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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.

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Symmetrie zu einem künstlich schönen Gewebe ewiger Musik und zarter Sehnsucht ordnet, indem es flieht. Es ist der Blüthekranz der Unschuld und der frühsten noch schüchternen Jugend. Der dunkelfarbige Persiles dagegen zieht sich langsam und fast schwer durch den Reichthum seiner sonderbaren Verschlingungen aus der Ferne des dunkelsten Norden nach dem warmen Süden herab, und endigt freundlich in Rom, dem herrlichen Mittelpunkt der gebildeten Welt. Es ist die späteste, fast zu reife, aber doch noch frisch und gewürzhaft duftende Frucht dieses liebenswürdigen Geistes, der noch im letzten Hauch Poesie und ewige Jugend athmete. Die Novelas dürfen gewiß keinem seiner Werke nachstehn. Wer nicht einmal sie göttlich finden kann, muß den Don Quixote durchaus falsch verstehn. Daher sollten sie auch zunächst nach diesem übersetzt werden. Denn übersetzen und lesen muß man alles oder nichts von diesem unsterblichen Autor.

Da man schon anfängt, dem Shakspeare nicht mehr für einen rasend tollen Sturm- und Drangdichter, sondern für einen der absichtsvollsten Künstler zu halten, so ist Hoffnung, daß man sich entschließen werde, auch den großen Cervantes nicht bloß für einen Spaßmacher zu nehmen, da er, was die verborgne Absichtlichkeit betrifft, wohl eben so schlau und arglistig seyn möchte, wie jener, der ohne von ihm zu wissen, sein Freund und Bruder war, als hätten sich ihre Geister in einer unsichtbaren Welt überall begegnet und freundliche Abrede genommen.

Symmetrie zu einem kuͤnstlich schoͤnen Gewebe ewiger Musik und zarter Sehnsucht ordnet, indem es flieht. Es ist der Bluͤthekranz der Unschuld und der fruͤhsten noch schuͤchternen Jugend. Der dunkelfarbige Persiles dagegen zieht sich langsam und fast schwer durch den Reichthum seiner sonderbaren Verschlingungen aus der Ferne des dunkelsten Norden nach dem warmen Suͤden herab, und endigt freundlich in Rom, dem herrlichen Mittelpunkt der gebildeten Welt. Es ist die spaͤteste, fast zu reife, aber doch noch frisch und gewuͤrzhaft duftende Frucht dieses liebenswuͤrdigen Geistes, der noch im letzten Hauch Poesie und ewige Jugend athmete. Die Novelas duͤrfen gewiß keinem seiner Werke nachstehn. Wer nicht einmal sie goͤttlich finden kann, muß den Don Quixote durchaus falsch verstehn. Daher sollten sie auch zunaͤchst nach diesem uͤbersetzt werden. Denn uͤbersetzen und lesen muß man alles oder nichts von diesem unsterblichen Autor.

Da man schon anfaͤngt, dem Shakspeare nicht mehr fuͤr einen rasend tollen Sturm- und Drangdichter, sondern fuͤr einen der absichtsvollsten Kuͤnstler zu halten, so ist Hoffnung, daß man sich entschließen werde, auch den großen Cervantes nicht bloß fuͤr einen Spaßmacher zu nehmen, da er, was die verborgne Absichtlichkeit betrifft, wohl eben so schlau und arglistig seyn moͤchte, wie jener, der ohne von ihm zu wissen, sein Freund und Bruder war, als haͤtten sich ihre Geister in einer unsichtbaren Welt uͤberall begegnet und freundliche Abrede genommen.

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[326/0336] Symmetrie zu einem kuͤnstlich schoͤnen Gewebe ewiger Musik und zarter Sehnsucht ordnet, indem es flieht. Es ist der Bluͤthekranz der Unschuld und der fruͤhsten noch schuͤchternen Jugend. Der dunkelfarbige Persiles dagegen zieht sich langsam und fast schwer durch den Reichthum seiner sonderbaren Verschlingungen aus der Ferne des dunkelsten Norden nach dem warmen Suͤden herab, und endigt freundlich in Rom, dem herrlichen Mittelpunkt der gebildeten Welt. Es ist die spaͤteste, fast zu reife, aber doch noch frisch und gewuͤrzhaft duftende Frucht dieses liebenswuͤrdigen Geistes, der noch im letzten Hauch Poesie und ewige Jugend athmete. Die Novelas duͤrfen gewiß keinem seiner Werke nachstehn. Wer nicht einmal sie goͤttlich finden kann, muß den Don Quixote durchaus falsch verstehn. Daher sollten sie auch zunaͤchst nach diesem uͤbersetzt werden. Denn uͤbersetzen und lesen muß man alles oder nichts von diesem unsterblichen Autor. Da man schon anfaͤngt, dem Shakspeare nicht mehr fuͤr einen rasend tollen Sturm- und Drangdichter, sondern fuͤr einen der absichtsvollsten Kuͤnstler zu halten, so ist Hoffnung, daß man sich entschließen werde, auch den großen Cervantes nicht bloß fuͤr einen Spaßmacher zu nehmen, da er, was die verborgne Absichtlichkeit betrifft, wohl eben so schlau und arglistig seyn moͤchte, wie jener, der ohne von ihm zu wissen, sein Freund und Bruder war, als haͤtten sich ihre Geister in einer unsichtbaren Welt uͤberall begegnet und freundliche Abrede genommen.

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/336>, abgerufen am 16.07.2024.