Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.Nach dem Weltbegriffe ist jeder ein Kantianer, der sich auch für die neueste deutsche philosophische Litteratur interessirt. Nach dem Schulbegriffe ist nur der ein Kantianer, der glaubt, Kant sey die Wahrheit, und der, wenn die Königsberger Post einmal verunglückte, leicht einige Wochen ohne Wahrheit seyn könnte. Nach dem veralteten Sokratischen Begriffe, da die, welche sich den Geist des großen Meisters selbständig angeeignet, und angebildet hatten, seine Schüler hießen, und als Söhne seines Geistes nach ihm genannt wurden, dürfte es nur wenige Kantianer geben. Schellings Philosophie, die man kritisirten Mystizismus nennen könnte, endigt, wie der Prometheus des Aeschylus, mit Erdbeben und Untergang. Die moralische Würdigung ist der ästhetischen völlig entgegengesetzt. Dort gilt der gute Wille alles, hier gar nichts. Der gute Wille witzig zu seyn, zum Beyspiel, ist die Tugend eines Pagliaß. Das Wollen beym Witze darf nur darin bestehen, daß man die konvenzionellen Schranken aufhebt, und den Geist frey läßt. Am witzigsten aber müßte der seyn, der es nicht nur ohne es zu wollen, sondern wider seinen Willen wäre, so wie der bienfaisant bourru eigentlich der allergutmüthigste Charakter ist. Das stillschweigends vorausgesetzte, und wirklich erste Postulat aller Kantianischen Harmonien der Nach dem Weltbegriffe ist jeder ein Kantianer, der sich auch fuͤr die neueste deutsche philosophische Litteratur interessirt. Nach dem Schulbegriffe ist nur der ein Kantianer, der glaubt, Kant sey die Wahrheit, und der, wenn die Koͤnigsberger Post einmal verungluͤckte, leicht einige Wochen ohne Wahrheit seyn koͤnnte. Nach dem veralteten Sokratischen Begriffe, da die, welche sich den Geist des großen Meisters selbstaͤndig angeeignet, und angebildet hatten, seine Schuͤler hießen, und als Soͤhne seines Geistes nach ihm genannt wurden, duͤrfte es nur wenige Kantianer geben. Schellings Philosophie, die man kritisirten Mystizismus nennen koͤnnte, endigt, wie der Prometheus des Aeschylus, mit Erdbeben und Untergang. Die moralische Wuͤrdigung ist der aͤsthetischen voͤllig entgegengesetzt. Dort gilt der gute Wille alles, hier gar nichts. Der gute Wille witzig zu seyn, zum Beyspiel, ist die Tugend eines Pagliaß. Das Wollen beym Witze darf nur darin bestehen, daß man die konvenzionellen Schranken aufhebt, und den Geist frey laͤßt. Am witzigsten aber muͤßte der seyn, der es nicht nur ohne es zu wollen, sondern wider seinen Willen waͤre, so wie der bienfaisant bourru eigentlich der allergutmuͤthigste Charakter ist. Das stillschweigends vorausgesetzte, und wirklich erste Postulat aller Kantianischen Harmonien der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0215" n="26"/> <p>Nach dem Weltbegriffe ist jeder ein Kantianer, der sich auch fuͤr die neueste deutsche philosophische Litteratur interessirt. Nach dem Schulbegriffe ist nur der ein Kantianer, der glaubt, Kant sey die Wahrheit, und der, wenn die Koͤnigsberger Post einmal verungluͤckte, leicht einige Wochen ohne Wahrheit seyn koͤnnte. Nach dem veralteten Sokratischen Begriffe, da die, welche sich den Geist des großen Meisters selbstaͤndig angeeignet, und angebildet hatten, seine Schuͤler hießen, und als Soͤhne seines Geistes nach ihm genannt wurden, duͤrfte es nur wenige Kantianer geben.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Schellings Philosophie, die man kritisirten Mystizismus nennen koͤnnte, endigt, wie der Prometheus des Aeschylus, mit Erdbeben und Untergang.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Die moralische Wuͤrdigung ist der aͤsthetischen voͤllig entgegengesetzt. Dort gilt der gute Wille alles, hier gar nichts. Der gute Wille witzig zu seyn, zum Beyspiel, ist die Tugend eines Pagliaß. Das Wollen beym Witze darf nur darin bestehen, daß man die konvenzionellen Schranken aufhebt, und den Geist frey laͤßt. Am witzigsten aber muͤßte der seyn, der es nicht nur ohne es zu wollen, sondern wider seinen Willen waͤre, so wie der <foreign xml:lang="fr">bienfaisant bourru</foreign> eigentlich der allergutmuͤthigste Charakter ist.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Das stillschweigends vorausgesetzte, und wirklich erste Postulat aller Kantianischen Harmonien der<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [26/0215]
Nach dem Weltbegriffe ist jeder ein Kantianer, der sich auch fuͤr die neueste deutsche philosophische Litteratur interessirt. Nach dem Schulbegriffe ist nur der ein Kantianer, der glaubt, Kant sey die Wahrheit, und der, wenn die Koͤnigsberger Post einmal verungluͤckte, leicht einige Wochen ohne Wahrheit seyn koͤnnte. Nach dem veralteten Sokratischen Begriffe, da die, welche sich den Geist des großen Meisters selbstaͤndig angeeignet, und angebildet hatten, seine Schuͤler hießen, und als Soͤhne seines Geistes nach ihm genannt wurden, duͤrfte es nur wenige Kantianer geben.
Schellings Philosophie, die man kritisirten Mystizismus nennen koͤnnte, endigt, wie der Prometheus des Aeschylus, mit Erdbeben und Untergang.
Die moralische Wuͤrdigung ist der aͤsthetischen voͤllig entgegengesetzt. Dort gilt der gute Wille alles, hier gar nichts. Der gute Wille witzig zu seyn, zum Beyspiel, ist die Tugend eines Pagliaß. Das Wollen beym Witze darf nur darin bestehen, daß man die konvenzionellen Schranken aufhebt, und den Geist frey laͤßt. Am witzigsten aber muͤßte der seyn, der es nicht nur ohne es zu wollen, sondern wider seinen Willen waͤre, so wie der bienfaisant bourru eigentlich der allergutmuͤthigste Charakter ist.
Das stillschweigends vorausgesetzte, und wirklich erste Postulat aller Kantianischen Harmonien der
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/215>, abgerufen am 27.07.2024. |