Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.und Verrückten, oder des Einfältigen und Dummen durchschimmern läßt. Denn das ist der Anfang aller Poesie, den Gang und die Gesetze der vernünftig denkenden Vernunft aufzuheben und uns wieder in die schöne Verwirrung der Fantasie, in das ursprüngliche Chaos der menschlichen Natur zu versetzen, für das ich kein schöneres Symbol bis jetzt kenne, als das bunte Gewimmel der alten Götter. Warum wollt Jhr Euch nicht erheben, diese herrlichen Gestalten des großen Alterthums neu zu beleben? -- Versucht es nur einmal die alte Mythologie voll vom Spinosa und von jenen Ansichten, welche die jetzige Physik in jedem Nachdenkenden erregen muß, zu betrachten, wie Euch alles in neuem Glanz und Leben erscheinen wird. Aber auch die andern Mythologien müssen wieder erweckt werden nach dem Maaß ihres Tiefsinns, ihrer Schönheit und ihrer Bildung, um die Entstehung der neuen Mythologie zu beschleunigen. Wären uns nur die Schätze des Orients so zugänglich wie die des Alterthums! Welche neue Quelle von Poesie könnte uns aus Jndien fließen, wenn einige deutsche Künstler mit der Universalität und Tiefe des Sinns, mit dem Genie der Uebersetzung, das ihnen eigen ist, die Gelegenheit besäßen, welche eine Nation, die immer stumpfer und brutaler wird, wenig zu brauchen versteht. Jm Orient müssen wir das höchste Romantische suchen, und wenn wir erst aus der Quelle schöpfen können, so wird uns vielleicht der Anschein von südlicher Gluth, der uns jetzt in der spanischen Poesie so reizend und Verruͤckten, oder des Einfaͤltigen und Dummen durchschimmern laͤßt. Denn das ist der Anfang aller Poesie, den Gang und die Gesetze der vernuͤnftig denkenden Vernunft aufzuheben und uns wieder in die schoͤne Verwirrung der Fantasie, in das urspruͤngliche Chaos der menschlichen Natur zu versetzen, fuͤr das ich kein schoͤneres Symbol bis jetzt kenne, als das bunte Gewimmel der alten Goͤtter. Warum wollt Jhr Euch nicht erheben, diese herrlichen Gestalten des großen Alterthums neu zu beleben? — Versucht es nur einmal die alte Mythologie voll vom Spinosa und von jenen Ansichten, welche die jetzige Physik in jedem Nachdenkenden erregen muß, zu betrachten, wie Euch alles in neuem Glanz und Leben erscheinen wird. Aber auch die andern Mythologien muͤssen wieder erweckt werden nach dem Maaß ihres Tiefsinns, ihrer Schoͤnheit und ihrer Bildung, um die Entstehung der neuen Mythologie zu beschleunigen. Waͤren uns nur die Schaͤtze des Orients so zugaͤnglich wie die des Alterthums! Welche neue Quelle von Poesie koͤnnte uns aus Jndien fließen, wenn einige deutsche Kuͤnstler mit der Universalitaͤt und Tiefe des Sinns, mit dem Genie der Uebersetzung, das ihnen eigen ist, die Gelegenheit besaͤßen, welche eine Nation, die immer stumpfer und brutaler wird, wenig zu brauchen versteht. Jm Orient muͤssen wir das hoͤchste Romantische suchen, und wenn wir erst aus der Quelle schoͤpfen koͤnnen, so wird uns vielleicht der Anschein von suͤdlicher Gluth, der uns jetzt in der spanischen Poesie so reizend <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0111" n="103"/> und Verruͤckten, oder des Einfaͤltigen und Dummen durchschimmern laͤßt. Denn das ist der Anfang aller Poesie, den Gang und die Gesetze der vernuͤnftig denkenden Vernunft aufzuheben und uns wieder in die schoͤne Verwirrung der Fantasie, in das urspruͤngliche Chaos der menschlichen Natur zu versetzen, fuͤr das ich kein schoͤneres Symbol bis jetzt kenne, als das bunte Gewimmel der alten Goͤtter.</p><lb/> <p>Warum wollt Jhr Euch nicht erheben, diese herrlichen Gestalten des großen Alterthums neu zu beleben? — Versucht es nur einmal die alte Mythologie voll vom Spinosa und von jenen Ansichten, welche die jetzige Physik in jedem Nachdenkenden erregen muß, zu betrachten, wie Euch alles in neuem Glanz und Leben erscheinen wird.</p><lb/> <p>Aber auch die andern Mythologien muͤssen wieder erweckt werden nach dem Maaß ihres Tiefsinns, ihrer Schoͤnheit und ihrer Bildung, um die Entstehung der neuen Mythologie zu beschleunigen. Waͤren uns nur die Schaͤtze des Orients so zugaͤnglich wie die des Alterthums! Welche neue Quelle von Poesie koͤnnte uns aus Jndien fließen, wenn einige deutsche Kuͤnstler mit der Universalitaͤt und Tiefe des Sinns, mit dem Genie der Uebersetzung, das ihnen eigen ist, die Gelegenheit besaͤßen, welche eine Nation, die immer stumpfer und brutaler wird, wenig zu brauchen versteht. Jm Orient muͤssen wir das hoͤchste Romantische suchen, und wenn wir erst aus der Quelle schoͤpfen koͤnnen, so wird uns vielleicht der Anschein von suͤdlicher Gluth, der uns jetzt in der spanischen Poesie so reizend </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [103/0111]
und Verruͤckten, oder des Einfaͤltigen und Dummen durchschimmern laͤßt. Denn das ist der Anfang aller Poesie, den Gang und die Gesetze der vernuͤnftig denkenden Vernunft aufzuheben und uns wieder in die schoͤne Verwirrung der Fantasie, in das urspruͤngliche Chaos der menschlichen Natur zu versetzen, fuͤr das ich kein schoͤneres Symbol bis jetzt kenne, als das bunte Gewimmel der alten Goͤtter.
Warum wollt Jhr Euch nicht erheben, diese herrlichen Gestalten des großen Alterthums neu zu beleben? — Versucht es nur einmal die alte Mythologie voll vom Spinosa und von jenen Ansichten, welche die jetzige Physik in jedem Nachdenkenden erregen muß, zu betrachten, wie Euch alles in neuem Glanz und Leben erscheinen wird.
Aber auch die andern Mythologien muͤssen wieder erweckt werden nach dem Maaß ihres Tiefsinns, ihrer Schoͤnheit und ihrer Bildung, um die Entstehung der neuen Mythologie zu beschleunigen. Waͤren uns nur die Schaͤtze des Orients so zugaͤnglich wie die des Alterthums! Welche neue Quelle von Poesie koͤnnte uns aus Jndien fließen, wenn einige deutsche Kuͤnstler mit der Universalitaͤt und Tiefe des Sinns, mit dem Genie der Uebersetzung, das ihnen eigen ist, die Gelegenheit besaͤßen, welche eine Nation, die immer stumpfer und brutaler wird, wenig zu brauchen versteht. Jm Orient muͤssen wir das hoͤchste Romantische suchen, und wenn wir erst aus der Quelle schoͤpfen koͤnnen, so wird uns vielleicht der Anschein von suͤdlicher Gluth, der uns jetzt in der spanischen Poesie so reizend
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/111 |
Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/111>, abgerufen am 27.07.2024. |