Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.Mythologie. Oder es ist auch nur vorübergehende Krise, und beweiset dann grade das Entgegengesetzte von dem, was es zu beweisen scheint. Die heftigste Neigung kann sich am leichtesten wider sich selbst kehren; das höchste Entzücken wird schmerzlich, und alles Unendliche berührt sein Gegentheil. Es giebt eine Eifersucht, die nicht aus Neid oder Mißtrauen, sondern aus angeborner tiefer Unersättlichkeit entspringt. Kann sie wohl ohne Liebe seyn? Eben so wenig ist der leidenschaftliche Unglaube vieler Philosophen ohne Religiosität möglich. -- Die wahre Abstraction selbst, was thut sie anders, als die Vorstellungen von ihrem irrdischen Antheile reinigen, sie erheben und unter die Götter versetzen? Nur durch Abstraction sind alle Götter aus Menschen geworden. Laß uns nicht länger vergleichen, sondern gleich von der höchsten unter den Kräften des Menschen reden, welche die Philosophie erzeugen und bilden, und wieder von ihr gebildet werden. Das ist nach dem allgemeinen Urtheile und Sprachgebrauche der Verstand. Zwar setzt die jetzige Philosophie ihn nicht selten herab, und erhebt die Vernunft weit höher. Es ist auch ganz natürlich, daß eine Philosophie, die mehr zum Unendlichen fortschreitet, als Unendliches giebt, mehr alles verbindet und mischt, als Einzelnes vollendet, nichts höher schätzt im menschlichen Geiste, als das Vermögen, Vorstellungen an Vorstellungen zu knüpfen, und den Faden des Denkens auf unendlich viele Weisen ins Endlose fortzusetzen. Diese Eigenthümlichkeit ist indessen kein allgemeingültiges Gesetz. Nach Mythologie. Oder es ist auch nur voruͤbergehende Krise, und beweiset dann grade das Entgegengesetzte von dem, was es zu beweisen scheint. Die heftigste Neigung kann sich am leichtesten wider sich selbst kehren; das hoͤchste Entzuͤcken wird schmerzlich, und alles Unendliche beruͤhrt sein Gegentheil. Es giebt eine Eifersucht, die nicht aus Neid oder Mißtrauen, sondern aus angeborner tiefer Unersaͤttlichkeit entspringt. Kann sie wohl ohne Liebe seyn? Eben so wenig ist der leidenschaftliche Unglaube vieler Philosophen ohne Religiositaͤt moͤglich. — Die wahre Abstraction selbst, was thut sie anders, als die Vorstellungen von ihrem irrdischen Antheile reinigen, sie erheben und unter die Goͤtter versetzen? Nur durch Abstraction sind alle Goͤtter aus Menschen geworden. Laß uns nicht laͤnger vergleichen, sondern gleich von der hoͤchsten unter den Kraͤften des Menschen reden, welche die Philosophie erzeugen und bilden, und wieder von ihr gebildet werden. Das ist nach dem allgemeinen Urtheile und Sprachgebrauche der Verstand. Zwar setzt die jetzige Philosophie ihn nicht selten herab, und erhebt die Vernunft weit hoͤher. Es ist auch ganz natuͤrlich, daß eine Philosophie, die mehr zum Unendlichen fortschreitet, als Unendliches giebt, mehr alles verbindet und mischt, als Einzelnes vollendet, nichts hoͤher schaͤtzt im menschlichen Geiste, als das Vermoͤgen, Vorstellungen an Vorstellungen zu knuͤpfen, und den Faden des Denkens auf unendlich viele Weisen ins Endlose fortzusetzen. Diese Eigenthuͤmlichkeit ist indessen kein allgemeinguͤltiges Gesetz. Nach <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0032" n="24"/> Mythologie. Oder es ist auch nur voruͤbergehende Krise, und beweiset dann grade das Entgegengesetzte von dem, was es zu beweisen scheint. Die heftigste Neigung kann sich am leichtesten wider sich selbst kehren; das hoͤchste Entzuͤcken wird schmerzlich, und alles Unendliche beruͤhrt sein Gegentheil. Es giebt eine Eifersucht, die nicht aus Neid oder Mißtrauen, sondern aus angeborner tiefer Unersaͤttlichkeit entspringt. Kann sie wohl ohne Liebe seyn? Eben so wenig ist der leidenschaftliche Unglaube vieler Philosophen ohne Religiositaͤt moͤglich. — Die wahre <hi rendition="#g">Abstraction</hi> selbst, was thut sie anders, als die Vorstellungen von ihrem irrdischen Antheile reinigen, sie erheben und unter die Goͤtter versetzen? Nur durch Abstraction sind alle Goͤtter aus Menschen geworden.</p><lb/> <p>Laß uns nicht laͤnger vergleichen, sondern gleich von der hoͤchsten unter den Kraͤften des Menschen reden, welche die Philosophie erzeugen und bilden, und wieder von ihr gebildet werden. Das ist nach dem allgemeinen Urtheile und Sprachgebrauche der <hi rendition="#g">Verstand</hi>. Zwar setzt die jetzige Philosophie ihn nicht selten herab, und erhebt die Vernunft weit hoͤher. Es ist auch ganz natuͤrlich, daß eine Philosophie, die mehr zum Unendlichen fortschreitet, als Unendliches giebt, mehr alles verbindet und mischt, als Einzelnes vollendet, nichts hoͤher schaͤtzt im menschlichen Geiste, als das Vermoͤgen, Vorstellungen an Vorstellungen zu knuͤpfen, und den Faden des Denkens auf unendlich viele Weisen ins Endlose fortzusetzen. Diese Eigenthuͤmlichkeit ist indessen kein allgemeinguͤltiges Gesetz. Nach </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [24/0032]
Mythologie. Oder es ist auch nur voruͤbergehende Krise, und beweiset dann grade das Entgegengesetzte von dem, was es zu beweisen scheint. Die heftigste Neigung kann sich am leichtesten wider sich selbst kehren; das hoͤchste Entzuͤcken wird schmerzlich, und alles Unendliche beruͤhrt sein Gegentheil. Es giebt eine Eifersucht, die nicht aus Neid oder Mißtrauen, sondern aus angeborner tiefer Unersaͤttlichkeit entspringt. Kann sie wohl ohne Liebe seyn? Eben so wenig ist der leidenschaftliche Unglaube vieler Philosophen ohne Religiositaͤt moͤglich. — Die wahre Abstraction selbst, was thut sie anders, als die Vorstellungen von ihrem irrdischen Antheile reinigen, sie erheben und unter die Goͤtter versetzen? Nur durch Abstraction sind alle Goͤtter aus Menschen geworden.
Laß uns nicht laͤnger vergleichen, sondern gleich von der hoͤchsten unter den Kraͤften des Menschen reden, welche die Philosophie erzeugen und bilden, und wieder von ihr gebildet werden. Das ist nach dem allgemeinen Urtheile und Sprachgebrauche der Verstand. Zwar setzt die jetzige Philosophie ihn nicht selten herab, und erhebt die Vernunft weit hoͤher. Es ist auch ganz natuͤrlich, daß eine Philosophie, die mehr zum Unendlichen fortschreitet, als Unendliches giebt, mehr alles verbindet und mischt, als Einzelnes vollendet, nichts hoͤher schaͤtzt im menschlichen Geiste, als das Vermoͤgen, Vorstellungen an Vorstellungen zu knuͤpfen, und den Faden des Denkens auf unendlich viele Weisen ins Endlose fortzusetzen. Diese Eigenthuͤmlichkeit ist indessen kein allgemeinguͤltiges Gesetz. Nach
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