Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.und in der Kirche. Hier werden seine kühnsten Wünsche befriedigt, und oft übertroffen. Jhre sogenannte Religion wirkt blos, wie ein Opiat: reizend, betäubend, Schmerzen aus Schwäche stillend. Jhre Früh- und Abendgebete sind ihnen, wie Frühstück und Abendbrot, nothwendig. Sie können´s nicht mehr lassen. Der derbe Philister stellt sich die Freuden des Himmels unter dem Bilde einer Kirmeß, einer Hochzeit, einer Reise oder eines Balls vor: der sublimirte macht aus dem Himmel eine prächtige Kirche mit schöner Musik, vielem Gepränge, mit Stühlen für das gemeine Volk parterre, und Kapellen und Emporkirchen für die Vornehmern. Die schlechtesten unter ihnen sind die revoluzionairen Philister, wozu auch der Hefen der fortgehenden Köpfe, die habsüchtige Race gehört. Grober Eigennutz ist das nothwendige Resultat armseliger Beschränktheit. Die gegenwärtige Sensazion ist die lebhafteste, die höchste eines Jämmerlings. Über diese kennt er nichts höheres. Kein Wunder, daß der durch die äußern Verhältnisse par force dressirte Verstand nur der listige Sklav eines solchen stumpfen Herrn ist, und nur für dessen Lüste sinnt und sorgt. Jn den ersten Zeiten der Entdeckung der Urtheilskraft war jedes neue Urtheil ein Fund. Der Werth dieses Fundes stieg, je anwendbarer, je fruchtbarer dieses Urtheil war. Zu Sentenzen, die uns jetzt sehr gemein vorkommen, gehörte damals noch ein ungewöhnlicher und in der Kirche. Hier werden seine kuͤhnsten Wuͤnsche befriedigt, und oft uͤbertroffen. Jhre sogenannte Religion wirkt blos, wie ein Opiat: reizend, betaͤubend, Schmerzen aus Schwaͤche stillend. Jhre Fruͤh- und Abendgebete sind ihnen, wie Fruͤhstuͤck und Abendbrot, nothwendig. Sie koͤnnen´s nicht mehr lassen. Der derbe Philister stellt sich die Freuden des Himmels unter dem Bilde einer Kirmeß, einer Hochzeit, einer Reise oder eines Balls vor: der sublimirte macht aus dem Himmel eine praͤchtige Kirche mit schoͤner Musik, vielem Gepraͤnge, mit Stuͤhlen fuͤr das gemeine Volk parterre, und Kapellen und Emporkirchen fuͤr die Vornehmern. Die schlechtesten unter ihnen sind die revoluzionairen Philister, wozu auch der Hefen der fortgehenden Koͤpfe, die habsuͤchtige Race gehoͤrt. Grober Eigennutz ist das nothwendige Resultat armseliger Beschraͤnktheit. Die gegenwaͤrtige Sensazion ist die lebhafteste, die hoͤchste eines Jaͤmmerlings. Über diese kennt er nichts hoͤheres. Kein Wunder, daß der durch die aͤußern Verhaͤltnisse par force dressirte Verstand nur der listige Sklav eines solchen stumpfen Herrn ist, und nur fuͤr dessen Luͤste sinnt und sorgt. Jn den ersten Zeiten der Entdeckung der Urtheilskraft war jedes neue Urtheil ein Fund. Der Werth dieses Fundes stieg, je anwendbarer, je fruchtbarer dieses Urtheil war. Zu Sentenzen, die uns jetzt sehr gemein vorkommen, gehoͤrte damals noch ein ungewoͤhnlicher <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0106" n="95"/> und in der Kirche. Hier werden seine kuͤhnsten Wuͤnsche befriedigt, und oft uͤbertroffen.</p><lb/> <p>Jhre sogenannte Religion wirkt blos, wie ein Opiat: reizend, betaͤubend, Schmerzen aus Schwaͤche stillend. Jhre Fruͤh- und Abendgebete sind ihnen, wie Fruͤhstuͤck und Abendbrot, nothwendig. Sie koͤnnen´s nicht mehr lassen. Der derbe Philister stellt sich die Freuden des Himmels unter dem Bilde einer Kirmeß, einer Hochzeit, einer Reise oder eines Balls vor: der sublimirte macht aus dem Himmel eine praͤchtige Kirche mit schoͤner Musik, vielem Gepraͤnge, mit Stuͤhlen fuͤr das gemeine Volk parterre, und Kapellen und Emporkirchen fuͤr die Vornehmern.</p><lb/> <p>Die schlechtesten unter ihnen sind die revoluzionairen Philister, wozu auch der Hefen der fortgehenden Koͤpfe, die habsuͤchtige Race gehoͤrt.</p><lb/> <p>Grober Eigennutz ist das nothwendige Resultat armseliger Beschraͤnktheit. Die gegenwaͤrtige Sensazion ist die lebhafteste, die hoͤchste eines Jaͤmmerlings. Über diese kennt er nichts hoͤheres. Kein Wunder, daß der durch die aͤußern Verhaͤltnisse <foreign xml:lang="fr">par force</foreign> dressirte Verstand nur der listige Sklav eines solchen stumpfen Herrn ist, und nur fuͤr dessen Luͤste sinnt und sorgt.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Jn den ersten Zeiten der Entdeckung der Urtheilskraft war jedes neue Urtheil ein Fund. Der Werth dieses Fundes stieg, je anwendbarer, je fruchtbarer dieses Urtheil war. Zu Sentenzen, die uns jetzt sehr gemein vorkommen, gehoͤrte damals noch ein ungewoͤhnlicher<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [95/0106]
und in der Kirche. Hier werden seine kuͤhnsten Wuͤnsche befriedigt, und oft uͤbertroffen.
Jhre sogenannte Religion wirkt blos, wie ein Opiat: reizend, betaͤubend, Schmerzen aus Schwaͤche stillend. Jhre Fruͤh- und Abendgebete sind ihnen, wie Fruͤhstuͤck und Abendbrot, nothwendig. Sie koͤnnen´s nicht mehr lassen. Der derbe Philister stellt sich die Freuden des Himmels unter dem Bilde einer Kirmeß, einer Hochzeit, einer Reise oder eines Balls vor: der sublimirte macht aus dem Himmel eine praͤchtige Kirche mit schoͤner Musik, vielem Gepraͤnge, mit Stuͤhlen fuͤr das gemeine Volk parterre, und Kapellen und Emporkirchen fuͤr die Vornehmern.
Die schlechtesten unter ihnen sind die revoluzionairen Philister, wozu auch der Hefen der fortgehenden Koͤpfe, die habsuͤchtige Race gehoͤrt.
Grober Eigennutz ist das nothwendige Resultat armseliger Beschraͤnktheit. Die gegenwaͤrtige Sensazion ist die lebhafteste, die hoͤchste eines Jaͤmmerlings. Über diese kennt er nichts hoͤheres. Kein Wunder, daß der durch die aͤußern Verhaͤltnisse par force dressirte Verstand nur der listige Sklav eines solchen stumpfen Herrn ist, und nur fuͤr dessen Luͤste sinnt und sorgt.
Jn den ersten Zeiten der Entdeckung der Urtheilskraft war jedes neue Urtheil ein Fund. Der Werth dieses Fundes stieg, je anwendbarer, je fruchtbarer dieses Urtheil war. Zu Sentenzen, die uns jetzt sehr gemein vorkommen, gehoͤrte damals noch ein ungewoͤhnlicher
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/106>, abgerufen am 16.02.2025. |