Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.Die Dedukzion eines Begriffs ist die Ahnenprobe seiner ächten Abstammung von der intellektuellen Anschauung seiner Wissenschaft. Denn jede Wissenschaft hat die ihrige. Es pflegt manchem seltsam und lächerlich aufzufallen, wenn die Musiker von den Gedanken in ihren Composizionen reden; und oft mag es auch so geschehen, daß man wahrnimmt, sie haben mehr Gedanken in ihrer Musik als über dieselbe. Wer aber Sinn für die wunderbaren Affinitäten aller Künste und Wissenschaften hat, wird die Sache wenigstens nicht aus dem platten Gesichtspunkt der sogenannten Natürlichkeit betrachten, nach welcher die Musik nur die Sprache der Empfindung seyn soll, und eine gewisse Tendenz aller reinen Jnstrumentalmusik zur Philosophie an sich nicht unmöglich finden. Muß die reine Jnstrumentalmusik sich nicht selbst einen Text erschaffen? und wird das Thema in ihr nicht so entwickelt, bestätigt, variirt und kontrastirt, wie der Gegenstand der Meditazion in einer philosophischen Jdeenreihe? Die Dynamik ist die Größenlehre der Energie, welche in der Astronomie auf die Organisazion des Universums angewandt wird. Jnsofern könnte man beyde eine historische Mathematik nennen. Die Algebra erfordert am meisten Witz und Enthusiasmus, nämlich mathematischen. Die Dedukzion eines Begriffs ist die Ahnenprobe seiner aͤchten Abstammung von der intellektuellen Anschauung seiner Wissenschaft. Denn jede Wissenschaft hat die ihrige. Es pflegt manchem seltsam und laͤcherlich aufzufallen, wenn die Musiker von den Gedanken in ihren Composizionen reden; und oft mag es auch so geschehen, daß man wahrnimmt, sie haben mehr Gedanken in ihrer Musik als uͤber dieselbe. Wer aber Sinn fuͤr die wunderbaren Affinitaͤten aller Kuͤnste und Wissenschaften hat, wird die Sache wenigstens nicht aus dem platten Gesichtspunkt der sogenannten Natuͤrlichkeit betrachten, nach welcher die Musik nur die Sprache der Empfindung seyn soll, und eine gewisse Tendenz aller reinen Jnstrumentalmusik zur Philosophie an sich nicht unmoͤglich finden. Muß die reine Jnstrumentalmusik sich nicht selbst einen Text erschaffen? und wird das Thema in ihr nicht so entwickelt, bestaͤtigt, variirt und kontrastirt, wie der Gegenstand der Meditazion in einer philosophischen Jdeenreihe? Die Dynamik ist die Groͤßenlehre der Energie, welche in der Astronomie auf die Organisazion des Universums angewandt wird. Jnsofern koͤnnte man beyde eine historische Mathematik nennen. Die Algebra erfordert am meisten Witz und Enthusiasmus, naͤmlich mathematischen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0333" n="144"/> <p>Die Dedukzion eines Begriffs ist die Ahnenprobe seiner aͤchten Abstammung von der intellektuellen Anschauung seiner Wissenschaft. Denn jede Wissenschaft hat die ihrige.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Es pflegt manchem seltsam und laͤcherlich aufzufallen, wenn die Musiker von den Gedanken in ihren Composizionen reden; und oft mag es auch so geschehen, daß man wahrnimmt, sie haben mehr Gedanken in ihrer Musik als uͤber dieselbe. Wer aber Sinn fuͤr die wunderbaren Affinitaͤten aller Kuͤnste und Wissenschaften hat, wird die Sache wenigstens nicht aus dem platten Gesichtspunkt der sogenannten Natuͤrlichkeit betrachten, nach welcher die Musik nur die Sprache der Empfindung seyn soll, und eine gewisse Tendenz aller reinen Jnstrumentalmusik zur Philosophie an sich nicht unmoͤglich finden. Muß die reine Jnstrumentalmusik sich nicht selbst einen Text erschaffen? und wird das Thema in ihr nicht so entwickelt, bestaͤtigt, variirt und kontrastirt, wie der Gegenstand der Meditazion in einer philosophischen Jdeenreihe?</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Die Dynamik ist die Groͤßenlehre der Energie, welche in der Astronomie auf die Organisazion des Universums angewandt wird. Jnsofern koͤnnte man beyde eine historische Mathematik nennen. Die Algebra erfordert am meisten Witz und Enthusiasmus, naͤmlich mathematischen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [144/0333]
Die Dedukzion eines Begriffs ist die Ahnenprobe seiner aͤchten Abstammung von der intellektuellen Anschauung seiner Wissenschaft. Denn jede Wissenschaft hat die ihrige.
Es pflegt manchem seltsam und laͤcherlich aufzufallen, wenn die Musiker von den Gedanken in ihren Composizionen reden; und oft mag es auch so geschehen, daß man wahrnimmt, sie haben mehr Gedanken in ihrer Musik als uͤber dieselbe. Wer aber Sinn fuͤr die wunderbaren Affinitaͤten aller Kuͤnste und Wissenschaften hat, wird die Sache wenigstens nicht aus dem platten Gesichtspunkt der sogenannten Natuͤrlichkeit betrachten, nach welcher die Musik nur die Sprache der Empfindung seyn soll, und eine gewisse Tendenz aller reinen Jnstrumentalmusik zur Philosophie an sich nicht unmoͤglich finden. Muß die reine Jnstrumentalmusik sich nicht selbst einen Text erschaffen? und wird das Thema in ihr nicht so entwickelt, bestaͤtigt, variirt und kontrastirt, wie der Gegenstand der Meditazion in einer philosophischen Jdeenreihe?
Die Dynamik ist die Groͤßenlehre der Energie, welche in der Astronomie auf die Organisazion des Universums angewandt wird. Jnsofern koͤnnte man beyde eine historische Mathematik nennen. Die Algebra erfordert am meisten Witz und Enthusiasmus, naͤmlich mathematischen.
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/333>, abgerufen am 16.02.2025. |