Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.den Tiefen des einfachen Werks, welches in stiller Größe den Geist der ursprünglichen Liebe athmet. Und ist nicht dieser milde Widerschein der Gottheit im Menschen die eigentliche Seele, der zündende Funken aller Poesie? -- Das bloße Darstellen von Menschen, von Leidenschaften und Handlungen macht es wahrlich nicht aus, so wenig wie die künstlichen Formen; und wenn Jhr den alten Kram auch Millionenmal durch einander würfelt und über einander wälzt. Das ist nur der sichtbare äußere Leib, und wenn die Seele erloschen ist, gar nur der todte Leichnam der Poesie. Wenn aber jener Funken des Enthusiasmus in Werke ausbricht, so steht eine neue Erscheinung vor uns, lebendig und in schöner Glorie von Licht und Liebe. Und was ist jede schöne Mythologie anders als ein hieroglyphischer Ausdruck der umgebenden Natur in dieser Verklärung von Fantasie und Liebe? Einen großen Vorzug hat die Mythologie. Was sonst das Bewußtseyn ewig flieht, ist hier dennoch sinnlich geistig zu schauen, und festgehalten, wie die Seele in dem umgebenden Leibe, durch den sie in unser Auge schimmert, zu unserm Ohre spricht. Das ist der eigentliche Punkt, daß wir uns wegen des Höchsten nicht so ganz allein auf unser Gemüth verlassen. Freylich, wem es da trocken ist, dem wird es nirgends quillen; und das ist eine bekannte Wahrheit, gegen die ich am wenigsten gesonnen bin mich aufzulehnen. Aber wir sollen uns überall an das Gebildete anschließen und auch das Höchste durch die Berührung des Gleichartigen, Aehnlichen, oder bey den Tiefen des einfachen Werks, welches in stiller Groͤße den Geist der urspruͤnglichen Liebe athmet. Und ist nicht dieser milde Widerschein der Gottheit im Menschen die eigentliche Seele, der zuͤndende Funken aller Poesie? — Das bloße Darstellen von Menschen, von Leidenschaften und Handlungen macht es wahrlich nicht aus, so wenig wie die kuͤnstlichen Formen; und wenn Jhr den alten Kram auch Millionenmal durch einander wuͤrfelt und uͤber einander waͤlzt. Das ist nur der sichtbare aͤußere Leib, und wenn die Seele erloschen ist, gar nur der todte Leichnam der Poesie. Wenn aber jener Funken des Enthusiasmus in Werke ausbricht, so steht eine neue Erscheinung vor uns, lebendig und in schoͤner Glorie von Licht und Liebe. Und was ist jede schoͤne Mythologie anders als ein hieroglyphischer Ausdruck der umgebenden Natur in dieser Verklaͤrung von Fantasie und Liebe? Einen großen Vorzug hat die Mythologie. Was sonst das Bewußtseyn ewig flieht, ist hier dennoch sinnlich geistig zu schauen, und festgehalten, wie die Seele in dem umgebenden Leibe, durch den sie in unser Auge schimmert, zu unserm Ohre spricht. Das ist der eigentliche Punkt, daß wir uns wegen des Hoͤchsten nicht so ganz allein auf unser Gemuͤth verlassen. Freylich, wem es da trocken ist, dem wird es nirgends quillen; und das ist eine bekannte Wahrheit, gegen die ich am wenigsten gesonnen bin mich aufzulehnen. Aber wir sollen uns uͤberall an das Gebildete anschließen und auch das Hoͤchste durch die Beruͤhrung des Gleichartigen, Aehnlichen, oder bey <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0109" n="101"/> den Tiefen des einfachen Werks, welches in stiller Groͤße den Geist der urspruͤnglichen Liebe athmet.</p><lb/> <p>Und ist nicht dieser milde Widerschein der Gottheit im Menschen die eigentliche Seele, der zuͤndende Funken aller Poesie? — Das bloße Darstellen von Menschen, von Leidenschaften und Handlungen macht es wahrlich nicht aus, so wenig wie die kuͤnstlichen Formen; und wenn Jhr den alten Kram auch Millionenmal durch einander wuͤrfelt und uͤber einander waͤlzt. Das ist nur der sichtbare aͤußere Leib, und wenn die Seele erloschen ist, gar nur der todte Leichnam der Poesie. Wenn aber jener Funken des Enthusiasmus in Werke ausbricht, so steht eine neue Erscheinung vor uns, lebendig und in schoͤner Glorie von Licht und Liebe.</p><lb/> <p>Und was ist jede schoͤne Mythologie anders als ein hieroglyphischer Ausdruck der umgebenden Natur in dieser Verklaͤrung von Fantasie und Liebe?</p><lb/> <p>Einen großen Vorzug hat die Mythologie. Was sonst das Bewußtseyn ewig flieht, ist hier dennoch sinnlich geistig zu schauen, und festgehalten, wie die Seele in dem umgebenden Leibe, durch den sie in unser Auge schimmert, zu unserm Ohre spricht.</p><lb/> <p>Das ist der eigentliche Punkt, daß wir uns wegen des Hoͤchsten nicht so ganz allein auf unser Gemuͤth verlassen. Freylich, wem es da trocken ist, dem wird es nirgends quillen; und das ist eine bekannte Wahrheit, gegen die ich am wenigsten gesonnen bin mich aufzulehnen. Aber wir sollen uns uͤberall an das Gebildete anschließen und auch das Hoͤchste durch die Beruͤhrung des Gleichartigen, Aehnlichen, oder bey </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [101/0109]
den Tiefen des einfachen Werks, welches in stiller Groͤße den Geist der urspruͤnglichen Liebe athmet.
Und ist nicht dieser milde Widerschein der Gottheit im Menschen die eigentliche Seele, der zuͤndende Funken aller Poesie? — Das bloße Darstellen von Menschen, von Leidenschaften und Handlungen macht es wahrlich nicht aus, so wenig wie die kuͤnstlichen Formen; und wenn Jhr den alten Kram auch Millionenmal durch einander wuͤrfelt und uͤber einander waͤlzt. Das ist nur der sichtbare aͤußere Leib, und wenn die Seele erloschen ist, gar nur der todte Leichnam der Poesie. Wenn aber jener Funken des Enthusiasmus in Werke ausbricht, so steht eine neue Erscheinung vor uns, lebendig und in schoͤner Glorie von Licht und Liebe.
Und was ist jede schoͤne Mythologie anders als ein hieroglyphischer Ausdruck der umgebenden Natur in dieser Verklaͤrung von Fantasie und Liebe?
Einen großen Vorzug hat die Mythologie. Was sonst das Bewußtseyn ewig flieht, ist hier dennoch sinnlich geistig zu schauen, und festgehalten, wie die Seele in dem umgebenden Leibe, durch den sie in unser Auge schimmert, zu unserm Ohre spricht.
Das ist der eigentliche Punkt, daß wir uns wegen des Hoͤchsten nicht so ganz allein auf unser Gemuͤth verlassen. Freylich, wem es da trocken ist, dem wird es nirgends quillen; und das ist eine bekannte Wahrheit, gegen die ich am wenigsten gesonnen bin mich aufzulehnen. Aber wir sollen uns uͤberall an das Gebildete anschließen und auch das Hoͤchste durch die Beruͤhrung des Gleichartigen, Aehnlichen, oder bey
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