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Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781.

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ein Schauspiel.
wir vermögen doch wirklich die Bedingungen des
Lebens zu verlängern, warum sollten wir sie nicht
auch verkürzen können?

Philosophen und Mediziner lehren mich, wie
treffend die Stimmungen des Geists mit den Be-
wegungen der Maschine zusammen lauten. Gicht-
rische Empfindungen werden jederzeit von einer
Dissonanz der mechanischeu Schwingungen beglei-
tet -- Leidenschaften mißhandeln die Lebenskraft
-- der überladene Geist drückt sein Gehäuse zu
Boden -- Wie denn nun? -- Wer es verstünde,
dem Tod diesen ungebahnten Weg in das Schloß
des Lebens zu ebenen? -- den Körper vom Geist
aus zu verderben -- ha! ein Originalwerk! --
wer das zu Stand brächte? -- Ein Werk ohne
gleichen! -- Sinne nach Moor! -- das wär ei-
ue Kunst dies verdiente dich zum Erfinder zu ha-
ben. Hat man doch die Giftmischerey beinahe in
den Rang einer ordentlichen Wissenschaft erhoben,
und die Natur durch Experimente gezwungen, ihre
Schranken anzugeben, daß man nunmehr des Her-
zens Schläge Jahr lang vorausrechnet, und zu
dem Pulse spricht, bis hieher, und nicht weiter! *)
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*) Eine Frau in Paris soll es durch ordentlich angestellte
Versuche mit Giftpulvern so weit gebracht haben, daß sie
den entfernten Todestag mit zimlicher Zuverläßigkeit voraus
bestimmen konnte. Pfui über unsere Aerzte die diese
Frau im Prognostiziren beschämt!
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ein Schauſpiel.
wir vermoͤgen doch wirklich die Bedingungen des
Lebens zu verlaͤngern, warum ſollten wir ſie nicht
auch verkuͤrzen koͤnnen?

Philoſophen und Mediziner lehren mich, wie
treffend die Stimmungen des Geiſts mit den Be-
wegungen der Maſchine zuſammen lauten. Gicht-
riſche Empfindungen werden jederzeit von einer
Diſſonanz der mechaniſcheu Schwingungen beglei-
tet — Leidenſchaften mißhandeln die Lebenskraft
— der uͤberladene Geiſt druͤckt ſein Gehaͤuſe zu
Boden — Wie denn nun? — Wer es verſtuͤnde,
dem Tod dieſen ungebahnten Weg in das Schloß
des Lebens zu ebenen? — den Koͤrper vom Geiſt
aus zu verderben — ha! ein Originalwerk! —
wer das zu Stand braͤchte? — Ein Werk ohne
gleichen! — Sinne nach Moor! — das waͤr ei-
ue Kunſt dies verdiente dich zum Erfinder zu ha-
ben. Hat man doch die Giftmiſcherey beinahe in
den Rang einer ordentlichen Wiſſenſchaft erhoben,
und die Natur durch Experimente gezwungen, ihre
Schranken anzugeben, daß man nunmehr des Her-
zens Schlaͤge Jahr lang vorausrechnet, und zu
dem Pulſe ſpricht, bis hieher, und nicht weiter! *)
*) Eine Frau in Paris ſoll es durch ordentlich angeſtellte
Verſuche mit Giftpulvern ſo weit gebracht haben, daß ſie
den entfernten Todestag mit zimlicher Zuverlaͤßigkeit voraus
beſtimmen konnte. Pfui uͤber unſere Aerzte die dieſe
Frau im Prognoſtiziren beſchaͤmt!
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[53/0075] ein Schauſpiel. wir vermoͤgen doch wirklich die Bedingungen des Lebens zu verlaͤngern, warum ſollten wir ſie nicht auch verkuͤrzen koͤnnen? Philoſophen und Mediziner lehren mich, wie treffend die Stimmungen des Geiſts mit den Be- wegungen der Maſchine zuſammen lauten. Gicht- riſche Empfindungen werden jederzeit von einer Diſſonanz der mechaniſcheu Schwingungen beglei- tet — Leidenſchaften mißhandeln die Lebenskraft — der uͤberladene Geiſt druͤckt ſein Gehaͤuſe zu Boden — Wie denn nun? — Wer es verſtuͤnde, dem Tod dieſen ungebahnten Weg in das Schloß des Lebens zu ebenen? — den Koͤrper vom Geiſt aus zu verderben — ha! ein Originalwerk! — wer das zu Stand braͤchte? — Ein Werk ohne gleichen! — Sinne nach Moor! — das waͤr ei- ue Kunſt dies verdiente dich zum Erfinder zu ha- ben. Hat man doch die Giftmiſcherey beinahe in den Rang einer ordentlichen Wiſſenſchaft erhoben, und die Natur durch Experimente gezwungen, ihre Schranken anzugeben, daß man nunmehr des Her- zens Schlaͤge Jahr lang vorausrechnet, und zu dem Pulſe ſpricht, bis hieher, und nicht weiter! *) — *) Eine Frau in Paris ſoll es durch ordentlich angeſtellte Verſuche mit Giftpulvern ſo weit gebracht haben, daß ſie den entfernten Todestag mit zimlicher Zuverlaͤßigkeit voraus beſtimmen konnte. Pfui uͤber unſere Aerzte die dieſe Frau im Prognoſtiziren beſchaͤmt! D 3

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_raeuber_1781/75>, abgerufen am 02.05.2024.