Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.der Rittergeschichten kommt Jlia nach einer neunzehnjährigen Gefangenschaft wieder an das Tageslicht, aus einem unterirdischen Kerker, der, mit den gehörigen Modifikazionen, ein wahres Burgverlies ist. Die Antiquare werden sich besonders über das Helmvisier freuen, das Romulus einmal herunterzieht um nicht erkannt zu werden. Es ist abscheulich, wie die Geschichte die ältesten Römer verläumdet hat: Romulus hat den Remus keinesweges erschlagen, sondern dieser weiche Jüngling hat sich aus Heroismus und Bruderliebe selbst entleibt. Auch bey dem verrufenen Raube der Sabinerinnen ist es so unschuldig und liebevoll zugegangen, daß sich die Engel im Himmel darüber freuen mußten. Nur Amulius ist und bleibt ein grausamer Tyrann. Romulus selbst wäre um ein Haar "kein Mensch geworden, weil er kein Sohn seyn konnte;" aber er kommt zu einer Familie, "deren Umarmungen mehr werth sind als alle Heldenthaten der Vorwelt," er lernt die schöne und sympathetisch gestimmte Hersilia kennen, findet seine Eltern wieder, und nun segnet sein Blick alle Völker; er lehrt seine räuberischen Hirten "ihre Eltern zu lieben, allen zu helfen und den Armen wohl zu thun;" ehe er sich in eine Schlacht einläßt, bittet er seine Feinde "zu bedenken, daß sie Menschen seyen." Hierauf erbaut er Rom, und gründet die sanften Sitten und friedlichen Gesinnungen, wodurch, wie man weiß, dieser Staat nachher so groß wurde, durch die allerweisesten Gesetze und Einrichtungen. Und das alles, versteht sich, ohne die geringste Einmischung von Verstand, bloß vermittelst des Herzens. Ja das der Rittergeschichten kommt Jlia nach einer neunzehnjaͤhrigen Gefangenschaft wieder an das Tageslicht, aus einem unterirdischen Kerker, der, mit den gehoͤrigen Modifikazionen, ein wahres Burgverlies ist. Die Antiquare werden sich besonders uͤber das Helmvisier freuen, das Romulus einmal herunterzieht um nicht erkannt zu werden. Es ist abscheulich, wie die Geschichte die aͤltesten Roͤmer verlaͤumdet hat: Romulus hat den Remus keinesweges erschlagen, sondern dieser weiche Juͤngling hat sich aus Heroismus und Bruderliebe selbst entleibt. Auch bey dem verrufenen Raube der Sabinerinnen ist es so unschuldig und liebevoll zugegangen, daß sich die Engel im Himmel daruͤber freuen mußten. Nur Amulius ist und bleibt ein grausamer Tyrann. Romulus selbst waͤre um ein Haar “kein Mensch geworden, weil er kein Sohn seyn konnte;” aber er kommt zu einer Familie, “deren Umarmungen mehr werth sind als alle Heldenthaten der Vorwelt,” er lernt die schoͤne und sympathetisch gestimmte Hersilia kennen, findet seine Eltern wieder, und nun segnet sein Blick alle Voͤlker; er lehrt seine raͤuberischen Hirten “ihre Eltern zu lieben, allen zu helfen und den Armen wohl zu thun;” ehe er sich in eine Schlacht einlaͤßt, bittet er seine Feinde “zu bedenken, daß sie Menschen seyen.” Hierauf erbaut er Rom, und gruͤndet die sanften Sitten und friedlichen Gesinnungen, wodurch, wie man weiß, dieser Staat nachher so groß wurde, durch die allerweisesten Gesetze und Einrichtungen. Und das alles, versteht sich, ohne die geringste Einmischung von Verstand, bloß vermittelst des Herzens. Ja das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0328" n="318"/> der Rittergeschichten kommt Jlia nach einer neunzehnjaͤhrigen Gefangenschaft