Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781.Die Räuber, -- Wer sollte nicht auch hier seine Flügel versu-chen? Und wie ich nun werde zu Werk gehen müs- sen, diese süsse friedliche Eintracht der Seele mit ihrem Leibe zu stören? Welche Gattung von Em- pfindnissen ich werde wählen müssen? Welche wohl den Flor des Lebens am grimmigsten anfeinden? Zorn -- dieser heißhungrige Wolf frißt sich zu schnell satt -- Sorge? -- Dieser Wurm nagt mir zu lang- sam -- Gram? -- diese Natter schleicht mir zu träge -- Furcht? -- die Hofnung läßt sie nicht umgreiffen -- was? Sind das all die Henker des Menschen? -- Jst das Arsenal des Todes so bald erschöft? -- tiefsinnend. Wie? -- Nun? -- Was? Nein! -- Ha! auffahrend. Schrek! -- Was kann der Schreck nicht? -- Was kann Vernunft, Re- ligion wider dieses Giganten eißkalte Umarmung? -- Und doch? -- Wenn er auch diesem Sturm stünde? -- Wenn er? -- O so komme du mir zu Hülffe Jammer, und du Reue, höllische Eu- menide, grabende Schlange, die ihren Fraß wie- derkäut, und ihren eigenen Koth wiederfrißt; ewige Zerstörinnen und ewige Schöpferinnen eures Giftes, und du heulende Selbstverklagung die du dein eigen Hauß verwüstest, und deine eigene Mutter ver- wundest -- Und kommt auch ihr mir zu Hülffe wohlthät ge Grazien selbst, sanftlächelnde Vergan- genheit, und du mit #em überquellenden Füllhorn blü-
Die Raͤuber, — Wer ſollte nicht auch hier ſeine Fluͤgel verſu-chen? Und wie ich nun werde zu Werk gehen muͤſ- ſen, dieſe ſuͤſſe friedliche Eintracht der Seele mit ihrem Leibe zu ſtoͤren? Welche Gattung von Em- pfindniſſen ich werde waͤhlen muͤſſen? Welche wohl den Flor des Lebens am grimmigſten anfeinden? Zorn — dieſer heißhungrige Wolf frißt ſich zu ſchnell ſatt — Sorge? — Dieſer Wurm nagt mir zu lang- ſam — Gram? — dieſe Natter ſchleicht mir zu traͤge — Furcht? — die Hofnung laͤßt ſie nicht umgreiffen — was? Sind das all die Henker des Menſchen? — Jſt das Arſenal des Todes ſo bald erſchoͤft? — tiefſinnend. Wie? — Nun? — Was? Nein! — Ha! auffahrend. Schrek! — Was kann der Schreck nicht? — Was kann Vernunft, Re- ligion wider dieſes Giganten eißkalte Umarmung? — Und doch? — Wenn er auch dieſem Sturm ſtuͤnde? — Wenn er? — O ſo komme du mir zu Huͤlffe Jammer, und du Reue, hoͤlliſche Eu- menide, grabende Schlange, die ihren Fraß wie- derkaͤut, und ihren eigenen Koth wiederfrißt; ewige Zerſtoͤrinnen und ewige Schoͤpferinnen eures Giftes, und du heulende Selbſtverklagung die du dein eigen Hauß verwuͤſteſt, und deine eigene Mutter ver- wundeſt — Und kommt auch ihr mir zu Huͤlffe wohlthaͤt ge Grazien ſelbſt, ſanftlaͤchelnde Vergan- genheit, und du mit #em uͤberquellenden Fuͤllhorn bluͤ-
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Die Raͤuber,
— Wer ſollte nicht auch hier ſeine Fluͤgel verſu-
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Und wie ich nun werde zu Werk gehen muͤſ-
ſen, dieſe ſuͤſſe friedliche Eintracht der Seele mit
ihrem Leibe zu ſtoͤren? Welche Gattung von Em-
pfindniſſen ich werde waͤhlen muͤſſen? Welche wohl
den Flor des Lebens am grimmigſten anfeinden?
Zorn — dieſer heißhungrige Wolf frißt ſich zu ſchnell
ſatt — Sorge? — Dieſer Wurm nagt mir zu lang-
ſam — Gram? — dieſe Natter ſchleicht mir zu
traͤge — Furcht? — die Hofnung laͤßt ſie nicht
umgreiffen — was? Sind das all die Henker des
Menſchen? — Jſt das Arſenal des Todes ſo bald
erſchoͤft? — tiefſinnend. Wie? — Nun? — Was?
Nein! — Ha! auffahrend. Schrek! — Was kann
der Schreck nicht? — Was kann Vernunft, Re-
ligion wider dieſes Giganten eißkalte Umarmung?
— Und doch? — Wenn er auch dieſem Sturm
ſtuͤnde? — Wenn er? — O ſo komme du mir
zu Huͤlffe Jammer, und du Reue, hoͤlliſche Eu-
menide, grabende Schlange, die ihren Fraß wie-
derkaͤut, und ihren eigenen Koth wiederfrißt; ewige
Zerſtoͤrinnen und ewige Schoͤpferinnen eures Giftes,
und du heulende Selbſtverklagung die du dein eigen
Hauß verwuͤſteſt, und deine eigene Mutter ver-
wundeſt — Und kommt auch ihr mir zu Huͤlffe
wohlthaͤt ge Grazien ſelbſt, ſanftlaͤchelnde Vergan-
genheit, und du mit #em uͤberquellenden Fuͤllhorn
bluͤ-
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