charakterisirt hat. Jn der Abhandlung von der Popularitaͤt im Vortrage sagt er einmal, “er glaube alle Wissenschaften, ein Wort welches bei ihm sehr weitschichtig ist, eintheilen zu koͤnnen in solche, worin uͤber Erfahrungen reflectirt, und in solche in denen Jdeen combinirt wuͤrden, und die Moral oder die Lehre vom </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [132/0140]
ernstlich gemeint ist, und auch die Eitelkeit sich nicht etwa bescheiden verbirgt, sondern offen und ehrlich sich selbst ankuͤndigt und mit Namen nennt. Diesem Charakter seines Lebens ist auch der seines Denkens und seiner Untersuchungen durchaus analogisch. Auch hier hat Alles eine auseinander fahrende Richtung; was auf den ersten Anblick etwas Großes zu sein scheint, verwandelt sich wie unter den Haͤnden in ein Unendlich kleines; auch hier fehlt es an einem Mittelpunkt und Anfang, er kommt nie zu etwas Ganzem oder Urspruͤnglichem, sondern muß sich immer nur im Kreise des Abgebildeten und Einzelnen herumdrehen, und nimmt alles auf guten Glauben so auf, wie es der gemeine Verstand aus der Hand gelegt hat; ja nicht nur mit der Wissenschaft, die ihm von Natur fremder ist, ergeht es ihm so, sondern auch wo es auf Untersuchungen uͤber das Leben und die Menschen ankommt.
Um alles dies von Garve zu wissen, bedurfte es freilich nur fuͤr die, welche alles in großen Massen handgreiflich vor sich sehen muͤssen, der Anschauung dieser letzten Schriften; Andere haͤtten alles, was darin liegt aus einzelnen fruͤheren Aeußerungen diviniren koͤnnen, in denen Garve ganz gelegentlich und unbewußt sein Jnneres so vollstaͤndig als moͤglich charakterisirt hat. Jn der Abhandlung von der Popularitaͤt im Vortrage sagt er einmal, “er glaube alle Wissenschaften, ein Wort welches bei ihm sehr weitschichtig ist, eintheilen zu koͤnnen in solche, worin uͤber Erfahrungen reflectirt, und in solche in denen Jdeen combinirt wuͤrden, und die Moral oder die Lehre vom
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/140>, abgerufen am 27.07.2024. |