Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.Jch nehme den Faden wieder auf: denn ich bin gesonnen Jhnen nichts zu schenken, sondern Jhren Behauptungen Schritt vor Schritt zu folgen. Sie tadelten Jean Paul auch, mit einer fast wegwerfenden Art, daß er sentimental sey. Wollten die Götter, er wäre es in dem Sinne wie ich das Wort nehme, und es seinem Ursprunge und seiner Natur nach glaube nehmen zu müssen. Denn nach meiner Ansicht und nach meinem Sprachgebrauch ist eben das romantisch, was uns einen sentimentalen Stoff in einer fantastischen Form darstellt. Vergessen Sie auf einen Augenblick die gewöhnliche übel berüchtigte Bedeutung des Sentimentalen, wo man fast alles unter dieser Benennung versteht, was auf eine platte Weise rührend und thränenreich ist, und voll von jenen familiären Edelmuthsgefühlen, in deren Bewußtseyn Menschen ohne Charakter sich so unaussprechlich glücklich und groß fühlen. Denken Sie dabey lieber an Petrarca oder an Tasso, dessen Gedicht gegen das mehr fantastische Romanzo des Ariost, wohl das sentimentale heißen könnte; und ich erinnre mich nicht gleich eines Beyspiels, wo der Gegensatz so klar und das Uebergewicht so entschieden wäre wie hier. Tasso ist mehr musikalisch und das Pittoreske im Ariost ist gewiß nicht das schlechteste. Die Mahlerey ist nicht mehr so fantastisch, wie sie es bey vielen Meistern der venetianischen Schule, wenn ich meinem Gefühl trauen darf, auch im Correggio und vielleicht Jch nehme den Faden wieder auf: denn ich bin gesonnen Jhnen nichts zu schenken, sondern Jhren Behauptungen Schritt vor Schritt zu folgen. Sie tadelten Jean Paul auch, mit einer fast wegwerfenden Art, daß er sentimental sey. Wollten die Goͤtter, er waͤre es in dem Sinne wie ich das Wort nehme, und es seinem Ursprunge und seiner Natur nach glaube nehmen zu muͤssen. Denn nach meiner Ansicht und nach meinem Sprachgebrauch ist eben das romantisch, was uns einen sentimentalen Stoff in einer fantastischen Form darstellt. Vergessen Sie auf einen Augenblick die gewoͤhnliche uͤbel beruͤchtigte Bedeutung des Sentimentalen, wo man fast alles unter dieser Benennung versteht, was auf eine platte Weise ruͤhrend und thraͤnenreich ist, und voll von jenen familiaͤren Edelmuthsgefuͤhlen, in deren Bewußtseyn Menschen ohne Charakter sich so unaussprechlich gluͤcklich und groß fuͤhlen. Denken Sie dabey lieber an Petrarca oder an Tasso, dessen Gedicht gegen das mehr fantastische Romanzo des Ariost, wohl das sentimentale heißen koͤnnte; und ich erinnre mich nicht gleich eines Beyspiels, wo der Gegensatz so klar und das Uebergewicht so entschieden waͤre wie hier. Tasso ist mehr musikalisch und das Pittoreske im Ariost ist gewiß nicht das schlechteste. Die Mahlerey ist nicht mehr so fantastisch, wie sie es bey vielen Meistern der venetianischen Schule, wenn ich meinem Gefuͤhl trauen darf, auch im Correggio und vielleicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0127" n="119"/> <p>Jch nehme den Faden wieder auf: denn ich bin gesonnen Jhnen nichts zu schenken, sondern Jhren Behauptungen Schritt vor Schritt zu folgen.</p><lb/> <p>Sie tadelten Jean Paul auch, mit einer fast wegwerfenden Art, daß er sentimental sey.</p><lb/> <p>Wollten die Goͤtter, er waͤre es in dem Sinne wie ich das Wort nehme, und es seinem Ursprunge und seiner Natur nach glaube nehmen zu muͤssen. Denn nach meiner Ansicht und nach meinem Sprachgebrauch ist eben das romantisch, was uns einen sentimentalen Stoff in einer fantastischen Form darstellt.</p><lb/> <p>Vergessen Sie auf einen Augenblick die gewoͤhnliche uͤbel beruͤchtigte Bedeutung des Sentimentalen, wo man fast alles unter dieser Benennung versteht, was auf eine platte Weise ruͤhrend und thraͤnenreich ist, und voll von jenen familiaͤren Edelmuthsgefuͤhlen, in deren Bewußtseyn Menschen ohne Charakter sich so unaussprechlich gluͤcklich und groß fuͤhlen.</p><lb/> <p>Denken Sie dabey lieber an Petrarca oder an Tasso, dessen Gedicht gegen das mehr fantastische Romanzo des Ariost, wohl das sentimentale heißen koͤnnte; und ich erinnre mich nicht gleich eines Beyspiels, wo der Gegensatz so klar und das Uebergewicht so entschieden waͤre wie hier.</p><lb/> <p>Tasso ist mehr musikalisch und das Pittoreske im Ariost ist gewiß nicht das schlechteste. Die Mahlerey ist nicht mehr so fantastisch, wie sie es bey vielen Meistern der venetianischen Schule, wenn ich meinem Gefuͤhl trauen darf, auch im Correggio und vielleicht </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [119/0127]
Jch nehme den Faden wieder auf: denn ich bin gesonnen Jhnen nichts zu schenken, sondern Jhren Behauptungen Schritt vor Schritt zu folgen.
Sie tadelten Jean Paul auch, mit einer fast wegwerfenden Art, daß er sentimental sey.
Wollten die Goͤtter, er waͤre es in dem Sinne wie ich das Wort nehme, und es seinem Ursprunge und seiner Natur nach glaube nehmen zu muͤssen. Denn nach meiner Ansicht und nach meinem Sprachgebrauch ist eben das romantisch, was uns einen sentimentalen Stoff in einer fantastischen Form darstellt.
Vergessen Sie auf einen Augenblick die gewoͤhnliche uͤbel beruͤchtigte Bedeutung des Sentimentalen, wo man fast alles unter dieser Benennung versteht, was auf eine platte Weise ruͤhrend und thraͤnenreich ist, und voll von jenen familiaͤren Edelmuthsgefuͤhlen, in deren Bewußtseyn Menschen ohne Charakter sich so unaussprechlich gluͤcklich und groß fuͤhlen.
Denken Sie dabey lieber an Petrarca oder an Tasso, dessen Gedicht gegen das mehr fantastische Romanzo des Ariost, wohl das sentimentale heißen koͤnnte; und ich erinnre mich nicht gleich eines Beyspiels, wo der Gegensatz so klar und das Uebergewicht so entschieden waͤre wie hier.
Tasso ist mehr musikalisch und das Pittoreske im Ariost ist gewiß nicht das schlechteste. Die Mahlerey ist nicht mehr so fantastisch, wie sie es bey vielen Meistern der venetianischen Schule, wenn ich meinem Gefuͤhl trauen darf, auch im Correggio und vielleicht
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/127>, abgerufen am 16.02.2025. |