Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.Bis jetzt habe ich nur gezeigt, wie die Vorstellung von einer natürlichen Gleichheit entstehen mußte, und wie sie nothwendig nur auf eine Vergangenheit und Zukunft gedeutet werden konnte: daß sie dennoch aber wirklich nur für den Augenblick des Lebens ihre Wahrheit haben könne, wenn sie sonst sich in sich selbst nicht widersprechen solle. Aus diesem mache ich eine Folgerung, die uns weiter führen wird. Erstlich ist das Verhältniß der Zeit überhaupt nur eine Beziehung des Augenblicks in welchem wir handeln. Handeln wir nicht, so sind wir überhaupt nicht, so ist für uns keine Zeit. Der wirkliche Augenblick ist also nur wirklich durch seine Beziehung auf eine Vergangenheit und Zukunft, denn eben in dieser Beziehung besteht unser Handeln. Soll die natürliche Gleichheit unter den Menschen nun Wahrheit für den Augenblick des Lebens haben, so ist es nicht genug, daß sie etwan nur gedenkbar sey; sondern sie soll sich in so fern nicht widersprechen, als sie wirklich das Verhältniß unsers Lebens ausdrückt, und so nothwendig also Statt findet, als wir überhaupt nur Menschen sind. Es kommt also darauf an, unser ursprüngliches Verhältniß nicht einseitig zu betrachten, nicht als verloren oder zukünftig, sondern durch das Verhältniß des Augenblicks als bleibend und ewig: dann werden wir alle Erscheinungen des Lebens nur durch dasselbe begreifen können, und so jede Ungleichheit unter den Menschen, als bloßen Gegenstand des einseitigen Urtheilens, und folglich als Täuschung, vor unsern Augen verschwinden sehen. Bis jetzt habe ich nur gezeigt, wie die Vorstellung von einer natuͤrlichen Gleichheit entstehen mußte, und wie sie nothwendig nur auf eine Vergangenheit und Zukunft gedeutet werden konnte: daß sie dennoch aber wirklich nur fuͤr den Augenblick des Lebens ihre Wahrheit haben koͤnne, wenn sie sonst sich in sich selbst nicht widersprechen solle. Aus diesem mache ich eine Folgerung, die uns weiter fuͤhren wird. Erstlich ist das Verhaͤltniß der Zeit uͤberhaupt nur eine Beziehung des Augenblicks in welchem wir handeln. Handeln wir nicht, so sind wir uͤberhaupt nicht, so ist fuͤr uns keine Zeit. Der wirkliche Augenblick ist also nur wirklich durch seine Beziehung auf eine Vergangenheit und Zukunft, denn eben in dieser Beziehung besteht unser Handeln. Soll die natuͤrliche Gleichheit unter den Menschen nun Wahrheit fuͤr den Augenblick des Lebens haben, so ist es nicht genug, daß sie etwan nur gedenkbar sey; sondern sie soll sich in so fern nicht widersprechen, als sie wirklich das Verhaͤltniß unsers Lebens ausdruͤckt, und so nothwendig also Statt findet, als wir uͤberhaupt nur Menschen sind. Es kommt also darauf an, unser urspruͤngliches Verhaͤltniß nicht einseitig zu betrachten, nicht als verloren oder zukuͤnftig, sondern durch das Verhaͤltniß des Augenblicks als bleibend und ewig: dann werden wir alle Erscheinungen des Lebens nur durch dasselbe begreifen koͤnnen, und so jede Ungleichheit unter den Menschen, als bloßen Gegenstand des einseitigen Urtheilens, und folglich als Taͤuschung, vor unsern Augen verschwinden sehen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0172" n="164"/> <p>Bis jetzt habe ich nur gezeigt, wie die Vorstellung von einer natuͤrlichen Gleichheit entstehen mußte, und wie sie nothwendig nur auf eine Vergangenheit und Zukunft gedeutet werden konnte: daß sie dennoch aber wirklich nur fuͤr den Augenblick des Lebens ihre Wahrheit haben koͤnne, wenn sie sonst sich in sich selbst nicht widersprechen solle.</p><lb/> <p>Aus diesem mache ich eine Folgerung, die uns weiter fuͤhren wird. Erstlich ist das Verhaͤltniß der Zeit uͤberhaupt nur eine Beziehung des Augenblicks in welchem wir handeln. Handeln wir nicht, so sind wir uͤberhaupt nicht, so ist fuͤr uns keine Zeit. Der wirkliche Augenblick ist also nur wirklich durch seine Beziehung auf eine Vergangenheit und Zukunft, denn eben in dieser Beziehung besteht unser Handeln. Soll die natuͤrliche Gleichheit unter den Menschen nun Wahrheit fuͤr den Augenblick des Lebens haben, so ist es nicht genug, daß sie etwan nur gedenkbar sey; sondern sie soll sich in so fern nicht widersprechen, als sie wirklich das Verhaͤltniß unsers Lebens ausdruͤckt, und so nothwendig also Statt findet, als wir uͤberhaupt nur Menschen sind. Es kommt also darauf an, unser urspruͤngliches Verhaͤltniß nicht einseitig zu betrachten, nicht als verloren oder zukuͤnftig, sondern durch das Verhaͤltniß des Augenblicks als bleibend und ewig: dann werden wir alle Erscheinungen des Lebens nur durch dasselbe begreifen koͤnnen, und so jede Ungleichheit unter den Menschen, als bloßen Gegenstand des einseitigen Urtheilens, und folglich als Taͤuschung, vor unsern Augen verschwinden sehen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [164/0172]
Bis jetzt habe ich nur gezeigt, wie die Vorstellung von einer natuͤrlichen Gleichheit entstehen mußte, und wie sie nothwendig nur auf eine Vergangenheit und Zukunft gedeutet werden konnte: daß sie dennoch aber wirklich nur fuͤr den Augenblick des Lebens ihre Wahrheit haben koͤnne, wenn sie sonst sich in sich selbst nicht widersprechen solle.
Aus diesem mache ich eine Folgerung, die uns weiter fuͤhren wird. Erstlich ist das Verhaͤltniß der Zeit uͤberhaupt nur eine Beziehung des Augenblicks in welchem wir handeln. Handeln wir nicht, so sind wir uͤberhaupt nicht, so ist fuͤr uns keine Zeit. Der wirkliche Augenblick ist also nur wirklich durch seine Beziehung auf eine Vergangenheit und Zukunft, denn eben in dieser Beziehung besteht unser Handeln. Soll die natuͤrliche Gleichheit unter den Menschen nun Wahrheit fuͤr den Augenblick des Lebens haben, so ist es nicht genug, daß sie etwan nur gedenkbar sey; sondern sie soll sich in so fern nicht widersprechen, als sie wirklich das Verhaͤltniß unsers Lebens ausdruͤckt, und so nothwendig also Statt findet, als wir uͤberhaupt nur Menschen sind. Es kommt also darauf an, unser urspruͤngliches Verhaͤltniß nicht einseitig zu betrachten, nicht als verloren oder zukuͤnftig, sondern durch das Verhaͤltniß des Augenblicks als bleibend und ewig: dann werden wir alle Erscheinungen des Lebens nur durch dasselbe begreifen koͤnnen, und so jede Ungleichheit unter den Menschen, als bloßen Gegenstand des einseitigen Urtheilens, und folglich als Taͤuschung, vor unsern Augen verschwinden sehen.
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