wieder an das Tageslicht, aus einem unterirdischen Kerker, der, mit den gehoͤrigen Modifikazionen, ein wahres Burgverlies ist. Die Antiquare werden sich besonders uͤber das Helmvisier freuen, das Romulus einmal herunterzieht um nicht erkannt zu werden. Es ist abscheulich, wie die Geschichte die aͤltesten Roͤmer verlaͤumdet hat: Romulus hat den Remus keinesweges erschlagen, sondern dieser weiche Juͤngling hat sich aus Heroismus und Bruderliebe selbst entleibt. Auch bey dem verrufenen Raube der Sabinerinnen ist es so unschuldig und liebevoll zugegangen, daß sich die Engel im Himmel daruͤber freuen mußten. Nur Amulius ist und bleibt ein grausamer Tyrann. Romulus selbst waͤre um ein Haar “kein <hi rendition="#g">Mensch</hi> geworden, weil er kein <hi rendition="#g">Sohn</hi> seyn konnte;” aber er kommt zu einer Familie, “deren Umarmungen mehr werth sind als alle Heldenthaten der Vorwelt,” er lernt die schoͤne und sympathetisch gestimmte Hersilia kennen, findet seine Eltern wieder, und nun segnet sein Blick alle Voͤlker; er lehrt seine raͤuberischen Hirten “ihre Eltern zu lieben, allen zu helfen und den Armen wohl zu thun;” ehe er sich in eine Schlacht einlaͤßt, bittet er seine Feinde “zu bedenken, daß sie Menschen seyen.” Hierauf erbaut er Rom, und gruͤndet die sanften Sitten und friedlichen Gesinnungen, wodurch, wie man weiß, dieser Staat nachher so groß wurde, durch die allerweisesten Gesetze und Einrichtungen. Und das alles, versteht sich, ohne die geringste Einmischung von Verstand, bloß vermittelst des Herzens. Ja das </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [318/0328]
der Rittergeschichten kommt Jlia nach einer neunzehnjaͤhrigen Gefangenschaft wieder an das Tageslicht, aus einem unterirdischen Kerker, der, mit den gehoͤrigen Modifikazionen, ein wahres Burgverlies ist. Die Antiquare werden sich besonders uͤber das Helmvisier freuen, das Romulus einmal herunterzieht um nicht erkannt zu werden. Es ist abscheulich, wie die Geschichte die aͤltesten Roͤmer verlaͤumdet hat: Romulus hat den Remus keinesweges erschlagen, sondern dieser weiche Juͤngling hat sich aus Heroismus und Bruderliebe selbst entleibt. Auch bey dem verrufenen Raube der Sabinerinnen ist es so unschuldig und liebevoll zugegangen, daß sich die Engel im Himmel daruͤber freuen mußten. Nur Amulius ist und bleibt ein grausamer Tyrann. Romulus selbst waͤre um ein Haar “kein Mensch geworden, weil er kein Sohn seyn konnte;” aber er kommt zu einer Familie, “deren Umarmungen mehr werth sind als alle Heldenthaten der Vorwelt,” er lernt die schoͤne und sympathetisch gestimmte Hersilia kennen, findet seine Eltern wieder, und nun segnet sein Blick alle Voͤlker; er lehrt seine raͤuberischen Hirten “ihre Eltern zu lieben, allen zu helfen und den Armen wohl zu thun;” ehe er sich in eine Schlacht einlaͤßt, bittet er seine Feinde “zu bedenken, daß sie Menschen seyen.” Hierauf erbaut er Rom, und gruͤndet die sanften Sitten und friedlichen Gesinnungen, wodurch, wie man weiß, dieser Staat nachher so groß wurde, durch die allerweisesten Gesetze und Einrichtungen. Und das alles, versteht sich, ohne die geringste Einmischung von Verstand, bloß vermittelst des Herzens. Ja das
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/328 |
Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/328>, abgerufen am 16.07.2024. |