Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799."alt und bald jung, vorzüglich aber abgezehrt, mißge"formt, zerfallen, knöchericht und runzlicht." So behauptete er letzthin, Laokoon werde augenblicklich am Schlage sterben, wenn man ihm nicht eine Ader schlüge. Da ich mir nun merken ließ, ich halte den Zustand Laokoons noch nicht für so verzweifelt, hat er sich so unmäßig darüber ereifert, daß er beynahe mit seinem Helden die Rolle gewechselt hätte. Wenn Flaxmann, damit ich von meiner Abschweifung zurückkehre, auch die alten Sprachen nicht besaß, so ist er doch in so fern mit großer Gelehrsamkeit verfahren, daß er in Beobachtung des Kostums selbst bis in das Auserlesnere und selten Vorkommende hineingeht, so daß sich über seine Blätter sehr artige antiquarische Vorlesungen müßten halten lassen. Wer es noch nicht weiß, erfährt hier anschaulich, warum die Achäer beym Homer die schön geschienten heißen, daß er sich die Trojaner mit phrygischen Mützen vorzustellen hat, welches die Form des Delphischen Dreyfußes war, wie die griechischen Stallknechte das Haar der Pferde auf der Stirn zusammenbanden, damit ein Ampyx daraus wurde, und dergleichen mehr, die unzähligen reizenden Formen von allerley Hausgeräth, die Trachten und weibliche Kopfputze nicht zu erwähnen. Wir sind jetzt solche Freunde von Moden, daß wir uns sogar um diejenigen bekümmern, die vor einigen tausend Jahren im Gange waren, und in einer Zeitschrift, welche den neuesten gewidmet ist, uns dann und wann zu einem Besuche im Ankleidezimmer einer Römerin abmüßigen; damit es desto anständiger sey, lassen wir es eine alte (nämlich eine “alt und bald jung, vorzuͤglich aber abgezehrt, mißge“formt, zerfallen, knoͤchericht und runzlicht.” So behauptete er letzthin, Laokoon werde augenblicklich am Schlage sterben, wenn man ihm nicht eine Ader schluͤge. Da ich mir nun merken ließ, ich halte den Zustand Laokoons noch nicht fuͤr so verzweifelt, hat er sich so unmaͤßig daruͤber ereifert, daß er beynahe mit seinem Helden die Rolle gewechselt haͤtte. Wenn Flaxmann, damit ich von meiner Abschweifung zuruͤckkehre, auch die alten Sprachen nicht besaß, so ist er doch in so fern mit großer Gelehrsamkeit verfahren, daß er in Beobachtung des Kostums selbst bis in das Auserlesnere und selten Vorkommende hineingeht, so daß sich uͤber seine Blaͤtter sehr artige antiquarische Vorlesungen muͤßten halten lassen. Wer es noch nicht weiß, erfaͤhrt hier anschaulich, warum die Achaͤer beym Homer die schoͤn geschienten heißen, daß er sich die Trojaner mit phrygischen Muͤtzen vorzustellen hat, welches die Form des Delphischen Dreyfußes war, wie die griechischen Stallknechte das Haar der Pferde auf der Stirn zusammenbanden, damit ein Ampyx daraus wurde, und dergleichen mehr, die unzaͤhligen reizenden Formen von allerley Hausgeraͤth, die Trachten und weibliche Kopfputze nicht zu erwaͤhnen. Wir sind jetzt solche Freunde von Moden, daß wir uns sogar um diejenigen bekuͤmmern, die vor einigen tausend Jahren im Gange waren, und in einer Zeitschrift, welche den neuesten gewidmet ist, uns dann und wann zu einem Besuche im Ankleidezimmer einer Roͤmerin abmuͤßigen; damit es desto anstaͤndiger sey, lassen wir es eine alte (naͤmlich eine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0237" n="227"/> “alt und bald jung, vorzuͤglich aber abgezehrt, mißge“formt, zerfallen, knoͤchericht und runzlicht.” So behauptete er letzthin, Laokoon werde augenblicklich am Schlage sterben, wenn man ihm nicht eine Ader schluͤge. Da ich mir nun merken ließ, ich halte den Zustand Laokoons noch nicht fuͤr so verzweifelt, hat er sich so unmaͤßig daruͤber ereifert, daß er beynahe mit seinem Helden die Rolle gewechselt haͤtte.