Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.Grammatik. Wie konntest du? Weißt du nicht, daß Leben und Tod einander immer das Gleichgewicht halten, und daß, wo die Grammatik lebt, die Poesie todt seyn muß? Poesie. Wir werden uns also auch jetzt freundschaftlich darum vertragen, und beyde mit einem halben Leben zufrieden seyn müßen. Grammatik. Nach geendigtem Geschäft will ich dirs ganz abtreten: denn dir kommt das Leben zu, für mich ist es immer nur ein gezwungner Zustand. Poesie. Zu dem du dich aber, Klopstock zu Gefallen, bequemt hast. Grammatik. Er belohnt es mir durch die reichhaltigen Winke, die seinen Bemerkungen, die Aufforderungen zu tieferer Forschung, die in seinem Buch verborgen liegen. Poesie. Verborgen allerdings! Habe ich doch auf meinen Wanderungen bis jetzt nie davon gehört. Warum wissen denn die Deutschen kaum, daß sie so etwas besitzen? Grammatik. Viel thut wohl die Einkleidung; dann der Grad von Einsicht, der bey dem Leser vorausgesetzt wird; die Hauptsache ist aber, daß es von etwas Deutschem handelt. Poesie. Und doch wird diese Sache aus der Fremde, und sogar aus dem Alterthum her in Anregung gebracht? Grammatik. Die alten und neuen Sprachen sind höchlich entrüstet: sie behaupten, Klopstock habe Grammatik. Wie konntest du? Weißt du nicht, daß Leben und Tod einander immer das Gleichgewicht halten, und daß, wo die Grammatik lebt, die Poesie todt seyn muß? Poesie. Wir werden uns also auch jetzt freundschaftlich darum vertragen, und beyde mit einem halben Leben zufrieden seyn muͤßen. Grammatik. Nach geendigtem Geschaͤft will ich dirs ganz abtreten: denn dir kommt das Leben zu, fuͤr mich ist es immer nur ein gezwungner Zustand. Poesie. Zu dem du dich aber, Klopstock zu Gefallen, bequemt hast. Grammatik. Er belohnt es mir durch die reichhaltigen Winke, die seinen Bemerkungen, die Aufforderungen zu tieferer Forschung, die in seinem Buch verborgen liegen. Poesie. Verborgen allerdings! Habe ich doch auf meinen Wanderungen bis jetzt nie davon gehoͤrt. Warum wissen denn die Deutschen kaum, daß sie so etwas besitzen? Grammatik. Viel thut wohl die Einkleidung; dann der Grad von Einsicht, der bey dem Leser vorausgesetzt wird; die Hauptsache ist aber, daß es von etwas Deutschem handelt. Poesie. Und doch wird diese Sache aus der Fremde, und sogar aus dem Alterthum her in Anregung gebracht? Grammatik. Die alten und neuen Sprachen sind hoͤchlich entruͤstet: sie behaupten, Klopstock habe <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0015" n="4"/> <p><hi rendition="#g">Grammatik</hi>. Wie konntest du? Weißt du nicht, daß Leben und Tod einander immer das Gleichgewicht halten, und daß, wo die Grammatik lebt, die Poesie todt seyn muß?</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Poesie</hi>. Wir werden uns also auch jetzt freundschaftlich darum vertragen, und beyde mit einem halben Leben zufrieden seyn muͤßen.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Grammatik</hi>. Nach geendigtem Geschaͤft will ich dirs ganz abtreten: denn dir kommt das Leben zu, fuͤr mich ist es immer nur ein gezwungner Zustand.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Poesie</hi>. Zu dem du dich aber, Klopstock zu Gefallen, bequemt hast.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Grammatik</hi>. Er belohnt es mir durch die reichhaltigen Winke, die seinen Bemerkungen, die Aufforderungen zu tieferer Forschung, die in seinem Buch verborgen liegen.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Poesie</hi>. Verborgen allerdings! Habe ich doch auf meinen Wanderungen bis jetzt nie davon gehoͤrt. Warum wissen denn die Deutschen kaum, daß sie so etwas besitzen?</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Grammatik</hi>. Viel thut wohl die Einkleidung; dann der Grad von Einsicht, der bey dem Leser vorausgesetzt wird; die Hauptsache ist aber, daß es von etwas Deutschem handelt.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Poesie</hi>. Und doch wird diese Sache aus der Fremde, und sogar aus dem Alterthum her in Anregung gebracht?</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Grammatik</hi>. Die alten und neuen Sprachen sind hoͤchlich entruͤstet: sie behaupten, Klopstock habe<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [4/0015]
Grammatik. Wie konntest du? Weißt du nicht, daß Leben und Tod einander immer das Gleichgewicht halten, und daß, wo die Grammatik lebt, die Poesie todt seyn muß?
Poesie. Wir werden uns also auch jetzt freundschaftlich darum vertragen, und beyde mit einem halben Leben zufrieden seyn muͤßen.
Grammatik. Nach geendigtem Geschaͤft will ich dirs ganz abtreten: denn dir kommt das Leben zu, fuͤr mich ist es immer nur ein gezwungner Zustand.
Poesie. Zu dem du dich aber, Klopstock zu Gefallen, bequemt hast.
Grammatik. Er belohnt es mir durch die reichhaltigen Winke, die seinen Bemerkungen, die Aufforderungen zu tieferer Forschung, die in seinem Buch verborgen liegen.
Poesie. Verborgen allerdings! Habe ich doch auf meinen Wanderungen bis jetzt nie davon gehoͤrt. Warum wissen denn die Deutschen kaum, daß sie so etwas besitzen?
Grammatik. Viel thut wohl die Einkleidung; dann der Grad von Einsicht, der bey dem Leser vorausgesetzt wird; die Hauptsache ist aber, daß es von etwas Deutschem handelt.
Poesie. Und doch wird diese Sache aus der Fremde, und sogar aus dem Alterthum her in Anregung gebracht?
Grammatik. Die alten und neuen Sprachen sind hoͤchlich entruͤstet: sie behaupten, Klopstock habe
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