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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

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weiß als es sagt, und mehr will als es weiß. Es liegt in der gänzlichen Verschiedenheit des Zweckes und des Verfahrens. Jene poetische Kritik will gar nicht wie eine bloße Jnschrift nur sagen, was die Sache eigentlich sey, wo sie in der Welt stehe und stehn solle: dazu bedarf es nur eines vollständigen ungetheilten Menschen, der das Werk so lange als nöthig ist, zum Mittelpunkt seiner Thätigkeit mache; wenn ein solcher mündliche oder schriftliche Mittheilung liebt, kann es ihm Vergnügen gewähren, eine Wahrnehmung, die im Grunde nur eine und untheilbar ist, weitläufig zu entwickeln, und so entsteht eine eigentliche Karakteristik. Der Dichter und Künstler hingegen wird die Darstellung von Neuem darstellen, das schon Gebildete noch einmal bilden wollen; er wird das Werk ergänzen, verjüngern, neu gestalten. Er wird das Ganze nur in Glieder und Massen und Stücke theilen, nie in seine ursprünglichen Bestandtheile zerlegen, die in Beziehung auf das Werk todt sind, weil sie nicht mehr Einheiten derselben Art wie das Ganze enthalten, in Beziehung auf das Weltall aber allerdings lebendig und Glieder oder Massen desselben seyn könnten. Auf solche bezieht der gewöhnliche Kritiker den Gegenstand seiner Kunst, und muß daher seine lebendige Einheit unvermeidlich zerstören, ihn bald in seine Elemente zersetzen, bald selbst nur als ein Atom einer größern Masse betrachten.

Jm fünften Buche kommt es von der Theorie zu einer durchdachten und nach Grundsätzen verfahrenden Ausübung; und auch Serlo's und der andern

weiß als es sagt, und mehr will als es weiß. Es liegt in der gaͤnzlichen Verschiedenheit des Zweckes und des Verfahrens. Jene poetische Kritik will gar nicht wie eine bloße Jnschrift nur sagen, was die Sache eigentlich sey, wo sie in der Welt stehe und stehn solle: dazu bedarf es nur eines vollstaͤndigen ungetheilten Menschen, der das Werk so lange als noͤthig ist, zum Mittelpunkt seiner Thaͤtigkeit mache; wenn ein solcher muͤndliche oder schriftliche Mittheilung liebt, kann es ihm Vergnuͤgen gewaͤhren, eine Wahrnehmung, die im Grunde nur eine und untheilbar ist, weitlaͤufig zu entwickeln, und so entsteht eine eigentliche Karakteristik. Der Dichter und Kuͤnstler hingegen wird die Darstellung von Neuem darstellen, das schon Gebildete noch einmal bilden wollen; er wird das Werk ergaͤnzen, verjuͤngern, neu gestalten. Er wird das Ganze nur in Glieder und Massen und Stuͤcke theilen, nie in seine urspruͤnglichen Bestandtheile zerlegen, die in Beziehung auf das Werk todt sind, weil sie nicht mehr Einheiten derselben Art wie das Ganze enthalten, in Beziehung auf das Weltall aber allerdings lebendig und Glieder oder Massen desselben seyn koͤnnten. Auf solche bezieht der gewoͤhnliche Kritiker den Gegenstand seiner Kunst, und muß daher seine lebendige Einheit unvermeidlich zerstoͤren, ihn bald in seine Elemente zersetzen, bald selbst nur als ein Atom einer groͤßern Masse betrachten.

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[169/0358] weiß als es sagt, und mehr will als es weiß. Es liegt in der gaͤnzlichen Verschiedenheit des Zweckes und des Verfahrens. Jene poetische Kritik will gar nicht wie eine bloße Jnschrift nur sagen, was die Sache eigentlich sey, wo sie in der Welt stehe und stehn solle: dazu bedarf es nur eines vollstaͤndigen ungetheilten Menschen, der das Werk so lange als noͤthig ist, zum Mittelpunkt seiner Thaͤtigkeit mache; wenn ein solcher muͤndliche oder schriftliche Mittheilung liebt, kann es ihm Vergnuͤgen gewaͤhren, eine Wahrnehmung, die im Grunde nur eine und untheilbar ist, weitlaͤufig zu entwickeln, und so entsteht eine eigentliche Karakteristik. Der Dichter und Kuͤnstler hingegen wird die Darstellung von Neuem darstellen, das schon Gebildete noch einmal bilden wollen; er wird das Werk ergaͤnzen, verjuͤngern, neu gestalten. Er wird das Ganze nur in Glieder und Massen und Stuͤcke theilen, nie in seine urspruͤnglichen Bestandtheile zerlegen, die in Beziehung auf das Werk todt sind, weil sie nicht mehr Einheiten derselben Art wie das Ganze enthalten, in Beziehung auf das Weltall aber allerdings lebendig und Glieder oder Massen desselben seyn koͤnnten. Auf solche bezieht der gewoͤhnliche Kritiker den Gegenstand seiner Kunst, und muß daher seine lebendige Einheit unvermeidlich zerstoͤren, ihn bald in seine Elemente zersetzen, bald selbst nur als ein Atom einer groͤßern Masse betrachten. Jm fuͤnften Buche kommt es von der Theorie zu einer durchdachten und nach Grundsaͤtzen verfahrenden Ausuͤbung; und auch Serlo's und der andern

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/358>, abgerufen am 18.05.2024.