Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.

Bild:
<< vorherige Seite

Kiste, im Schilf des Ufers schwimmend, hat ihre Aufmerksamkeit erregt: sie ist abgestiegen, und steht von ihrem Gefolge umringt, unter Bäumen auf einer Erhöhung am Ufer. Das Kästchen ist schon heraufgeholt, man hat es geöffnet, und o Wunder! ein schönes gesundes Kind streckt aus dem Tuche, worin es gewickelt war, den Begleiterinnen der Prinzessin die Arme entgegen. Sie überreichen es ihr: sie steht in Ueberlegung, ob sie den Fündling in ihren Schutz an- und aufnehmen soll; während die vertrauteste von ihren Gespielinnen ihr zuredet, erwarten die Andern neugierig den Ausgang. Dieß ist ungefähr die Geschichte, welche Paul Veronese aber nicht so schlicht vorträgt, sondern nach seiner Weise bizarr, modig und doch romantisch zu verzieren, und in einer üppigen Anordnung auszubreiten gewußt hat. Auf der linken Seite machen die dichtstehenden Bäume den Hintergrund aus, der näher vortritt; rechts eine hellere Ferne; eine Brücke mit großen Schwibbogen, unter welchen die längs dem Flusse hingebauten Häuser sichtbar sind. Der Fluß zieht sich schräg nach der rechten Seite hin, und fließt vermuthlich mit einer Krümmung, tiefer als das Bild sich erstreckt, vor der Szene der Handlung vorbey. Aus einer großen Entfernung läuft die Schwester des Kindes athemlos und baarfuß herzu. Jn der rechten Ecke werden zwey Figuren halb durch den untern Xand abgeschnitten: eine Magd, die den leeren Korb hält, und ein Trabant in alter Schweizertracht, der vom Rücken hergesehen wird, aber durch die Wendung nach der Prinzessin hinauf den Kopf im Profile zeigt. Ein zweyter

Kiste, im Schilf des Ufers schwimmend, hat ihre Aufmerksamkeit erregt: sie ist abgestiegen, und steht von ihrem Gefolge umringt, unter Baͤumen auf einer Erhoͤhung am Ufer. Das Kaͤstchen ist schon heraufgeholt, man hat es geoͤffnet, und o Wunder! ein schoͤnes gesundes Kind streckt aus dem Tuche, worin es gewickelt war, den Begleiterinnen der Prinzessin die Arme entgegen. Sie uͤberreichen es ihr: sie steht in Ueberlegung, ob sie den Fuͤndling in ihren Schutz an- und aufnehmen soll; waͤhrend die vertrauteste von ihren Gespielinnen ihr zuredet, erwarten die Andern neugierig den Ausgang. Dieß ist ungefaͤhr die Geschichte, welche Paul Veronese aber nicht so schlicht vortraͤgt, sondern nach seiner Weise bizarr, modig und doch romantisch zu verzieren, und in einer uͤppigen Anordnung auszubreiten gewußt hat. Auf der linken Seite machen die dichtstehenden Baͤume den Hintergrund aus, der naͤher vortritt; rechts eine hellere Ferne; eine Bruͤcke mit großen Schwibbogen, unter welchen die laͤngs dem Flusse hingebauten Haͤuser sichtbar sind. Der Fluß zieht sich schraͤg nach der rechten Seite hin, und fließt vermuthlich mit einer Kruͤmmung, tiefer als das Bild sich erstreckt, vor der Szene der Handlung vorbey. Aus einer großen Entfernung laͤuft die Schwester des Kindes athemlos und baarfuß herzu. Jn der rechten Ecke werden zwey Figuren halb durch den untern Xand abgeschnitten: eine Magd, die den leeren Korb haͤlt, und ein Trabant in alter Schweizertracht, der vom Ruͤcken hergesehen wird, aber durch die Wendung nach der Prinzessin hinauf den Kopf im Profile zeigt. Ein zweyter

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0120" n="112"/>
Kiste, im Schilf des Ufers schwimmend, hat ihre Aufmerksamkeit erregt: sie ist abgestiegen, und steht von ihrem Gefolge umringt, unter Ba&#x0364;umen auf einer Erho&#x0364;hung am Ufer. Das Ka&#x0364;stchen ist schon heraufgeholt, man hat es geo&#x0364;ffnet, und o Wunder! ein scho&#x0364;nes gesundes Kind streckt aus dem Tuche, worin es gewickelt war, den Begleiterinnen der Prinzessin die Arme entgegen. Sie u&#x0364;berreichen es ihr: sie steht in Ueberlegung, ob sie den Fu&#x0364;ndling in ihren Schutz an- und aufnehmen soll; wa&#x0364;hrend die vertrauteste von ihren Gespielinnen ihr zuredet, erwarten die Andern neugierig den Ausgang. Dieß ist ungefa&#x0364;hr die Geschichte, welche <hi rendition="#g">Paul Veronese</hi> aber nicht so schlicht vortra&#x0364;gt, sondern nach seiner Weise bizarr, modig und doch romantisch zu verzieren, und in einer u&#x0364;ppigen Anordnung auszubreiten gewußt hat. Auf der linken Seite machen die dichtstehenden Ba&#x0364;ume den Hintergrund aus, der na&#x0364;her vortritt; rechts eine hellere Ferne; eine Bru&#x0364;cke mit großen Schwibbogen, unter welchen die la&#x0364;ngs dem Flusse hingebauten Ha&#x0364;user sichtbar sind. Der Fluß zieht sich schra&#x0364;g nach der rechten Seite hin, und fließt vermuthlich mit einer Kru&#x0364;mmung, tiefer als das Bild sich erstreckt, vor der Szene der Handlung vorbey. Aus einer großen Entfernung la&#x0364;uft die Schwester des Kindes athemlos und baarfuß herzu. Jn der rechten Ecke werden zwey Figuren halb durch den untern Xand abgeschnitten: eine Magd, die den leeren Korb ha&#x0364;lt, und ein Trabant in alter Schweizertracht, der vom Ru&#x0364;cken hergesehen wird, aber durch die Wendung nach der Prinzessin hinauf den Kopf im Profile zeigt. Ein zweyter
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0120] Kiste, im Schilf des Ufers schwimmend, hat ihre Aufmerksamkeit erregt: sie ist abgestiegen, und steht von ihrem Gefolge umringt, unter Baͤumen auf einer Erhoͤhung am Ufer. Das Kaͤstchen ist schon heraufgeholt, man hat es geoͤffnet, und o Wunder! ein schoͤnes gesundes Kind streckt aus dem Tuche, worin es gewickelt war, den Begleiterinnen der Prinzessin die Arme entgegen. Sie uͤberreichen es ihr: sie steht in Ueberlegung, ob sie den Fuͤndling in ihren Schutz an- und aufnehmen soll; waͤhrend die vertrauteste von ihren Gespielinnen ihr zuredet, erwarten die Andern neugierig den Ausgang. Dieß ist ungefaͤhr die Geschichte, welche Paul Veronese aber nicht so schlicht vortraͤgt, sondern nach seiner Weise bizarr, modig und doch romantisch zu verzieren, und in einer uͤppigen Anordnung auszubreiten gewußt hat. Auf der linken Seite machen die dichtstehenden Baͤume den Hintergrund aus, der naͤher vortritt; rechts eine hellere Ferne; eine Bruͤcke mit großen Schwibbogen, unter welchen die laͤngs dem Flusse hingebauten Haͤuser sichtbar sind. Der Fluß zieht sich schraͤg nach der rechten Seite hin, und fließt vermuthlich mit einer Kruͤmmung, tiefer als das Bild sich erstreckt, vor der Szene der Handlung vorbey. Aus einer großen Entfernung laͤuft die Schwester des Kindes athemlos und baarfuß herzu. Jn der rechten Ecke werden zwey Figuren halb durch den untern Xand abgeschnitten: eine Magd, die den leeren Korb haͤlt, und ein Trabant in alter Schweizertracht, der vom Ruͤcken hergesehen wird, aber durch die Wendung nach der Prinzessin hinauf den Kopf im Profile zeigt. Ein zweyter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/120
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/120>, abgerufen am 04.05.2024.