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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

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Bey so unermüdlichen Ergießungen muß man natürlich auf seltsame Hülfsmittel verfallen, um die Armuth an selbständigem Geiste zu bemänteln, und wirklich ist auch bis zur rohesten Abgeschmacktheit nichts unversucht geblieben. Wer Romane fertigen kann, ohne Gespenster zu citiren und die Riesengestalten einer chimärischen Vorzeit aufzurufen, wer sich ohne Geheimnisse mit simpeln Leidenschaften behilft, der hält schon etwas auf sich und sein Publikum. Macht er sich denn auch mit Karakteren nicht viel zu schaffen, wenn ihm nur jene in einer gewissen Fülle zu Gebote stehn, so kann er gewiß seyn, den mittleren Durchschnitt der Lesewelt für sich zu gewinnen, der für das grobe Abentheuerliche schon zu gesittet, für die heitern ruhigen Ansichten ächter Kunst noch nicht empfänglich, starke Bedürfnisse der Sentimentalität hat.

Solch ein Schriftsteller ist Lafontaine. Wundern kann man sich also nicht über das große Glück, das er gemacht hat. Die Vorliebe für Jean Paul ist schon etwas viel ausgezeichneteres; er bewirthet nicht mit so leichten Speisen, da sich Lafontaine hingegen mit unglaublicher Schnelligkeit und in ganzen Bänden auf einmal genießen läßt, besonders wenn man schon einiges von ihm gelesen hat, und also gewisse Lieblingsschilderungen nur wie alte Bekannte im Vorbeygehn begrüßt. Auch in dem einzelnen Werke wiederhohlt er die Szenen so reichlich, daß er dem geübteren Leser die Hälfte der Zeit erspart, obwohl dem Verleger nichts an der Bogenzahl. Sicher kommt das diesem aber nicht so theuer zu stehn, da die leeren

Bey so unermuͤdlichen Ergießungen muß man natuͤrlich auf seltsame Huͤlfsmittel verfallen, um die Armuth an selbstaͤndigem Geiste zu bemaͤnteln, und wirklich ist auch bis zur rohesten Abgeschmacktheit nichts unversucht geblieben. Wer Romane fertigen kann, ohne Gespenster zu citiren und die Riesengestalten einer chimaͤrischen Vorzeit aufzurufen, wer sich ohne Geheimnisse mit simpeln Leidenschaften behilft, der haͤlt schon etwas auf sich und sein Publikum. Macht er sich denn auch mit Karakteren nicht viel zu schaffen, wenn ihm nur jene in einer gewissen Fuͤlle zu Gebote stehn, so kann er gewiß seyn, den mittleren Durchschnitt der Lesewelt fuͤr sich zu gewinnen, der fuͤr das grobe Abentheuerliche schon zu gesittet, fuͤr die heitern ruhigen Ansichten aͤchter Kunst noch nicht empfaͤnglich, starke Beduͤrfnisse der Sentimentalitaͤt hat.

Solch ein Schriftsteller ist Lafontaine. Wundern kann man sich also nicht uͤber das große Gluͤck, das er gemacht hat. Die Vorliebe fuͤr Jean Paul ist schon etwas viel ausgezeichneteres; er bewirthet nicht mit so leichten Speisen, da sich Lafontaine hingegen mit unglaublicher Schnelligkeit und in ganzen Baͤnden auf einmal genießen laͤßt, besonders wenn man schon einiges von ihm gelesen hat, und also gewisse Lieblingsschilderungen nur wie alte Bekannte im Vorbeygehn begruͤßt. Auch in dem einzelnen Werke wiederhohlt er die Szenen so reichlich, daß er dem geuͤbteren Leser die Haͤlfte der Zeit erspart, obwohl dem Verleger nichts an der Bogenzahl. Sicher kommt das diesem aber nicht so theuer zu stehn, da die leeren

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[151/0162] Bey so unermuͤdlichen Ergießungen muß man natuͤrlich auf seltsame Huͤlfsmittel verfallen, um die Armuth an selbstaͤndigem Geiste zu bemaͤnteln, und wirklich ist auch bis zur rohesten Abgeschmacktheit nichts unversucht geblieben. Wer Romane fertigen kann, ohne Gespenster zu citiren und die Riesengestalten einer chimaͤrischen Vorzeit aufzurufen, wer sich ohne Geheimnisse mit simpeln Leidenschaften behilft, der haͤlt schon etwas auf sich und sein Publikum. Macht er sich denn auch mit Karakteren nicht viel zu schaffen, wenn ihm nur jene in einer gewissen Fuͤlle zu Gebote stehn, so kann er gewiß seyn, den mittleren Durchschnitt der Lesewelt fuͤr sich zu gewinnen, der fuͤr das grobe Abentheuerliche schon zu gesittet, fuͤr die heitern ruhigen Ansichten aͤchter Kunst noch nicht empfaͤnglich, starke Beduͤrfnisse der Sentimentalitaͤt hat. Solch ein Schriftsteller ist Lafontaine. Wundern kann man sich also nicht uͤber das große Gluͤck, das er gemacht hat. Die Vorliebe fuͤr Jean Paul ist schon etwas viel ausgezeichneteres; er bewirthet nicht mit so leichten Speisen, da sich Lafontaine hingegen mit unglaublicher Schnelligkeit und in ganzen Baͤnden auf einmal genießen laͤßt, besonders wenn man schon einiges von ihm gelesen hat, und also gewisse Lieblingsschilderungen nur wie alte Bekannte im Vorbeygehn begruͤßt. Auch in dem einzelnen Werke wiederhohlt er die Szenen so reichlich, daß er dem geuͤbteren Leser die Haͤlfte der Zeit erspart, obwohl dem Verleger nichts an der Bogenzahl. Sicher kommt das diesem aber nicht so theuer zu stehn, da die leeren

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/162>, abgerufen am 18.05.2024.