Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.den vierten Theil mehr metrischen Ausdruck. Der Griechische hat nur siebzehn verschiedne Wortfüße; der Deutsche, die fünf- und mehrsylbigen nicht mitgerechnet, zwey und zwanzig." Grieche. Also Mannichfaltigkeit und Ausdruck. Hältst du Mannichfaltigkeit für etwas unbedingt Gutes? Deutscher. Nun freylich, sie gefällt an sich. Grieche. Wäre Mannichfaltigkeit ohne Einschränkung gut, so wäre jedes Sylbenmaß fehlerhaft: denn jedes schränkt die Mannichfaltigkeit der rhythmischen Bewegungen ein. Ferner: soll der Ausdruck auf die einzelnen Gegenstände der Darstellung, oder auf das Allgemeine gehen? Deutscher. Unstreitig auf jene. Grieche. Aber kehren die einzelnen Gegenstände der Darstellung in dem Gedicht wieder? Deutscher. Nein, sie ziehen vorbey und es kommen andre und andre. Grieche. Allein das Sylbenmaß ist ein Gesetz der Wiederkehr: du siehst also der "Mitausdruck durch Bewegung," auf diese Art ausgelegt, würde niemals darauf führen. Deutscher. Was verstehst du aber unter dem Allgemeinen, und wie soll es der Dichter metrisch ausdrücken? Grieche. Weiß etwa einer unter euch Repräsentanten der Sprachen, was episch ist? Franzose. Epique? Poeme epique? Das sollten wir nicht wissen? den vierten Theil mehr metrischen Ausdruck. Der Griechische hat nur siebzehn verschiedne Wortfuͤße; der Deutsche, die fuͤnf- und mehrsylbigen nicht mitgerechnet, zwey und zwanzig.“ Grieche. Also Mannichfaltigkeit und Ausdruck. Haͤltst du Mannichfaltigkeit fuͤr etwas unbedingt Gutes? Deutscher. Nun freylich, sie gefaͤllt an sich. Grieche. Waͤre Mannichfaltigkeit ohne Einschraͤnkung gut, so waͤre jedes Sylbenmaß fehlerhaft: denn jedes schraͤnkt die Mannichfaltigkeit der rhythmischen Bewegungen ein. Ferner: soll der Ausdruck auf die einzelnen Gegenstaͤnde der Darstellung, oder auf das Allgemeine gehen? Deutscher. Unstreitig auf jene. Grieche. Aber kehren die einzelnen Gegenstaͤnde der Darstellung in dem Gedicht wieder? Deutscher. Nein, sie ziehen vorbey und es kommen andre und andre. Grieche. Allein das Sylbenmaß ist ein Gesetz der Wiederkehr: du siehst also der „Mitausdruck durch Bewegung,“ auf diese Art ausgelegt, wuͤrde niemals darauf fuͤhren. Deutscher. Was verstehst du aber unter dem Allgemeinen, und wie soll es der Dichter metrisch ausdruͤcken? Grieche. Weiß etwa einer unter euch Repraͤsentanten der Sprachen, was episch ist? Franzose. Epique? Poeme épique? Das sollten wir nicht wissen? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0055" n="44"/> den vierten Theil mehr metrischen Ausdruck. Der Griechische hat nur siebzehn verschiedne Wortfuͤße; der Deutsche, die fuͤnf- und mehrsylbigen nicht mitgerechnet, zwey und zwanzig.“</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Grieche</hi>. Also Mannichfaltigkeit und Ausdruck. Haͤltst du Mannichfaltigkeit fuͤr etwas unbedingt Gutes?</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Deutscher</hi>. Nun freylich, sie gefaͤllt an sich.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Grieche</hi>. Waͤre Mannichfaltigkeit ohne Einschraͤnkung gut, so waͤre jedes Sylbenmaß fehlerhaft: denn jedes schraͤnkt die Mannichfaltigkeit der rhythmischen Bewegungen ein. Ferner: soll der Ausdruck auf die einzelnen Gegenstaͤnde der Darstellung, oder auf das Allgemeine gehen?</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Deutscher</hi>. Unstreitig auf jene.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Grieche</hi>. Aber kehren die einzelnen Gegenstaͤnde der Darstellung in dem Gedicht wieder?</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Deutscher</hi>. Nein, sie ziehen vorbey und es kommen andre und andre.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Grieche</hi>. Allein das Sylbenmaß ist ein Gesetz der Wiederkehr: du siehst also der „Mitausdruck durch Bewegung,“ auf diese Art ausgelegt, wuͤrde niemals darauf fuͤhren.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Deutscher</hi>. Was verstehst du aber unter dem Allgemeinen, und wie soll es der Dichter metrisch ausdruͤcken?</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Grieche</hi>. Weiß etwa einer unter euch Repraͤsentanten der Sprachen, was episch ist?</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Franzose</hi>. <foreign xml:lang="fr">Epique? Poeme épique?</foreign> Das sollten wir nicht wissen?</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [44/0055]
den vierten Theil mehr metrischen Ausdruck. Der Griechische hat nur siebzehn verschiedne Wortfuͤße; der Deutsche, die fuͤnf- und mehrsylbigen nicht mitgerechnet, zwey und zwanzig.“
Grieche. Also Mannichfaltigkeit und Ausdruck. Haͤltst du Mannichfaltigkeit fuͤr etwas unbedingt Gutes?
Deutscher. Nun freylich, sie gefaͤllt an sich.
Grieche. Waͤre Mannichfaltigkeit ohne Einschraͤnkung gut, so waͤre jedes Sylbenmaß fehlerhaft: denn jedes schraͤnkt die Mannichfaltigkeit der rhythmischen Bewegungen ein. Ferner: soll der Ausdruck auf die einzelnen Gegenstaͤnde der Darstellung, oder auf das Allgemeine gehen?
Deutscher. Unstreitig auf jene.
Grieche. Aber kehren die einzelnen Gegenstaͤnde der Darstellung in dem Gedicht wieder?
Deutscher. Nein, sie ziehen vorbey und es kommen andre und andre.
Grieche. Allein das Sylbenmaß ist ein Gesetz der Wiederkehr: du siehst also der „Mitausdruck durch Bewegung,“ auf diese Art ausgelegt, wuͤrde niemals darauf fuͤhren.
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/55>, abgerufen am 16.02.2025. |