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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

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pflegt. Jhre Bestimmung ist, die Philosophie praktisch zu realisiren, und die praktische Unphilosophie und Antiphilosophie nicht bloß dialektisch zu besiegen, sondern real zu vernichten. Rousseau und Fichte verbieten auch denen, die nicht glauben, wo sie nicht sehen, dieß Jdeal für chimärisch zu halten.



Die Tragiker setzen die Szene ihrer Dichtungen fast immer in die Vergangenheit. Warum sollte dieß schlechthin nothwendig, warum sollte es nicht auch möglich seyn, die Szene in die Zukunft zu setzen, wodurch die Fantasie mit einem Streich von allen historischen Rücksichten und Einschränkungen befreyt würde? Aber freylich müßte ein Volk, das die beschämenden Gestalten einer würdigen Darstellung der bessern Zukunft ertragen sollte, mehr als eine republikanische Verfassung, es müßte eine liberale Gesinnung haben.



Aus dem romantischen Gesichtspunkt haben auch die Abarten der Poesie, selbst die ekzentrischen und monströsen, ihren Werth, als Materialien und Vorübungen der Universalität, wenn nur irgend etwas drin ist, wenn sie nur original sind.



Die Eigenschaft des dramatischen Dichters scheint es zu seyn, sich selbst mit freygebiger Großmuth an andere Personen zu verlieren, des lyrischen, mit liebevollem Egoismus alles zu sich herüber zu ziehn.



pflegt. Jhre Bestimmung ist, die Philosophie praktisch zu realisiren, und die praktische Unphilosophie und Antiphilosophie nicht bloß dialektisch zu besiegen, sondern real zu vernichten. Rousseau und Fichte verbieten auch denen, die nicht glauben, wo sie nicht sehen, dieß Jdeal fuͤr chimaͤrisch zu halten.



Die Tragiker setzen die Szene ihrer Dichtungen fast immer in die Vergangenheit. Warum sollte dieß schlechthin nothwendig, warum sollte es nicht auch moͤglich seyn, die Szene in die Zukunft zu setzen, wodurch die Fantasie mit einem Streich von allen historischen Ruͤcksichten und Einschraͤnkungen befreyt wuͤrde? Aber freylich muͤßte ein Volk, das die beschaͤmenden Gestalten einer wuͤrdigen Darstellung der bessern Zukunft ertragen sollte, mehr als eine republikanische Verfassung, es muͤßte eine liberale Gesinnung haben.



Aus dem romantischen Gesichtspunkt haben auch die Abarten der Poesie, selbst die ekzentrischen und monstroͤsen, ihren Werth, als Materialien und Voruͤbungen der Universalitaͤt, wenn nur irgend etwas drin ist, wenn sie nur original sind.



Die Eigenschaft des dramatischen Dichters scheint es zu seyn, sich selbst mit freygebiger Großmuth an andere Personen zu verlieren, des lyrischen, mit liebevollem Egoismus alles zu sich heruͤber zu ziehn.



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[36/0225] pflegt. Jhre Bestimmung ist, die Philosophie praktisch zu realisiren, und die praktische Unphilosophie und Antiphilosophie nicht bloß dialektisch zu besiegen, sondern real zu vernichten. Rousseau und Fichte verbieten auch denen, die nicht glauben, wo sie nicht sehen, dieß Jdeal fuͤr chimaͤrisch zu halten. Die Tragiker setzen die Szene ihrer Dichtungen fast immer in die Vergangenheit. Warum sollte dieß schlechthin nothwendig, warum sollte es nicht auch moͤglich seyn, die Szene in die Zukunft zu setzen, wodurch die Fantasie mit einem Streich von allen historischen Ruͤcksichten und Einschraͤnkungen befreyt wuͤrde? Aber freylich muͤßte ein Volk, das die beschaͤmenden Gestalten einer wuͤrdigen Darstellung der bessern Zukunft ertragen sollte, mehr als eine republikanische Verfassung, es muͤßte eine liberale Gesinnung haben. Aus dem romantischen Gesichtspunkt haben auch die Abarten der Poesie, selbst die ekzentrischen und monstroͤsen, ihren Werth, als Materialien und Voruͤbungen der Universalitaͤt, wenn nur irgend etwas drin ist, wenn sie nur original sind. Die Eigenschaft des dramatischen Dichters scheint es zu seyn, sich selbst mit freygebiger Großmuth an andere Personen zu verlieren, des lyrischen, mit liebevollem Egoismus alles zu sich heruͤber zu ziehn.

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/225>, abgerufen am 21.11.2024.