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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.

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Kopf je in der Jugend schön zu nennen gewesen wäre, allein die Jahre, die würdig behaupteten Würden, und lange Erfahrungen haben ihm eine schöne Bedeutung gegeben. Der Hauptausdruck ist Klugheit und bewährte Kraft. Die Augen sind von scharfem Blick und Schnitt, nicht groß; die Augenlieder haben sich schräg über die äußern Winkel hingedrückt. Die feinen Falten um das Auge, zwischen den flach gewölbten Augenbraunen und auf der Stirn, wie kommen sie in ihrer weltklugen Schrift mit dem fein gezeichneten Munde überein! Die Unterlippe tritt etwas stärker wie die obere hervor, und ist voll schlauer Bedächtigkeit. Mit einem unmerklichen Uebergange fängt der Bart an, und versteckt keinen Zug; er verschönert nur die von der Zeit durchgearbeiteten bräunlichen Wangen. Alles einzelne ist so treu, und der Charakter steht doch im Großen da. So bedeutend wie der Mund geschlossen ist, sind es auch die Hände, und die schickliche Biegung und Festigkeit der Arme zeichnet sich durch den weitläuftigen Aermel nachdrücklich aus, wie überall der starke Körperbau, der von keinem überflüssigen Fleisch beschwert ist. Er faßt mit der linken Hand, die der lederne Handschuh bedeckt, den prächtigen Dolch, den er im Gürtel trägt, und drückt ihn ein wenig hinunter. Dieß ist eine zarte, vornehme, und doch alte väterliche Hand, die man um ihrer selbst und der trefflichen Mahlerey willen küssen möchte. Denn alles ist mit unermüdlichem Pinsel ausgeführt, keinem solchen, der nach den Kleinigkeiten der Oberfläche hascht; dem des Leonardo sieht

Kopf je in der Jugend schoͤn zu nennen gewesen waͤre, allein die Jahre, die wuͤrdig behaupteten Wuͤrden, und lange Erfahrungen haben ihm eine schoͤne Bedeutung gegeben. Der Hauptausdruck ist Klugheit und bewaͤhrte Kraft. Die Augen sind von scharfem Blick und Schnitt, nicht groß; die Augenlieder haben sich schraͤg uͤber die aͤußern Winkel hingedruͤckt. Die feinen Falten um das Auge, zwischen den flach gewoͤlbten Augenbraunen und auf der Stirn, wie kommen sie in ihrer weltklugen Schrift mit dem fein gezeichneten Munde uͤberein! Die Unterlippe tritt etwas staͤrker wie die obere hervor, und ist voll schlauer Bedaͤchtigkeit. Mit einem unmerklichen Uebergange faͤngt der Bart an, und versteckt keinen Zug; er verschoͤnert nur die von der Zeit durchgearbeiteten braͤunlichen Wangen. Alles einzelne ist so treu, und der Charakter steht doch im Großen da. So bedeutend wie der Mund geschlossen ist, sind es auch die Haͤnde, und die schickliche Biegung und Festigkeit der Arme zeichnet sich durch den weitlaͤuftigen Aermel nachdruͤcklich aus, wie uͤberall der starke Koͤrperbau, der von keinem uͤberfluͤssigen Fleisch beschwert ist. Er faßt mit der linken Hand, die der lederne Handschuh bedeckt, den praͤchtigen Dolch, den er im Guͤrtel traͤgt, und druͤckt ihn ein wenig hinunter. Dieß ist eine zarte, vornehme, und doch alte vaͤterliche Hand, die man um ihrer selbst und der trefflichen Mahlerey willen kuͤssen moͤchte. Denn alles ist mit unermuͤdlichem Pinsel ausgefuͤhrt, keinem solchen, der nach den Kleinigkeiten der Oberflaͤche hascht; dem des Leonardo sieht

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[98/0106] Kopf je in der Jugend schoͤn zu nennen gewesen waͤre, allein die Jahre, die wuͤrdig behaupteten Wuͤrden, und lange Erfahrungen haben ihm eine schoͤne Bedeutung gegeben. Der Hauptausdruck ist Klugheit und bewaͤhrte Kraft. Die Augen sind von scharfem Blick und Schnitt, nicht groß; die Augenlieder haben sich schraͤg uͤber die aͤußern Winkel hingedruͤckt. Die feinen Falten um das Auge, zwischen den flach gewoͤlbten Augenbraunen und auf der Stirn, wie kommen sie in ihrer weltklugen Schrift mit dem fein gezeichneten Munde uͤberein! Die Unterlippe tritt etwas staͤrker wie die obere hervor, und ist voll schlauer Bedaͤchtigkeit. Mit einem unmerklichen Uebergange faͤngt der Bart an, und versteckt keinen Zug; er verschoͤnert nur die von der Zeit durchgearbeiteten braͤunlichen Wangen. Alles einzelne ist so treu, und der Charakter steht doch im Großen da. So bedeutend wie der Mund geschlossen ist, sind es auch die Haͤnde, und die schickliche Biegung und Festigkeit der Arme zeichnet sich durch den weitlaͤuftigen Aermel nachdruͤcklich aus, wie uͤberall der starke Koͤrperbau, der von keinem uͤberfluͤssigen Fleisch beschwert ist. Er faßt mit der linken Hand, die der lederne Handschuh bedeckt, den praͤchtigen Dolch, den er im Guͤrtel traͤgt, und druͤckt ihn ein wenig hinunter. Dieß ist eine zarte, vornehme, und doch alte vaͤterliche Hand, die man um ihrer selbst und der trefflichen Mahlerey willen kuͤssen moͤchte. Denn alles ist mit unermuͤdlichem Pinsel ausgefuͤhrt, keinem solchen, der nach den Kleinigkeiten der Oberflaͤche hascht; dem des Leonardo sieht

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/106>, abgerufen am 04.05.2024.