Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.jugendliche kühne Sinnlichkeit, und in dieser Rücksicht konnte Joseph nicht schlimmer versucht werden. Wie schön stechen seine edlen seelenvollen Züge gegen die ihrigen ab! Er lehnt sich zurück um ihrem Arm zu entgehen, sein Gesicht ist nach seiner linken Schulter in den Schatten gewandt, in welchen auch seine braunen Locken wie von ihr wegfliegen. Die heiligen keuschen Augen sind über sich gen Himmel gekehrt, der Stern tritt unter das obere Augenlied. Der Mund öffnet sich, aber nur zu einem sanften ächzenden Ruf, und ladet um so beredter zu Liebkosungen ein, gegen die er um Hülfe fleht. Die Arme, bis zum Ellbogen bloß, hält er vor, die Hände mit den geöffneten Fingern sieht man beyde von der innern Seite über dem Kopfe der Frau. Auch das ist zart gedacht, daß er die Verführerin nicht mit körperlicher Gewalt zurückstößt. Die Hände wollen sie nicht berühren, und ihre Bewegung ist nur des bildliche Entfernen einer verabscheuten Vorstellung. So ringt eine schöne Seele, die in Gefahr kommt, ihr theuerstes zu verlieren. Ein Schlagschatten, welchen der eine Arm auf den untern Theil des zurückgebognen Gesichtes wirft, vollendet den rührenden Ausdruck, und überredet uns, daß bloße Wirkungen und Spiele des Lichtes Gedanken eines theilnehmenden Wesens sind, welches die Gegenstände umschwebt. "Ein jugendlich männlicher Kopf voll Ruhe und Würde: das Haar vom schönsten Braun, oben gescheitelt jugendliche kuͤhne Sinnlichkeit, und in dieser Ruͤcksicht konnte Joseph nicht schlimmer versucht werden. Wie schoͤn stechen seine edlen seelenvollen Zuͤge gegen die ihrigen ab! Er lehnt sich zuruͤck um ihrem Arm zu entgehen, sein Gesicht ist nach seiner linken Schulter in den Schatten gewandt, in welchen auch seine braunen Locken wie von ihr wegfliegen. Die heiligen keuschen Augen sind uͤber sich gen Himmel gekehrt, der Stern tritt unter das obere Augenlied. Der Mund oͤffnet sich, aber nur zu einem sanften aͤchzenden Ruf, und ladet um so beredter zu Liebkosungen ein, gegen die er um Huͤlfe fleht. Die Arme, bis zum Ellbogen bloß, haͤlt er vor, die Haͤnde mit den geoͤffneten Fingern sieht man beyde von der innern Seite uͤber dem Kopfe der Frau. Auch das ist zart gedacht, daß er die Verfuͤhrerin nicht mit koͤrperlicher Gewalt zuruͤckstoͤßt. Die Haͤnde wollen sie nicht beruͤhren, und ihre Bewegung ist nur des bildliche Entfernen einer verabscheuten Vorstellung. So ringt eine schoͤne Seele, die in Gefahr kommt, ihr theuerstes zu verlieren. Ein Schlagschatten, welchen der eine Arm auf den untern Theil des zuruͤckgebognen Gesichtes wirft, vollendet den ruͤhrenden Ausdruck, und uͤberredet uns, daß bloße Wirkungen und Spiele des Lichtes Gedanken eines theilnehmenden Wesens sind, welches die Gegenstaͤnde umschwebt. “Ein jugendlich maͤnnlicher Kopf voll Ruhe und Wuͤrde: das Haar vom schoͤnsten Braun, oben gescheitelt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0130" n="122"/> jugendliche kuͤhne Sinnlichkeit, und in dieser Ruͤcksicht konnte Joseph nicht schlimmer versucht werden. Wie schoͤn stechen seine edlen seelenvollen Zuͤge gegen die ihrigen ab! Er lehnt sich zuruͤck um ihrem Arm zu entgehen, sein Gesicht ist nach seiner linken Schulter in den Schatten gewandt, in welchen auch seine braunen Locken wie von ihr wegfliegen. Die heiligen keuschen Augen sind uͤber sich gen Himmel gekehrt, der Stern tritt unter das obere Augenlied. Der Mund oͤffnet sich, aber nur zu einem sanften aͤchzenden Ruf, und ladet um so beredter zu Liebkosungen ein, gegen die er um Huͤlfe fleht. Die Arme, bis zum Ellbogen bloß, haͤlt er vor, die Haͤnde mit den geoͤffneten Fingern sieht man beyde von der innern Seite uͤber dem Kopfe der Frau. Auch das ist zart gedacht, daß er die Verfuͤhrerin nicht mit koͤrperlicher Gewalt zuruͤckstoͤßt. Die Haͤnde wollen sie nicht beruͤhren, und ihre Bewegung ist nur des bildliche Entfernen einer verabscheuten Vorstellung. So ringt eine schoͤne Seele, die in Gefahr kommt, ihr theuerstes zu verlieren. Ein Schlagschatten, welchen der eine Arm auf den untern Theil des zuruͤckgebognen Gesichtes wirft, vollendet den ruͤhrenden Ausdruck, und uͤberredet uns, daß bloße Wirkungen und Spiele des Lichtes Gedanken eines theilnehmenden Wesens sind, welches die Gegenstaͤnde umschwebt.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>“Ein jugendlich maͤnnlicher Kopf voll Ruhe und Wuͤrde: das Haar vom schoͤnsten Braun, oben gescheitelt </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [122/0130]
jugendliche kuͤhne Sinnlichkeit, und in dieser Ruͤcksicht konnte Joseph nicht schlimmer versucht werden. Wie schoͤn stechen seine edlen seelenvollen Zuͤge gegen die ihrigen ab! Er lehnt sich zuruͤck um ihrem Arm zu entgehen, sein Gesicht ist nach seiner linken Schulter in den Schatten gewandt, in welchen auch seine braunen Locken wie von ihr wegfliegen. Die heiligen keuschen Augen sind uͤber sich gen Himmel gekehrt, der Stern tritt unter das obere Augenlied. Der Mund oͤffnet sich, aber nur zu einem sanften aͤchzenden Ruf, und ladet um so beredter zu Liebkosungen ein, gegen die er um Huͤlfe fleht. Die Arme, bis zum Ellbogen bloß, haͤlt er vor, die Haͤnde mit den geoͤffneten Fingern sieht man beyde von der innern Seite uͤber dem Kopfe der Frau. Auch das ist zart gedacht, daß er die Verfuͤhrerin nicht mit koͤrperlicher Gewalt zuruͤckstoͤßt. Die Haͤnde wollen sie nicht beruͤhren, und ihre Bewegung ist nur des bildliche Entfernen einer verabscheuten Vorstellung. So ringt eine schoͤne Seele, die in Gefahr kommt, ihr theuerstes zu verlieren. Ein Schlagschatten, welchen der eine Arm auf den untern Theil des zuruͤckgebognen Gesichtes wirft, vollendet den ruͤhrenden Ausdruck, und uͤberredet uns, daß bloße Wirkungen und Spiele des Lichtes Gedanken eines theilnehmenden Wesens sind, welches die Gegenstaͤnde umschwebt.
“Ein jugendlich maͤnnlicher Kopf voll Ruhe und Wuͤrde: das Haar vom schoͤnsten Braun, oben gescheitelt
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