Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.augenblicklichen, mitunter sehr gewaltsamen Handlungen betrifft, so sind sie immer den Formen untergeordnet, und nur als die angemessenste Entfaltung derselben konnten sie verdienen gewählt zu werden. Louise. Also geben Sie doch zu, daß die Bildnerey auch den Moment verewigen darf? Waller. Sie unterwirft ihn ihren Gesetzen, damit er dessen würdig sey. Louise. Und wodurch wird er das? Waller. Durch Vollendung. Louise. Wie sollte die in einem entfliehenden Theile der Zeit Statt finden können? Waller. Eben so gut wie in einem beschränkten Theile des Raums. Die Bewegung muß, so zu sagen, eben so hoch und rein organisirt seyn, als das Körpergebilde, das sich in ihr darstellt. Maaß, Verhältniß und Gleichgewicht müssen ihr Streben immer wieder in sich zurückdrängen, so wie die strenge Richtigkeit des Umrisses seine Weichheit. Bemerken Sie, daß selbst die gewaltigste Kraftäußerung von einer völlig ruhigen Stellung nur dem Grade, nicht der Art nach verschieden ist. Zur bloßen Haltung des Körpers beym Stehen oder Sitzen sind Muskeln in Wirksamkeit: der Gesunde fühlt es freylich nicht, aber er kann es an dem ermattenden Kranken beobachten; der Schlafende liegt anders als der Todte. Das Leben ist von der Bewegung nicht zu trennen: durchaus ruhende Formen würden todtseyn. Louise. Und da die Bildhauerkunst in einer so schweren Masse arbeitet, so muß sie sich allerdings an augenblicklichen, mitunter sehr gewaltsamen Handlungen betrifft, so sind sie immer den Formen untergeordnet, und nur als die angemessenste Entfaltung derselben konnten sie verdienen gewaͤhlt zu werden. Louise. Also geben Sie doch zu, daß die Bildnerey auch den Moment verewigen darf? Waller. Sie unterwirft ihn ihren Gesetzen, damit er dessen wuͤrdig sey. Louise. Und wodurch wird er das? Waller. Durch Vollendung. Louise. Wie sollte die in einem entfliehenden Theile der Zeit Statt finden koͤnnen? Waller. Eben so gut wie in einem beschraͤnkten Theile des Raums. Die Bewegung muß, so zu sagen, eben so hoch und rein organisirt seyn, als das Koͤrpergebilde, das sich in ihr darstellt. Maaß, Verhaͤltniß und Gleichgewicht muͤssen ihr Streben immer wieder in sich zuruͤckdraͤngen, so wie die strenge Richtigkeit des Umrisses seine Weichheit. Bemerken Sie, daß selbst die gewaltigste Kraftaͤußerung von einer voͤllig ruhigen Stellung nur dem Grade, nicht der Art nach verschieden ist. Zur bloßen Haltung des Koͤrpers beym Stehen oder Sitzen sind Muskeln in Wirksamkeit: der Gesunde fuͤhlt es freylich nicht, aber er kann es an dem ermattenden Kranken beobachten; der Schlafende liegt anders als der Todte. Das Leben ist von der Bewegung nicht zu trennen: durchaus ruhende Formen wuͤrden todtseyn. Louise. Und da die Bildhauerkunst in einer so schweren Masse arbeitet, so muß sie sich allerdings an <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0049" n="41"/> augenblicklichen, mitunter sehr gewaltsamen Handlungen betrifft, so sind sie immer den Formen untergeordnet, und nur als die angemessenste Entfaltung derselben konnten sie verdienen gewaͤhlt zu werden.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Louise</hi>. Also geben Sie doch zu, daß die Bildnerey auch den Moment verewigen darf?</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Waller</hi>. Sie unterwirft ihn ihren Gesetzen, damit er dessen wuͤrdig sey.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Louise</hi>. Und wodurch wird er das?</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Waller</hi>. Durch Vollendung.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Louise</hi>. Wie sollte die in einem entfliehenden Theile der Zeit Statt finden koͤnnen?</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Waller</hi>. Eben so gut wie in einem beschraͤnkten Theile des Raums. Die Bewegung muß, so zu sagen, eben so hoch und rein organisirt seyn, als das Koͤrpergebilde, das sich in ihr darstellt. Maaß, Verhaͤltniß und Gleichgewicht muͤssen ihr Streben immer wieder in sich zuruͤckdraͤngen, so wie die strenge Richtigkeit des Umrisses seine Weichheit. Bemerken Sie, daß selbst die gewaltigste Kraftaͤußerung von einer voͤllig ruhigen Stellung nur dem Grade, nicht der Art nach verschieden ist. Zur bloßen Haltung des Koͤrpers beym Stehen oder Sitzen sind Muskeln in Wirksamkeit: der Gesunde fuͤhlt es freylich nicht, aber er kann es an dem ermattenden Kranken beobachten; der Schlafende liegt anders als der Todte. Das Leben ist von der Bewegung nicht zu trennen: durchaus ruhende Formen wuͤrden todtseyn.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Louise</hi>. Und da die Bildhauerkunst in einer so schweren Masse arbeitet, so muß sie sich allerdings an </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [41/0049]
augenblicklichen, mitunter sehr gewaltsamen Handlungen betrifft, so sind sie immer den Formen untergeordnet, und nur als die angemessenste Entfaltung derselben konnten sie verdienen gewaͤhlt zu werden.
Louise. Also geben Sie doch zu, daß die Bildnerey auch den Moment verewigen darf?
Waller. Sie unterwirft ihn ihren Gesetzen, damit er dessen wuͤrdig sey.
Louise. Und wodurch wird er das?
Waller. Durch Vollendung.
Louise. Wie sollte die in einem entfliehenden Theile der Zeit Statt finden koͤnnen?
Waller. Eben so gut wie in einem beschraͤnkten Theile des Raums. Die Bewegung muß, so zu sagen, eben so hoch und rein organisirt seyn, als das Koͤrpergebilde, das sich in ihr darstellt. Maaß, Verhaͤltniß und Gleichgewicht muͤssen ihr Streben immer wieder in sich zuruͤckdraͤngen, so wie die strenge Richtigkeit des Umrisses seine Weichheit. Bemerken Sie, daß selbst die gewaltigste Kraftaͤußerung von einer voͤllig ruhigen Stellung nur dem Grade, nicht der Art nach verschieden ist. Zur bloßen Haltung des Koͤrpers beym Stehen oder Sitzen sind Muskeln in Wirksamkeit: der Gesunde fuͤhlt es freylich nicht, aber er kann es an dem ermattenden Kranken beobachten; der Schlafende liegt anders als der Todte. Das Leben ist von der Bewegung nicht zu trennen: durchaus ruhende Formen wuͤrden todtseyn.
Louise. Und da die Bildhauerkunst in einer so schweren Masse arbeitet, so muß sie sich allerdings an
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