Schiller, Friedrich: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? (Antrittsvorlesung in Jena, 26. 5. 1789 ). Jena, 1789.ter meiner Hand nicht verringere. Je lebendiger und Fruchtbar und weit umfassend ist das Gebiet der Ge- Ehe ich es aber unternehmen kann, meine H. H., dien
ter meiner Hand nicht verringere. Je lebendiger und Fruchtbar und weit umfaſſend iſt das Gebiet der Ge- Ehe ich es aber unternehmen kann, meine H. H., dien
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0006" n="4"/> ter meiner Hand nicht verringere. Je lebendiger und<lb/> reiner ihr Geiſt in dieſer gluͤcklichſten Epoche ſeines Wir-<lb/> kens empfaͤngt, und je raſcher ſich ihre jugendlichen Ge-<lb/> fuͤhle entflammen, deſto mehr Aufforderung fuͤr mich,<lb/> zu verhuͤten, daß ſich dieſer Enthuſiasmus, den die<lb/> Wahrheit allein das Recht hat zu erwecken, an Betrug<lb/> und Taͤuſchung nicht unwuͤrdig verſchwende.</p><lb/> <p>Fruchtbar und weit umfaſſend iſt das Gebiet der Ge-<lb/> ſchichte; in ihrem Kreiſe liegt die ganze moraliſche Welt.<lb/> Durch alle Zuſtaͤnde, die der Menſch erlebte, durch alle<lb/> abwechſelnde Geſtalten der Meinung, durch ſeine Thor-<lb/> heit und ſeine Weisheit, ſeine Verſchlimmerung und<lb/> ſeine Veredlung, begleitet ſie ihn, von allem was er ſich<lb/> nahm und gab, muß ſie Rechenſchaft ablegen. Es iſt<lb/> keiner unter Ihnen allen, dem Geſchichte nicht etwas<lb/> wichtiges zu ſagen haͤtte; alle noch ſo verſchiedenen Bah-<lb/> nen Ihrer kuͤnftigen Beſtimmung verknuͤpfen ſich ir-<lb/> gendwo mit derſelben; aber Eine Beſtimmung theilen<lb/> Sie alle auf gleiche Weiſe mit einander, diejenige, wel-<lb/> che Sie auf die Welt mitbrachten — ſich als Menſchen<lb/> auszubilden — und zu dem Menſchen eben redet die<lb/> Geſchichte.</p><lb/> <p>Ehe ich es aber unternehmen kann, meine H. H.,<lb/> Ihre Erwartungen von dieſem Gegenſtande Ihres Fleiſ-<lb/> ſes genauer zu beſtimmen, und die Verbindung anzu-<lb/> geben, worin derſelbe mit dem eigentlichen Zweck<lb/> Ihrer ſo verſchiedenen Studien ſteht, wird es nicht<lb/> uͤberfluͤßig ſeyn, mich uͤber dieſen Zweck Ihrer Stu-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">dien</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [4/0006]
ter meiner Hand nicht verringere. Je lebendiger und
reiner ihr Geiſt in dieſer gluͤcklichſten Epoche ſeines Wir-
kens empfaͤngt, und je raſcher ſich ihre jugendlichen Ge-
fuͤhle entflammen, deſto mehr Aufforderung fuͤr mich,
zu verhuͤten, daß ſich dieſer Enthuſiasmus, den die
Wahrheit allein das Recht hat zu erwecken, an Betrug
und Taͤuſchung nicht unwuͤrdig verſchwende.
Fruchtbar und weit umfaſſend iſt das Gebiet der Ge-
ſchichte; in ihrem Kreiſe liegt die ganze moraliſche Welt.
Durch alle Zuſtaͤnde, die der Menſch erlebte, durch alle
abwechſelnde Geſtalten der Meinung, durch ſeine Thor-
heit und ſeine Weisheit, ſeine Verſchlimmerung und
ſeine Veredlung, begleitet ſie ihn, von allem was er ſich
nahm und gab, muß ſie Rechenſchaft ablegen. Es iſt
keiner unter Ihnen allen, dem Geſchichte nicht etwas
wichtiges zu ſagen haͤtte; alle noch ſo verſchiedenen Bah-
nen Ihrer kuͤnftigen Beſtimmung verknuͤpfen ſich ir-
gendwo mit derſelben; aber Eine Beſtimmung theilen
Sie alle auf gleiche Weiſe mit einander, diejenige, wel-
che Sie auf die Welt mitbrachten — ſich als Menſchen
auszubilden — und zu dem Menſchen eben redet die
Geſchichte.
Ehe ich es aber unternehmen kann, meine H. H.,
Ihre Erwartungen von dieſem Gegenſtande Ihres Fleiſ-
ſes genauer zu beſtimmen, und die Verbindung anzu-
geben, worin derſelbe mit dem eigentlichen Zweck
Ihrer ſo verſchiedenen Studien ſteht, wird es nicht
uͤberfluͤßig ſeyn, mich uͤber dieſen Zweck Ihrer Stu-
dien
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Zitationshilfe: | Schiller, Friedrich: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? (Antrittsvorlesung in Jena, 26. 5. 1789 ). Jena, 1789, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_universalgeschichte_1789/6>, abgerufen am 16.07.2024. |