</p><lb/> <p>Wenn Flaxmann, damit ich von meiner Abschweifung zuruͤckkehre, auch die alten Sprachen nicht besaß, so ist er doch in so fern mit großer Gelehrsamkeit verfahren, daß er in Beobachtung des Kostums selbst bis in das Auserlesnere und selten Vorkommende hineingeht, so daß sich uͤber seine Blaͤtter sehr artige antiquarische Vorlesungen muͤßten halten lassen. Wer es noch nicht weiß, erfaͤhrt hier anschaulich, warum die Achaͤer beym Homer die schoͤn geschienten heißen, daß er sich die Trojaner mit phrygischen Muͤtzen vorzustellen hat, welches die Form des Delphischen Dreyfußes war, wie die griechischen Stallknechte das Haar der Pferde auf der Stirn zusammenbanden, damit ein Ampyx daraus wurde, und dergleichen mehr, die unzaͤhligen reizenden Formen von allerley Hausgeraͤth, die Trachten und weibliche Kopfputze nicht zu erwaͤhnen. Wir sind jetzt solche Freunde von Moden, daß wir uns sogar um diejenigen bekuͤmmern, die vor einigen tausend Jahren im Gange waren, und in einer Zeitschrift, welche den neuesten gewidmet ist, uns dann und wann zu einem Besuche im Ankleidezimmer einer Roͤmerin abmuͤßigen; damit es desto anstaͤndiger sey, lassen wir es eine alte (naͤmlich eine </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [227/0237]
“alt und bald jung, vorzuͤglich aber abgezehrt, mißge“formt, zerfallen, knoͤchericht und runzlicht.” So behauptete er letzthin, Laokoon werde augenblicklich am Schlage sterben, wenn man ihm nicht eine Ader schluͤge. Da ich mir nun merken ließ, ich halte den Zustand Laokoons noch nicht fuͤr so verzweifelt, hat er sich so unmaͤßig daruͤber ereifert, daß er beynahe mit seinem Helden die Rolle gewechselt haͤtte.
Wenn Flaxmann, damit ich von meiner Abschweifung zuruͤckkehre, auch die alten Sprachen nicht besaß, so ist er doch in so fern mit großer Gelehrsamkeit verfahren, daß er in Beobachtung des Kostums selbst bis in das Auserlesnere und selten Vorkommende hineingeht, so daß sich uͤber seine Blaͤtter sehr artige antiquarische Vorlesungen muͤßten halten lassen. Wer es noch nicht weiß, erfaͤhrt hier anschaulich, warum die Achaͤer beym Homer die schoͤn geschienten heißen, daß er sich die Trojaner mit phrygischen Muͤtzen vorzustellen hat, welches die Form des Delphischen Dreyfußes war, wie die griechischen Stallknechte das Haar der Pferde auf der Stirn zusammenbanden, damit ein Ampyx daraus wurde, und dergleichen mehr, die unzaͤhligen reizenden Formen von allerley Hausgeraͤth, die Trachten und weibliche Kopfputze nicht zu erwaͤhnen. Wir sind jetzt solche Freunde von Moden, daß wir uns sogar um diejenigen bekuͤmmern, die vor einigen tausend Jahren im Gange waren, und in einer Zeitschrift, welche den neuesten gewidmet ist, uns dann und wann zu einem Besuche im Ankleidezimmer einer Roͤmerin abmuͤßigen; damit es desto anstaͤndiger sey, lassen wir es eine alte (naͤmlich eine
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/237>, abgerufen am 16.02.2025. |