Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.Eine Karakteristik ist ein Kunstwerk der Kritik, ein visum repertum der chemischen Philosophie. Eine Rezension ist eine angewandte und anwendende Karakteristik, mit Rücksicht auf den gegenwärtigen Zustand der Litteratur und des Publikums. Übersichten, litterarische Annalen sind Summen oder Reihen von Karakteristiken. Parallellen sind kritische Gruppen. Aus der Verknüpfung beyder entspringt die Auswahl der Klassiker, das kritische Weltsystem für eine gegebne Sphäre der Philosophie oder der Poesie. Alle reine uneigennützige Bildung ist gymnastisch oder musikalisch; sie geht auf Entwicklung der einzelnen und auf Harmonie aller Kräfte. Die Griechische Dichotomie der Erziehung ist mehr als eine von den Paradoxien des Alterthums. Liberal ist wer von allen Seiten und nach allen Richtungen wie von selbst frey ist und in seiner ganzen Menschheit wirkt; wer alles, was handelt, ist und wird, nach dem Maß seiner Kraft heilig hält, und an allem Leben Antheil nimmt, ohne sich durch beschränkte Ansichten zum Haß oder zur Geringschätzung desselben verführen zu lassen. Philosophische Juristen nennen sich auch solche, die neben ihren andern Rechten, die oft so unrechtlich sind, auch ein Naturrecht haben, welches nicht selten noch unrechtlicher ist. Eine Karakteristik ist ein Kunstwerk der Kritik, ein visum repertum der chemischen Philosophie. Eine Rezension ist eine angewandte und anwendende Karakteristik, mit Ruͤcksicht auf den gegenwaͤrtigen Zustand der Litteratur und des Publikums. Übersichten, litterarische Annalen sind Summen oder Reihen von Karakteristiken. Parallellen sind kritische Gruppen. Aus der Verknuͤpfung beyder entspringt die Auswahl der Klassiker, das kritische Weltsystem fuͤr eine gegebne Sphaͤre der Philosophie oder der Poesie. Alle reine uneigennuͤtzige Bildung ist gymnastisch oder musikalisch; sie geht auf Entwicklung der einzelnen und auf Harmonie aller Kraͤfte. Die Griechische Dichotomie der Erziehung ist mehr als eine von den Paradoxien des Alterthums. Liberal ist wer von allen Seiten und nach allen Richtungen wie von selbst frey ist und in seiner ganzen Menschheit wirkt; wer alles, was handelt, ist und wird, nach dem Maß seiner Kraft heilig haͤlt, und an allem Leben Antheil nimmt, ohne sich durch beschraͤnkte Ansichten zum Haß oder zur Geringschaͤtzung desselben verfuͤhren zu lassen. Philosophische Juristen nennen sich auch solche, die neben ihren andern Rechten, die oft so unrechtlich sind, auch ein Naturrecht haben, welches nicht selten noch unrechtlicher ist. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0332" n="143"/> <p>Eine Karakteristik ist ein Kunstwerk der Kritik, ein <foreign xml:lang="la">visum repertum</foreign> der chemischen Philosophie. Eine Rezension ist eine angewandte und anwendende Karakteristik, mit Ruͤcksicht auf den gegenwaͤrtigen Zustand der Litteratur und des Publikums. Übersichten, litterarische Annalen sind Summen oder Reihen von Karakteristiken. Parallellen sind kritische Gruppen. Aus der Verknuͤpfung beyder entspringt die Auswahl der Klassiker, das kritische Weltsystem fuͤr eine gegebne Sphaͤre der Philosophie oder der Poesie.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Alle reine uneigennuͤtzige Bildung ist gymnastisch oder musikalisch; sie geht auf Entwicklung der einzelnen und auf Harmonie aller Kraͤfte. Die Griechische Dichotomie der Erziehung ist mehr als eine von den Paradoxien des Alterthums.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Liberal ist wer von allen Seiten und nach allen Richtungen wie von selbst frey ist und in seiner ganzen Menschheit wirkt; wer alles, was handelt, ist und wird, nach dem Maß seiner Kraft heilig haͤlt, und an allem Leben Antheil nimmt, ohne sich durch beschraͤnkte Ansichten zum Haß oder zur Geringschaͤtzung desselben verfuͤhren zu lassen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Philosophische Juristen nennen sich auch solche, die neben ihren andern Rechten, die oft so unrechtlich sind, auch ein Naturrecht haben, welches nicht selten noch unrechtlicher ist.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [143/0332]
Eine Karakteristik ist ein Kunstwerk der Kritik, ein visum repertum der chemischen Philosophie. Eine Rezension ist eine angewandte und anwendende Karakteristik, mit Ruͤcksicht auf den gegenwaͤrtigen Zustand der Litteratur und des Publikums. Übersichten, litterarische Annalen sind Summen oder Reihen von Karakteristiken. Parallellen sind kritische Gruppen. Aus der Verknuͤpfung beyder entspringt die Auswahl der Klassiker, das kritische Weltsystem fuͤr eine gegebne Sphaͤre der Philosophie oder der Poesie.
Alle reine uneigennuͤtzige Bildung ist gymnastisch oder musikalisch; sie geht auf Entwicklung der einzelnen und auf Harmonie aller Kraͤfte. Die Griechische Dichotomie der Erziehung ist mehr als eine von den Paradoxien des Alterthums.
Liberal ist wer von allen Seiten und nach allen Richtungen wie von selbst frey ist und in seiner ganzen Menschheit wirkt; wer alles, was handelt, ist und wird, nach dem Maß seiner Kraft heilig haͤlt, und an allem Leben Antheil nimmt, ohne sich durch beschraͤnkte Ansichten zum Haß oder zur Geringschaͤtzung desselben verfuͤhren zu lassen.
Philosophische Juristen nennen sich auch solche, die neben ihren andern Rechten, die oft so unrechtlich sind, auch ein Naturrecht haben, welches nicht selten noch unrechtlicher ist.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |